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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2015, 2015

Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen (EG 518), verfasst von Tom Kleffmann

Mitten im Leben. Mitten im Leben denken wir nicht an den Tod. Die Sonne scheint und der Frühling kehrt wieder. Es ist so schön, wenn abends die Amseln wieder singen. Mitten im Leben treffen wir uns mit Freunden. Das Herz öffnet sich, wir lachen, wir leben ganz in dieser Stunde. Mitten im Leben wird ein Kind geboren. Eine Sekunde lang denkst du da an den Tod. Aber dann freust du dich, sorgst du dich, bist noch tiefer in der Mitte des Lebens. Mitten im Leben verliebst du dich. Du sehnst dich nach Zukunft. Für Sekunden versinkst du in anderen Augen.

Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen. Es kommt die Stunde, und sie war schon da, da fällt die Angst in das Leben. Zuerst vielleicht, als du 10 Jahre alt warst oder 13. Als du gewiss wusstest: ich bin es, ich bin - da wusstest du auch, und es war wie ein alles durchdringender Lichtblitz: ich werde sterben. Ich werde tot sein. Ich werde nicht sein. Diese Augen, die sehen, diese Lippen, diese warme Haut, die fühlt und tastet – dieses Gesicht, das ich im Spiegel erkenne, diese Brauen: es wird aufhören, es wird kalt werden und tot, es wird faulen und verfallen. Diese Sicht der Welt, dieses Innen – es wird in Schmerzen sterben und für alle Zeiten nicht mehr sein. Die Kinder werden ohne mich leben. Der Mond wird sich ohne mich um die Erde drehen, und die Erde wird sich ohne mich um die Sonne drehen, und die Sonne wird noch Milliarden Jahre ohne mich brennen, bis alles aufhört.

Du weißt es, und es begleitet dich, seit du denken kannst. Und seitdem verdrängst du es, hältst den Gedanken nicht aus. Aber immer wieder, nach Tagen, Wochen, Monaten, kommt er wie ein schwerer Schatten. Wenn abends die Amseln singen, in der Sekunde der Stille, kommt der Schatten. Mitten im Kreis der Freunde, plötzlich, geht dein Blick nach innen, und du schweigst. Und im Dunkel der Nacht wachst du alleine auf.

Wir könnten den Tod jeden Tag sehen und hören und riechen, wir könnten. Erkrankte deine Nachbarin nicht an Krebs? Jeden Tag könnten wir den Tod sehen. Im Krankenhaus. Auf der Pflegestation. Auf dem Friedhof. Die Angst vor Demenz, vor Krebs, vor dem Schlaganfall: das Ablaufen der Zeit. Die Leere der Zeit. Das Altern, die kommende letzte Atemnot, die immer größer werdende Enge, das Nichtzurückkönnen. Der Druck des Schmerzes.

Die Angst des Todes ist die Hölle. Mitten in dem Tod anficht uns der Hölle Rachen. Dass die Welt gottlos ist. Dass diese Welt im Grunde leer ist, dass sie uns im Nichts verschwinden lässt, dass sie und frisst. Dass es keine Zuflucht gibt, und keinen Sinn über den Augenblick hinaus. Und die Fülle in der Mitte des Lebens, der Vogelgesang in der Dämmerung, die Kinderliebe, das Lachen, der Kuss? Augenblicksillusionen unserer Hirne.

Mitten in der Hölle Angst unsre Sünd uns treiben. Gott ist unendlich fern und wir sind schuld. Wir haben es ja garnicht eingestanden. Wir haben ja garnicht gefragt. Wir haben ja garnicht gesucht – nach einem Grund, nach einem Sinn. Im Augenblick der Wahrheit, in der ersten Angst des Ich sind wir geflohen, statt nach Gott zu fragen, - nach Dir, Gott.

Wir sind geflohen ins Allerweltsleben. Ins Vergnügen des Tages. Haben gemacht, was alle tun. Haben die Angst überspielt. Haben uns die Leere vollgestellt mit schönen Dingen. In dem, was wir haben, haben wir uns verschanzt. Warum wir hier sind, warum wir leben, haben wir nicht gefragt. Ob diese Welt ein Geheimnis hat – Dich, heiliger starker Gott!

Aber die Leere fällt auf uns zurück. Wir entrinnen ihr nicht. Wir müssen sie erleiden.

Wer ist, der uns Hilfe bringt?

Wo sollen wir den fliehen hin?

Lass uns nicht versinken in des bittern Todes Not! – Kyrie eleison.

 

Gott hat sich unser erbarmt.

Du Gott, bist der Mensch am Kreuz. Er liebte uns, trotz unserer Lebenslügen. Er kennt unsere Angst, unseren Schmerz. Er erlitt sie selbst.

Heiliger, barmherziger Heiland! Vor uns starbst Du unseren Tod.

Wir sind nicht alleine. Du trägst uns und birgst uns. Du bist der Grund, warum wir hier sind. Du bist das Ziel. Du willst unserem Leben den Sinn deiner Liebe geben. Auch unsern Blick willst Du in Deine Ewigkeit nehmen. Dann singen die Vögel am Abend in deinem Namen, und die Sonne wärmt in Deinem Namen, und alle Freundschaft und Liebe steht in Deinem Namen, auch der Kuss steht in Deinem Namen – und wir finden eine Heimat.

Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott. Sei bei uns, dass wir uns auf dich verlassen. Dann birgst Du uns in Deinem Sinn. Kyrieeleison.

Amen.

 



Prof.Dr. Tom Kleffmann
Kassel
E-Mail: kleffmann@uni-kassel.de

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