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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2015

Jahreslosung 2016, verfasst von Suse Günther

Predigt für Sylvester, 31.12.2015, 16.00h

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

 

Jahreslosung:

Jes 66,13

Gott spricht: Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet

 

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort. Und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

 

Liebe Gemeinde!

Denken Sie einmal zurück an eine Wallfahrt oder auch eine andere Wanderung, die Sie einmal gemacht haben. Sie hatten Ihr Ziel vor Augen, schon von weitem war die Kirche zu sehen, auf die Sie sich zubewegten, denn oft liegen solche Wallfahrtskirchen an einer erhöhten Stelle.

Von anderen Seiten kamen andere Pilger und Wanderer zum Ziel. Jeder hatte diese Kirche vor Augen, aber von jeder Seite sah sie anders aus. Für den einen lag sie in der Sonne, für den anderen im Schatten. Von einer Seite aus war die Tür zu erkennen, von der anderen Seite die Apsis. Unterschiedliche Eindrücke, aber doch immer dieselbe Kirche.

So ergeht es uns, wenn wir uns Gott nähern. Er zeigt sich von unterschiedlichen Seiten. Einmal haben wir seine väterliche Seite vor Augen. Die behütende, manchmal auch autoritäre Hilfe eines Vaters, der im Leben Orientierung gibt.

Ein anderes Mal ist es die liebevolle, brüderliche Seite Jesu, zu der wir Zugang finden.

Und wieder ein anderes Mal ist es die Kraft eines guten Geistes, die uns ganz neu in Bewegung bringt.

Drei Seiten eines Gottes, der sich uns jedes Mal ganz neu offenbart, der aber immer derselbe Gott ist.

 

In der Jahreslosung für das neue Jahr wird eine weitere Sichtweise angesprochen. Eine, zu der Sie als katholische Christen wahrscheinlich einen ganz besonderen Zugang haben: Die mütterliche Seite Gottes. Immer wieder betonen mir katholischen Christen, dass sie eine ganz besondere Beziehung zur Mutter Maria haben, dass diese Muttergottes eigentlich diejenige ist, die den Zugang zu Gott erst möglich macht. Diese menschliche, tröstliche Frau, die die Leiden der Menschen nachvollziehen kann, weil sie sie selbst durchlebt hat, ebnet sozusagen den unsren Weg zu Gott. Sie ist damit nicht nur die Mutter Jesu, sondern unser aller Mütter.

 

Nun ist aber in der Jahreslosung erst einmal nicht von Maria die Rede. Der Vers aus dem Jesajabuch ist etwa 2500 Jahre alt, also 500 Jahre älter als Maria. Er ist aber ebenso revolutionär, wie es Maria war und ist.

Revolutionär, weil er ganz neue Verhältnisse schafft. Im vorderen Orient, das wissen wir nun nach dem vergangenen Jahr, in dem wir uns so intensiv beschäftigt haben mit syrischen Flüchtlingen und deren Hintergrund, ist die Rolle der Frau sehr genau festgelegt. Immer noch in unsren Tagen, auch zur Zeit Jesu – als nur männliche Jünger und Geschwister erwähnenswert weil für den Fortbestand der Familie wichtig waren.

Aber noch einmal mehr im Judentum 500 Jahre vor Christus. Gott war damals und ist es für viele bis heute ein väterlicher Gott. Der Gott der Stammväter Abraham, Jakob, Josef und Mose. Der Gott, der den Weg zeigt und auch strafend eingreift. Der sein Volk in die babylonische Verbannung ziehen lässt, als es zu aufmüpfig geworden ist. Der dieses Volk dann dort aber begleitet und auch wieder zurückführt. Der Gott, auf den man sich verlassen kann und an dem man sich halten kann.

Diesen Gott lässt Jesaja nun von sich sagen: Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Damit wird alles, was damals gut und richtig war, auf den Kopf gestellt: Ein Gott, der sich selbst als gefühlvoll, als verständnisvoll, als tröstlich beschreibt, wo hatte es so etwas schon einmal gegeben?

Ein Gott, der sich nicht als Übervater zeigt, sondern sich zu seinen Leuten hält, der sozusagen Bodenpersonal wird statt Pilot?

 

Damit werden die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Ich weiß gar nicht, ob die Israeliten im Jahr 500 v. Chr. Sich einen solchen Gott überhaupt vorstellen konnten und wollten, ob sie sich der Kirche auf dem Berg überhaupt von dieser Seite her, von der unscheinbaren Geborgenheit bietenden Ecke her nähern wollten. Oder ob sie nicht den Weg zum sonnigen Eingangstor vorgezogen haben.

Wir heute haben es da leichter. Das Bild der Muttergottes ist uns geläufig. Aber ja: Auch Maria stellte die Verhältnisse auf den Kopf. Im Magnificat des Lukasevangeliums sagt sie: „Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Er füllt die Hungrigen mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“

 

Kann es sein, dass Gott die Frauen genau dazu braucht: Dass er uns Frauen braucht um seine ganz neue Sichtweise dieser Welt anderen zu vermitteln? Dass er uns das zutraut und von uns erwartet: Dass wir die Verhältnisse auf den Kopf stellen?

Möchten wir einen solchen Gott überhaupt haben, einen Gott, der solche Ansprüche stellt? Wäre es uns nicht leichter, wenn alles immer so bliebe? Wenn Gott ein Gott der Väter wäre und uns sagt, wo es lang geht? Wenn von uns Menschen nicht zu viel Eigeninitiative erwartet würde und wir uns weiter bequem zurücklehnen könnten?

Für welchen Gott sind wir bereit?

 

Glücklicherweise müssen wir uns da heute, hier und jetzt gar nicht festlegen. Es wird auch in Zukunft mehrere Wege zur Kirche auf dem Berg gehen. Die breite Straße zum Haupteingang, der gewundene Pfad zum Glockenturm. Der steile Anstieg zur schattigen Ecke hinter der Apsis.

An manchem Tagen nehmen wir den einen, an manchen den anderen Zugang. Wie es unsere Kräfte zulassen und wie es uns entgegenkommt. Aber gut zu wissen, es gibt sie, diese mütterliche Seite Gottes. Wir dürfen uns Gott von dieser Seite her nähern. Wir dürfen uns auch von Gott von dieser Seite her in den Dienst nehmen lassen, Männer wie Frauen. Denn längst schreiben wir das Jahr 2015. Männer müssen nicht nur immer sagen, wo es lang geht. Sie dürfen auch mütterlich, tröstlich, spielerisch umgehen mit ihren Kindern und ihren Mitmenschen. Sie müssen nicht mehr immer nur Pilot sein. Sondern dürfen auch zum Bodenpersonal gehören. Manch einer musste Großvater werden, um diese Seite ganz neu für sich zu entdecken. Wie auch immer: Gott ermutigt uns dazu. Er beschreibt sich selbst als mütterlich. Wir orientieren uns an ihm.

Das allerdings ist auch richtig: Es gehört sehr viel Stärke zum mütterlichen Leben. Es gehört sehr viel Weitsicht dazu, zu erspüren, wo und wie ein anderer des Trostes bedarf.

Aber was bräuchten wir mehr im neuen Jahr als genau diese Weitsicht: Dass da jemand erspürt, was wir brauchen und wie wir es brauchen.

Wir schön, dass unser väterlicher, mütterlicher, brüderlicher und bewegender Gott uns das zusagt. Was soll uns da schon passieren?

Amen



Pastorin Suse Günther
Zweibrücken
E-Mail: suse.guenther@web.de

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