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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2015, 2015

Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen, Predigt zu EG 518, verfasst von Michael Bünker

Gnade sei mit euch…

 

Römer 8,38-39

Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Ich bin gewiss! Mit diesem ganz persönlichen Bekenntnis seines Glaubens beendet der Apostel Paulus im Brief an die Römer den ersten großen Abschnitt. Begonnen hat er diesen Abschnitt auch mit einem persönlichen Bekenntnis, wenn er schreibt: Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben (Röm. 1,16). Zwischen diesem Anfang und diesem Ende entfaltet er, dass alle Menschen ganz und gar angewiesen sind und angewiesen bleiben auf Gottes Gnade. Das Leben verschaffen wir uns nicht selbst, erwirtschaften wir uns nicht selbst, verdienen wir uns nicht selbst. Das Leben ist eine Gabe, die wir aus keinem anderen Grund erhalten als aus dem, dass Gott uns liebt. Aus Gnade geschieht es. Darauf zu vertrauen, nur darauf zu vertrauen und darauf nichts als zu vertrauen, das ist der Glaube. Wie ist denn das möglich? Möglich ist es durch Jesus Christus. In Jesus gibt sich Gott ganz und gar für uns hin, geht unsern Weg, stirbt unsern Tod und schafft uns so das neue Leben. Durch die Taufe sind wir hineingenommen in den Tod Jesu und hineingenommen in seine Auferstehung. Schon jetzt leben wir als die Befreiten und Erlösten, der Geist Gottes in uns betet und seufzt und führt uns zu Gott.

Liebe Gemeinde, heute bitte ich Sie, dass Sie Ihr Gesangbuch aufgeschlagen lassen während der Predigt. Und zwar bitte ich, das Lied Nummer 518 aufzuschlagen. Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen. Der Text dieses Liedes stammt von Martin Luther. Er hat ein viel älteres Lied aufgegriffen, verändert und zwei Strophen dazu geschrieben. Die erste Strophe geht auf dieses ältere Lied zurück, das uns in einer Handschrift aus dem Jahr 1456 überliefert ist. Diese Handschrift stammt aus einem Kloster bei Salzburg. Irgendwie hat dieses Lied daher auch etwas mit unserer Heimat zu tun. Aber es ist sicher nicht nur hier gesungen worden. Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen – das ist eine Erfahrung, die Menschen überall machen und zu allen Zeiten. Selbst heute und bei uns stimmt das. Ich denke an die monatelange Diskussion im österreichischen Parlament zur Frage der Würde am Ende des Lebens. Was wir tun müssen, damit Menschen in Würde ihr Leben beschließen können, wie wir ihnen beistehen und welche Hilfen wir für uns in unseren letzten Tagen und Stunden erwarten, von den Ärzten und Ärztinnen, den Pflegenden, von unseren Angehörigen. Bestimmen wir da noch selbst? Wie weit geht diese Selbstbestimmung? Sie alle kennen die Diskussion zum Stichwort der Sterbehilfe. Sie ist deshalb so notwendig, weil bei uns heute der Tod und das Sterben weitgehend weggeschoben werden. Niemand will sich damit auseinandersetzen, solange es gut geht. Aber wenn es um unsere Angehörigen geht, wenn wir selbst gezwungen sind, darüber nachzudenken, dann stimmt es doch wieder: Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen.

Hören wir einmal die erste Strophe, die der Chor uns singt:

Luther hat das alte Lied übernommen. Das einzige, was er verändert ist der Schluss. Da setzt er ein Kyrieeleison dazu. Herr, erbarme dich! Jede Strophe endet damit. Weil alles Nachdenken über den Tod, über die Höllenangst und die Not zu nichts anderem führen kann, als Gott um sein Erbarmen zu bitten. Als würden wir mit jeder Strophe Gott unsere leeren Hände hinhalten. Er allein kann geben, was jetzt Not tut. Und die Not ist groß. Da ist die Rede von der Angst und der Anfechtung, vom Vertrieben-Werden und Fliehen, als wären wir betroffen von Krieg und Gewalt, wie es viele Menschen heute sind. Wer kann helfen? Wer wird uns befreien? Wohin sollen wir fliehen? Auf alle Fragen gibt es eine Antwort: Das bist du, Herr, alleine. Das tust du, Herr, alleine. Zu dir, Herr Christ, alleine. Selbst die Melodie zeigt uns: Hier sind wir im Zentrum angelangt. Sie sehen – und wir haben es auch gehört -, dass die Melodie hier mit dem tiefsten Ton gleichsam den festen Boden erreicht. Hier haben wir Boden unter den Füßen. Bei Jesus Christus. Bei Jesus Christus alleine. Deshalb sehen wir unser Leben ungeschminkt: „Uns reuet unsre Missetat“. Aber auf diesem verlässlichen Boden brauchen wir uns nicht mehr verstellen und uns selbst und den anderen etwas vormachen. So, wie wir sind, leben wir getrennt von Gott. In Angst und Furcht.

Hören wir die zweite Strophe:

Doch sieht Gott unsern Jammer. Seine Barmherzigkeit lässt uns nicht versinken oder verzagen. In jeder Religion bewährt sich der Glaube angesichts des Todes. Gläubige Jüdinnen und Juden sterben mit dem Bekenntnis des Glaubens auf den Lippen, dem Schema Israel: Höre, Israel, der Herr unser Gott ist einer. Genauso im Islam, wo die Sterbenden die Schahada sprechen, das kurze Bekenntnis: Es gibt keinen Gott außer Gott. Für uns mag es das Vaterunser sein oder der 23. Psalm. Unser Lutherlied lässt aber auch an etwas anderes denken, nämlich: Heilig, heilig, heilig ist Gott. Ihr seht, wie jede Strophe das dreimalige Heilig anstimmt. Damit steht unser Lied in alter Tradition der Kirche. Das dreimal Heilig stammt aus dem Buch des Propheten Jesaja. Der Prophet sieht in einer Vision den Tempel und die alle Engel, die das Trishagion, das dreimal Heilig singen. Wir singen es, wenn wir Abendmahl feiern. Als wären wir dann bei den Engeln, vereint in einem Chor mit ihnen. „Wo solln wir fliehen hin, da wir mögen bleiben“, heißt es in der dritten Strophe. Und das dreimal Heilig zeigt: Bleiben können wir beim dreieinigen Gott. Da sind wir daheim. Das ist unsere Heimat. Dorthin kehren wir zurück.

Nun also die dritte Strophe:

Das Lied steht in unserem Gesangbuch unter „Sterben und Ewiges Leben“ Es könnte auch woanders stehen, nämlich unter Vertrauen und Zuversicht, oder unter Dank und Lob. Denn es ist ein Lied, das uns lehrt wie wir leben können. Ohne Angst, ohne Fluchtneigungen, ohne Davonzulaufen und auch ohne uns in der Fremde und dauernd unbeheimatet zu fühlen. Getragen von Jesus Christus, der uns erlöst hat durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen vom Tod. Bei ihm sind wir Zuhause, gehalten und getragen. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes. Auch nicht der Tod. Luther hat gemeint: Nur für die, die sich allzu sicher sind, ist es ein erschreckendes Lied. Aber für die, die schon erschrocken sind, ist es ein tröstliches Lied, das uns aufrichtet und ermutigt. Denn das Evangelium – so Luther - sagt uns: Kehr’s um: Nicht mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen, sondern: Mitten im Tode sind wir im Leben gehalten und geborgen.



Bischof Michael Bünker
Wien
E-Mail: bischof@evang.at

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