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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Die Bergpredigt , 2015

Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Mt.5,5, verfasst von Friedrich Jüngling

Wer besitzt heute das Erdreich ? Sind es die großen Staatsoberhäupter wie Putin, Obama, der chinesische Präsident? Oder religiös fundamentalistische Gruppen mit ihrem Terror ? Oder die Top-Manager von globalen Großbanken und globalen Hedge-Fonds, die mit ihrem Geld gegen ganze Staaten spekulieren können ? Oder mit den Geldströmen die Preise von Rohstoffen und Grundnahrungsmitteln mehr oder weniger beliebig verändern können ?

 

Wie kommt Mann oder Frau an die Spitze der Macht oder an ein so großes Vermögen, dass damit das Erdreich quasi besitzt / gesteuert werden kann ? Was zeichnet die Menschen aus, die an solchen Schalthebeln der Macht sitzen oder als Mächtige bezeichnet werden ?

 

Spontan sind das Merkmale wie ein starker eigener Wille, Durchsetzungsstärke, Rücksichtslosigkeit und Taktik, auch Gewalt. Regieren – Macht – Machtausüben hat seine Reize – dabei hat Sanftmütigkeit auf den ersten Blick doch keinen Platz. Kann man damit in der heutigen Welt und ihren Spielregeln erfolgreich sein ? Dass ausgerechnet ein als entgegengesetzt eingestufter Wert wie Sanftmütigkeit zum „Besitz des Erdreiches“ führen könnte – verstört. – Auf den ersten Blick.

 

Als ich vor einiger Zeit die Seligpreisungen in einem Gottesdienst wieder hörte, fiel mir auf, dass die Seligpreisung der Sanftmütigen die einzige der acht Seligpreisungen ist, die auf einen irdischen Begriff, auf das diesseitige Leben mit dem Erben und Besitzen des Erdreichs zielt. Die anderen Seligsprechungen verweisen auf Nicht-Materielles, Überirdisches: das Himmelreich, Trost, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Gott schauen und Gottes Kinder heißen. Darin liegt hier für mich eine besondere Spannung, die viele Fragen

und Gedanken um die zwei Pole bereithält:

 

Was ist mit Sanftmütigkeit und das Erdreich besitzen oder erben gemeint und wie wirkt beides zusammen ?

 

Sanftmütigkeit übersetzen wir gemeinhin als „lieb, nett, niemandem wehtun“. Im Duden steht: eine geduldige Gemütsart, ein sanftes, zartes Wesen, verbunden mit Begriffen wie Friedfertigkeit, Güte, Milde, Weichheit, Zartheit. Bei Aristoteles und in der Psychologie wird das so verstanden:

Sanftheit zeichnet sich dadurch aus, dass man sich nicht vom Zorn hinreissen läßt, Härten im Affekt-Handeln vermeidet und im Umgang mit Menschen und Sachen behutsam vorgeht; als eine Art von Vorsicht, die keinen Schaden an den Anderen herankommen lassen will. Sanftmut steht dort im Gegenpol zur Gewaltsamkeit, zu Zornausbrüchen, ungerechten schnellen, heftigen Reaktionen. Letztere verbinden wir eigentlich eher mit Verhaltensweisen, die wir aus der Vergangenheit, unseren Erfahrungen und auch Vorurteilen den Welten-Herrschern zuschreiben. Dazu komme ich etwas später nochmal.

 

Die Sanftmütigen – sind das die „Softies“ ?  Da besteht ein Spannungsverhältnis:

Die Beschreibungen von Sanftmütigkeit sind einerseits anziehend, erwärmend für uns – wir sehnen uns nach jemand, der uns diese Zugewandtheit und Wärme gibt. Das sind Eigenschaften, die wir aus der Perspektive des kleinen Kindes unseren Müttern zuschreiben. In unserer schnell-lebigen Welt und der Welt der Erwachsenen, haben diese Verhaltensweisen so erst mal keinen Platz und wahrscheinlich haben wir gerade deswegen die Sehnsucht danach.

Andererseits schreckt uns das vielleicht vor unseren Augen entstehende Bild eines „Softies“ etwas ab. Von Menschen, die wir mit diesem Bild verbinden, erwarten wir nicht unbedingt harte Entscheidungen, wenn es (für uns) darauf ankommt, also, wenn sich jemand für uns einsetzen soll. Mit den Eigenschaften von Milde, Weichheit, Zartheit verstehen wir eher ein Durchwursteln, ein Konflikten aus dem Weg gehen, ein Niemandem weh tun wollen. So jemanden wünschen wir uns nicht unbedingt als Chef undVorgesetzten. Und im privaten Umfeld würde mich interessieren, ob Sie jemand mit diesem Bild Beschriebenen kennen und ob Sie ein positives Bild von diesem Menschen haben.

 

Wenn wir in die Bibel blicken, finden wir etwas weiter im Text des Matthäus-Evangeliums eine Selbstbeschreibung von Jesus, die er an seine Jünger weitergibt: „Nehmt auf Euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet Ihr Ruhe finden für Eure Seelen“. Damit entsteht noch eine weitere Perspektive, die mich fasziniert: Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen und inneren Frieden haben !

 

Dazu habe ich noch aus Psalm 25.9 gefunden: „Er leitet die Sanftmütigen im Recht und lehrt die Sanftmütigen seinen Weg“. Die Sanftmütigen haben also Gott als Lehrer und Unterstützer an ihrer Seite. Was für eine Zusage und Ermutigung !

 

Bei der Sanftmütigkeit darf es nicht um eine falsch verstandene Unempfindlichkeit/ Gleichgültigkeit gegen die Widrigkeiten dieser Welt gehen. Wegsehen und Ignorieren ist hier falsch am Platz und auch nicht gemeint. Das Wissen um die Probleme und Ungerechtigkeiten verbunden mit einer Friedensfähigkeit und gezügeltem Zorn, dem wie oben beschriebenen vorsichtigen Umgang mit Menschen und Sachen versetzt uns erst in die Lage, bewußt eine Mitte und das richtige Maß zu finden und damit sanftmütig zu agieren. Dazu braucht es zuweilen richtiggehend Mut. In der Literatur wird Sanftmut auch in die Kardinaltugend der Tapferkeit verortet. Diese besondere Charaktereigenschaft hat bei einigen Herrschern – wenn auch bei wenigen - zum Beinamen „der Sanftmütige“ geführt. Zum Beispiel bei Friedrich II. von Sachsen, Heinrich dem Sanftmütigen (Österreich) und Ludwig IV von der Pfalz.

 

Zusammenfassend gibt dies aus den heiligen Schriften ein klares Bild und eine klare Botschaft an die Welt und an uns: Sanftmütigkeit richtig und recht angewandt ist das Gebot und die Zusage, neben dem „das Erdreich besitzen – dazu gleich mehr – auch mit Ruhe für die Seele und innerem Frieden gesegnet sein.

 

Ich frage mich, wie das zusammengeht. Damit zum zweiten Teil, dem „Erdreich besitzen“:

 

Ist mit „das Erdreich besitzen“ Reichtum und Macht in unserem heutigen Verständnis gemeint ? Eine andere Übersetzung dafür lautet: „werden das Land erben“.

 

Die Christenheit hat mit Reichtum durchaus positive Bilder, aber bekanntermaßen auch ein Problem. Jeder kennt das Zitat: „eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als denn ein Reicher in den Himmel kommt“. Ähnlich verhält es sich mit dem Verhältnis zu den Mächtigen. Die Beschreibungen hierzu sind auch sehr zwiespältig.

 

Meine Übertragung dieser Bilder ist etwas anders: Wenn in der Bibel von Besitz/besitzen die Rede ist, geht es im allgemeinen immer um Land, seine Früchte, den Lebensraum und die Lebensgrundlage für das Volk Gottes und die, die an ihn glauben. Das fängt bei Mose an und zieht sich durch das ganze alte und neue Testament.

Ich verstehe „das Erdreich besitzen“ nicht im Sinn von irdenem Reichtum und/oder von Macht haben. Besitzen und erben beziehe ich stärker auf den Aspekt: Verfügung über etwas haben, damit etwas zu „vermögen“.

 

Damit gerät nicht die absolute Höhe des Besitzes, der Umfang des Vermögens und die Machtfülle ins Blickfeld, Es geht also nicht um die Frage, ob es gut oder gerecht sei, daß Bill Gates zum Beispiel zu den reichsten Menschen dieser Welt zählt. Es geht um die Frage, wie geht Mann oder Frau mit dem Vermögen um, also die Perspektive des „Wie nutzen“. Den Besitz und das Anvertraute richtig und gut nutzen ist ein urchristlicher Auftrag. Da fällt mir sofort das Gleichnis über den Umgang mit den anvertrauten Talenten ein. Menschen, die mit ihren Talenten (im Übrigen ein anderes Wort für eine damalige Währung !) richtig umgehen, machen sich und andere im übertragenen Sinn reich. Das Wort „vermögen“ heißt ja auch etwas tun können/dürfen und in diesem Verständnis sogar „sollen“.

 

Bereits ein Kapitel nach den Seligpreisungen spricht Jesus davon, dass es nicht darum geht, Schätze auf Erden zu sammeln, „wo sie die Motten und der Rost fressen“, sondern um die Schätze im Himmel, dem Dienen Gottes statt des Mammons. Wer die Vermehrung von eigenem Besitz zu seinem ausschließlichen und zentralen Mittelpunkt macht, verliert sein Vermögen, gemeint ist hier das Können und Wollen, mit dem „besitzen“ im Sinne Christi umzugehen.

 

Die Ergebnisse solchen Handelns sind uns allen geläufig. Da regiert dann grenzenlose Gier und Missgunst. Das hohe Lied des „Geiz ist geil“ ist dann noch die schrille Begleitmusik zu Egoismus pur- ohne jede Rücksichtnahme. Es ist eine uralte Weisheit, dass Maßlosigkeit zu nichts Gutem führt und solange das Gefühl für das Einhalten von Maß und Mitte und die Erkenntnis wofür man was tut, fehlen, werden alle Versuche, diese Missbräuche über Regulierungen und Gesetze wieder in den Griff zu kriegen misslingen. Die derzeitigen Versuche einer großen Bank zeigen, wie schwierig die Wiederherstellung von Vertrauen und

einer positiven Unternehmenskultur sind, wenn diese Orientierung einmal abhanden gekommen ist.

 

Auch für den Umgang mit Besitz und dem Wie des Besitzens gilt es das richtige Maß zu finden. Nicht die absolute Höhe und die Verfügungsgewalt an sich, sondern die Art und Weise des Umgangs ist das Thema.

 

 

Und damit bekommt die Sanftmütigkeit mit der Zusage aus der Seligpreisung den Erdkreis zu besitzen einen Sinnzusammenhang. Beides zusammen, Sanftmütigkeit und Besitzen richtig angewandt und eingesetzt bewirkt dann Seliges/Gutes.

 

Es geht bei dieser Seligpreisung nach meiner Ansicht also nicht um die Zusage, mit Sanftmütigkeit zu sagenhaftem Reichtum oder ein weltliches Verständnis von Macht zu gelangen. Es geht darum, mit dem richtigen Maß und einem angemessenen Verhalten sanftmütig auf und über die Belange unserer täglichen Herausforderungen zu reagieren. Damit erhalten wir den Überblick, was wir mit unseren jeweiligen Mitteln vermögen und wofür wir diese einsetzen. Das auf den ersten Blick entstandene Bild, in dieser Seligpreisung gehe es um eine besonders weltlich bezogene Zusage im Vergleich zu den anderen Zusagen der Seligpreisungen wäre damit zu korrigieren.

 

Wie halten wir es mit dieser nun doch provozierenden Aussage von Jesus ? Haben wir den Mut zur kräftigen Sanftheit mit Augenmaß, verbunden mit der Aussicht auf inneren Frieden ? Unser Gebet und die Erinnerung an diese Seligpreisung werden uns die Kraft und die Weisheit geben mit unseren Talenten und unserem Vermögen auf der richtigen Spur zu bleiben und in diesem Sinn „das Erdreich zu besitzen“.



Friedrich Jüngling
Bad Homburg
E-Mail: Friedrich.jüngling@gmx.de

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