Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2015, 2015

Wir glauben all an einen Gott / Credo (EG 183), verfasst von Gert-Axel Reuß

Text des Liedes, das im Gottesdienst gesungen wird:

 

Wir glauben all an einen Gott,
Schöpfer Himmels und der Erden,
der sich zum Vater geben hat,
dass wir seine Kinder werden.
Er will uns allzeit ernähren,
Leib und Seel auch wohl bewahren;
allem Unfall will er wehren,
kein Leid soll uns widerfahren.
Er sorget für uns, hüt’ und wacht;
es steht alles in seiner Macht.

Wir glauben auch an Jesus Christ,
seinen Sohn und unsern Herren,
der ewig bei dem Vater ist,
gleicher Gott von Macht und Ehren,
von Maria, der Jungfrauen,
ist ein wahrer Mensch geboren
durch den Heilgen Geist im Glauben;
für uns, die wir warn verloren,
am Kreuz gestorben und vom Tod
wieder auferstanden durch Gott.

Wir glauben an den Heilgen Geist,
Gott mit Vater und dem Sohne,
der aller Schwachen Tröster heißt
und mit Gaben zieret schöne,
die ganz Christenheit auf Erden
hält in einem Sinn gar eben;
hier all Sünd vergeben werden,
das Fleisch soll auch wieder leben.
Nach diesem Elend ist bereit’
uns ein Leben in Ewigkeit.

Amen.

 

 

© Joachim Stunk/Lübecker Nachrichten

 

 

Liebe Gemeinde,

 

gerade haben wir die kostbaren Fresken im Kreuzgang des Ratzeburger Doms restauriert. Die Farben der alten Bilder leuchten wieder und wirken wunderbar frisch. Es ist eine Freude, genauer hinzuschauen. (Sie können die noch nicht restaurierten Bilder sehen unter www.ratzeburgerdom.de „Virtuelle Tour“ /Kreuzgang – Fotos III – VIII.)

 

Der Garten Eden ist dort zu sehen, darüber die Hand Gottes, als ob sie Sonne, Mond und Sterne darüber ausschüttet. Die Wurzel Jesse – Maria, die das in Windeln gewickelte Jesuskind im Arm hält. Und auf dem letzten Bild von der Auferstehung der Toten rufen zwei Engel, deren Posaunen aus dem Himmel in diese Welt ragen, uns Menschen in ein neues Leben. Sechs Fresken mit zwölf Szenen, die das Glaubensbekenntnis anschaulich werden lassen.

 

Auf den ersten Blick erscheinen die Bilder wie aus einem Bilderbuch für Kinder. Naive Malerei, ohne großen künstlerischen Wert. Wie oft bin ich achtlos daran vorbeigelaufen, ohne genauer hinzuschauen. Seine besondere Bedeutung gewinnt das gemalte Glaubensbekenntnis heute für mich dadurch, dass das erste Prinzipalstück, das 1576 nach der Einführung der Reformation in den Dom eingebaut wurde, – die Kanzel – auf dem Schalldeckel ein Schriftband zeigt: das Glaubensbekenntnis in lateinischer Sprache.

 

 

„Credo in unum deum“ sang der Priester in der lateinischen Messe, und die Gemeinde (der Chor) ergänzte „patrem omnipotentem …“. Martin Luther macht daraus: „Wir (!) glauben all an einen Gott“. Und dieses „Wir“ betont er sogar noch durch 5 lange Töne. „Wiiir“ – nicht „ich“. Wir alle zusammen – nicht der Priester vorne am Altar allein.

 

Hier wird eine ganz andere Idee der Kirche hörbar, die wir auch in unserer Zeit gut gebrauchen können. Denn unsere Gesellschaft driftet immer weiter auseinander. Das Verbindende wird undeutlicher. Das ist der Preis der Freiheit der Individualität.

 

Auch ich schmecke diese Freiheit gerne, möchte das Rad nicht zurückdrehen in eine Zeit, in der die individuelle Entfaltung behindert und oft auch unterdrückt wurde. Aber das macht die Frage nur noch dringlicher: Was verbindet uns?

 

Wir glauben all an einen Gott! – Tun wir das? Christen und Atheisten, Muslime und Hindus, Buddhisten und Juden?

 

Wie vage muss ich die Gottesidee halten, damit alle unterschreiben können? In Schleswig-Holstein bemühen sich manche, Gott doch noch in die Präambel der Landesverfassung zu bekommen. Niemand soll ausgeschlossen werden, so ist zu hören. Und so reduziert sich manche Argumentation darauf, dass es doch einen Platzhalter, eine Leerstelle gegen den menschlichen Größenwahn brauche. Ob das eine gute Idee ist?

 

Luthers Lied klingt und singt sich ganz anders. Sein Lied ist anschaulich, voller Bilder, wie ich sie in unserem Kreuzgang finde: „Wir glauben all an einen Gott, … der sich zum Vater geben hat.“

 

Natürlich kann ich in der Distanz bleiben. Natürlich kann Luthers Gottesbilder hinterfragen: Sind es denn nicht die Mütter, die uns großgezogen haben? Sind wir nicht alle mehr oder weniger mit abwesenden Vätern aufgewachsen?

 

Sorgt Gott wirklich für uns, hüt’ und wacht? Vor einer Woche ist ein deutsches Passagierflugzeug abgestürzt. Mancher hat bei sich gedacht: Da hätte ich auch drin sitzen können.

 

Jede, jeder von uns hat wohl schon vor ähnlichen Fragen gestanden, auf die es keine Antworten gibt. Das muss doch auch Luther gewusst, erlebt haben. Aber er bleibt nicht in der Distanz und lässt den Priester das Glaubensbekenntnis herunterleiern. Er hat eine ganz andere Idee der Kirche. Eine ganz andere Vorstellung vom „Wir“.

 

 

Vor einigen Wochen habe ich einen 20jährigen jungen Mann beerdigt. In regelmäßigen Abständen besuche ich die Eltern. Wir sprechen über das Unglück, dass die Familie getroffen hat. Aber wir sprechen auch darüber, wie das Leben in Zukunft aussehen könnte.

 

Es gibt Momente, in denen wir schweigen und ich ihre Trauer mit ihnen aushalte. Und dann gibt es Augenblicke, in denen ich spüre: Ich sitze hier an diesem Esstisch als Anwalt der Zukunft. Als ein Zeuge dafür, dass es sich lohnt, weiterzuleben. Und – ja – ich bin auch der, auf dessen Glauben sich diese Eltern stützen, auch wenn sie nicht glauben können. Auch wenn sie nicht wissen, was und wie sie glauben sollen.

 

Wir glauben all an einen Gott. – In Luthers Lied geht es nicht um die Schnittmenge unserer Überzeugungen, nicht um den kleinsten gemeinsamen Nenner. Es geht auch nicht um die Addition unserer Ansichten und Meinungen. Das „Wir“ drückt aus, dass Gott uns verbunden hat.

 

Es kommt gar nicht darauf an, ob ich die Jungfrauengeburt für wahr halte. Luther war anscheinend daran gelegen, die Geburt Jesu so zu betonen. Anderes hat er weggelassen, z.B. die Himmelfahrt und den Glaubenssatz, dass Jesus Christus auf dem Richterstuhl sitzen wird.

 

Wir werden heute andere Glaubensbekenntnisse schreiben, andere Schwerpunkte setzen. „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.“ dichtete Dietrich Bonhoeffer.

 

Auf dieses „Wir“ kommt es an. Ein „Wir“, das nicht von einem unerschütterlichen Glauben getragen ist, sondern uns immer wieder ins Gottvertrauen führt. Die Eltern, die ich in ihrer Trauer begleite, stützen sich nicht auf meine Frömmigkeit. Das würde mich heillos überfordern. Aber sie sind bereit, hin und wieder mit mir zusammen Gott zu vertrauen. Gott trägt uns, das erlebe ich bei meinen Besuchen.

 

Daran erinnert Martin Luther auch in der zweiten Strophe seines Glaubensliedes: „Wir glauben auch an Jesus Christ, der ewig bei dem Vater ist.“

 

An Jesus Christ, der ewig bei dem Vater ist. Und wir sind es auch!

 

Geburt und Tod bleiben nicht im luftleeren Raum. Es gibt ein Davor und ein Danach „Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand,“ sagte Margot Käsmann bei ihrem Rücktritt vom Amt der Bischöfin. Ich möchte gerne ergänzen: In Gottes Hand sind wir (!) geborgen, im Leben wie im Sterben. Auch über den Tod hinaus!

 

Das Weihnachtsmotiv ist auch in unserem Kreuzgang verbunden mit der Kreuzigung im Bild darunter.

Im Grunde konzentriert sich Luther in seiner zweiten Strophe auf diese beiden Szenen, auf den Anfang und das Ende, auf Geburt und Tod. Das sind die beiden Fixpunkte auch unseres Lebens, Teil unserer Erfahrungswirklichkeit.

Aber das, was dieses Leben Jesu Christi einrahmt, ist größer. Es ist Gottes Ewigkeit, die wie aus dem Hintergrund auch in diese Welt wirkt.

 

Es gehört zu den Rätseln unserer Existenz, dass wir daran zweifeln. Dass wir das Wirken Gottes in dieser Welt nicht wahrnehmen. „Aber es ist doch offenkundig!“ so höre ich Luther predigen mit seinem Lied. „An Jesus Christus kannst Du es sehen.“

 

Deshalb ist ihm das Geheimnis der Geburt Jesu so wichtig, die Verbindung von Gott und Mensch, die ihm in der Jungfrauengeburt anschaulich wird. So deutet er auch das österliche Mysterium, das noch den schmachvollsten Tod überstrahlt.

 

Verloren wären wir, wenn wir allein das Kreuz sehen. Verloren wären wir, wenn wir den Mächten dieser Welt folgten. Aber Jesus Christus rettet uns.

 

Und wieder steht da dieses „Wir“: „Wir glauben auch an Jesus Christ …“

Es ist nicht mein Glaube, es ist auch nicht unser Glaube, der uns zusammenführt. Es ist Jesus Christus, der uns miteinander verbindet.

 

Wie das geschieht, kann ich jetzt nur noch andeuten: an dieser Stelle kommt der Heilige Geist ins Spiel, „der die ganze Christenheit auf Erden hält in einem Sinn gar eben.“

 

Das ist ein erstaunlicher Satz – 1524. Als Martin Luther dieses Glaubensbekenntnis dichtet, ist die Einheit der Kirche gerade zerbrochen und man wünscht sich gegenseitig zum Teufel. Aber der Reformator meint das ganz ernst, weil – so verstehe ich ihn – wir diese Einheit gar nicht zerstören können. Denn wir stellen sie auch nicht her, sie ist uns vorgegeben.

 

Wir können uns dieser Einheit allerdings in den Weg stellen. Uns selbst ausschließen. Aber das wird keinen Erfolg haben. „All Sünd vergeben werden.“

 

Für mich ist dies kein Geschehen in einer fernen Zukunft, sondern geschieht schon hier. Plötzlich ereignen sich Lichtblicke und Geistesblitze. Immer wieder erlebe ich, wie ich in das „Wir“ dieses Glaubensliedes hineingezogen werde.

 

Liebe Gemeinde,

 

ich gehe durch den Kreuzgang am Ratzeburger Dom. Vor 500, vielleicht 600 Jahren hat ein Maler das Glaubensbekenntnis in Bilder gefasst. Neben jeder Szene stehen links und rechts ein Apostel bzw. ein Prophet mit einem Spruchband, so als ob sie mit mir redeten. Und das tun sie ja! Ich bin nicht allein. Und die alten Zeuginnen und Zeugen auch nicht. Miteinander sind wir Kirche, gestern, heute und morgen: „Wir glauben all an einen Gott.“

 

Amen.



Domprobst Gert-Axel Reuß
Ratzeburg
E-Mail: gertaxel.reuss@ratzeburgerdom.de

(zurück zum Seitenanfang)