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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2015

Jahreslosung 2016, verfasst von Uland Spahlinger

Jes. 66,13 – Jahreslosung 2016

Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter trös­tet.

Liebe Gemeinde,

was prägt eigentlich unser Leben? Wer prägt unser Leben? Woher be­ziehen wir unsere Anschau­ungen von gut und böse, richtig und falsch, wichtig oder ne­bensächlich?

Ein kleiner Ausflug ins Familienleben zu Beginn. Die Spiegelausga­be vom 19. Dezember 2015 trug den schönen Titel: „Sind Väter die besseren Mütter?“ Der Artikel zum Thema[1] ging der Frage nach, wie sich Väter in ihrem Umgang mit Kindern von Müttern unterscheiden. Wenn die Auto­rin recht hat, unter­scheiden sich Väter und Mütter in einem Aspekt gar nicht: nämlich der Zuwendung und Zuneigung zum Kind. Aber einen interessanten Unterschied machte sie schon fest: Wenn sich in einer Kleinkinder­gruppe Mütter treffen, dann spru­deln aus ihnen „die Ideen, was ihre Kinder jetzt noch alles brau­chen könnten: Schluck Tee? Stück Apfel? Windel voll? Mal laufen üben? Achtung, die Tischkante!“ Und dann erzählt sie von einer Va­ter-Kind-Krabbelgruppe, die sie in Berlin besucht hat: Papaladen heißt sie. „Drei Väter sind heute da. Sie haben ihre Schuhe ausgezogen und sitzen neben ihren Kin­dern am Boden. Eine Kiste Legosteine wird ausge­kippt. Die Babys robben, nuckeln an dem Spielzeug.

Und dann fällt etwas Sonderbares auf: kein Lärm, kein Quengeln, kein Gezeter. Eine Stunde lang weint kein Kind. Die Männer unter­halten sich mit­einander. In Ruhe.“

Woran liegt das, fragt die Autorin. Sie bringt die Vermutung eines Experten: „'Mutter sein heißt heu­te, sich ständig fragen zu müs­sen: Bin ich gerade gut genug? Was kann jetzt noch besser sein? Ist die Babyjacke zu dünn? Das Brötchen auch gesund? Soll ich noch schnell was singen?' Viel Druck, hohe Ansprüche.

Und die Väter? 'An die stellt niemand so hohe Er­wartungen', sagt der Experte. 'Man ist froh, wenn sie überhaupt etwas tun.' Er sehe (in seinem Papa­laden) Woche für Woche Männer, die ihrem Kind aus der Kleidung hülfen, kurz an der Windel röchen, ein Schlückchen Tee anböten. Und es dann, spielte es glücklich, auch zufrieden ließen.“

Mütter wollten eher alles gut ge­ordnet haben, meint die Autorin, Väter seien eher risikobereit und ließen den Dingen auch mal ihren Gang. Was nicht heißt, dass sie weniger sorgsam aufpassen oder we­niger aufmerksam für ihr Kind da sind. Beide – Va­ter und Mutter – sind für das Heranwachsen eines Kindes wichtig. Wie sich das im Einzel­fall dar­stellt und organisiert, hängt unter anderem da­von ab, wer mehr Zeit mit den Kin­dern verbringt.

 

Sie alle haben Ihre Erfahrungen mit Vater und Mut­ter. Kinder waren und sind wir alle. Kinder blei­ben wir unser ganzes Leben – selbst wenn wir schon lange erwachsen sind, vielleicht schon alt und selbst dann, wenn unsere Eltern schon gestorben sind. Viele von uns sind selbst Vater oder Mutter. Wir wissen, was das heißt: ein Kind will ein eige­ner Mensch werden. Es soll etwas von dem mitbe­kommen, was uns wichtig ist. Wir wollen unsere Kinder auf das selbständige Leben vorberei­ten. Behutsam, aber so, dass sie ihre eigenen Erfahrungen machen können. Immer wieder gibt es dabei Kon­flikte, manchmal heftige, wenn die nicht so wollen wie wir. Aber aufs Ganze gesehen ist es in den meisten Fällen doch so: Wir wol­len für unsere Kinder da sein, ihnen Rat und Orientierung geben. Und wir freuen uns, wenn sie später wiederkommen und unseren Rat oder unsere Meinung hören wollen. So wie wir – wenn es gut gelau­fen ist – zu unseren Eltern um Rat gegangen sind, als wir schon groß waren.

Es gibt vielleicht nichts Prägenderes in unserem Leben als die Be­ziehung zu unseren Eltern. Wenn die Wörter „Vater“ oder „Mutter“ fallen, dann sind sie sofort präsent: die Bilder vom Vater, der entwe­der da war oder ständig abwesend, der sich um uns ge­kümmert hat oder nichts mit uns anzufangen wusste. Oder eben die Mutter, die sich sorgte und uns half, die ein Pflaster aufgeklebt hat, wenn das Knie aufgeschürft war und die vielleicht manchmal ent­täuscht war, wenn das Essen uns nicht ge­schmeckt hat. Und wenn wir krank waren, haben sich vielleicht beide abgewechselt und am Bett Wache gehalten. Wohl dem Kind, das sich so auf seine El­tern ver­lassen konnte.

Denn sie sind da, die Bilder aus der Kindheit. Und sie bestimmen bis ins Altwerden unsere Wahrnehmungen und Gefühle, unser Hören und unser Rea­gieren – bis hinein in unseren Glauben, unsere Gottesbil­der. Wenn ich in unser Glaubensbuch schaue, die Bibel, dann finde ich im ganzen Alten Testament alle möglichen Gottesbezeichnungen: der Allmächti­ge, der Retter, der Schöpfer, der König, der Rich­ter und so weiter. Nicht aber: der Va­ter, nicht wirklich in dieser Form, höchstens indirekt, wenn nämlich über den König von Israel ge­sagt wird, er sie der Sohn Gottes. „Abba, lie­ber Vater“, das hat erst viel später Jesus ge­sagt. Und hat damit eine ganz neue Qualität in die Rede mit Gott gebracht. Da war nicht mehr die ent­fernte Macht, dieses Wissen um die große Distanz zwischen Gott und Mensch, sondern es kam eine Nähe, ja eine Ver­trautheit in die Sprache, die es so vorher nicht gegeben hatte. Gott – ein guter Va­ter, ein lieben­der Vater, einer, an den du dich wenden kannst mit dem, was dich bewegt oder gar belastet: Das war neu. Aber folgen können wir einem solchen Bild nur, wenn wir selbst ein positiv­es Bild vom Vater mitbringen. Unsere Wörter spiegeln unsere Erfahrungen wider.

Und nun, unerwartet und überraschend, finden wir eine ganz andere Bezeichnung für Gott, und das im Alten Testament. Er ist auch hier nicht mehr nur der Mächtige, der kommt, um die Gefange­nen Israels zu befreien. Er ist nicht mehr nur der, dem alle Wege begradigt und alle Berge einge­ebnet werden müssen – weil er der König aller Könige ist. Nein, da klingen ganz andere Töne an. Hören Sie: „Gott spricht: ich will euch trös­ten, wie einen seine Mutter trös­tet“ (Jes. 66,13).

Auch das ist neu – ganz neu. Vor diesem Gott musst du keine Furcht haben, vor ihm musst du dein Haupt nicht verbergen. Vielmehr kannst du deinen Kopf in seinem Schoß bergen. Nicht Gott der Kö­nig, nicht der Herr der Heerscharen, nicht einmal der Vater – wie gesagt, dieser Gedanke wurde erst viel, viel später bedeutsam. Nein, tatsächlich und auch wenn das in un­ser gelerntes Bild viel­leicht nur schwer hinein­passt: Gott die Mutter, Gott der oder die tröstet. Gott, der oder die rea­giert: auf Schmerz, auf Trauer, auf Einsamkeit, wenn wir nicht ver­standen werden, oder wenn wir ver­spottet werden, oder wenn uns ein großer Plan misslingt und wir enttäuscht oder traurig sind. Gott, der oder die reagiert mit nähe, mit gutem Wort, mit einer sanf­ten Berührung, mit einer Per­spektive, die wir nicht gesehen ha­ben.

„Gott spricht: ich will euch trösten, wie einen seine Mutter trös­tet“ (Jes. 66,13). Das ist die Jahres­losung für das heraufziehende Jahr 2016. Und wenn wir uns umschauen nach hinten und nach vorn, dann hat die Welt viel Trost nötig: die, die einen Menschen aus ihrem engen Le­bensraum verloren ha­ben. Die, gesundheitlich so sehr beeinträchtigt wurden, dass sie ihr Leben, wie sie es kannten, nicht mehr weiterführen kön­nen. Die, denen mit der Arbeitsstelle auch die so­ziale und wirtschaftliche Grundlage für sich und die Familie genommen wurde. Die, die vor Krieg und Gewalt fliehen und ihre Heimat verlassen und auf ungesicherten Wegen in eine unbek­annte Zukunft zie­hen müssen. Die, deren Seelen Angst quält – egal woher die kommt. Trost haben viele, viele unter uns nötig, noch viel mehr Menschen und aus noch viel mehr Gründen als ich hier nennen kann.

Gut, wenn dann solche da sind, die sich kümmern. Freunde, die zu­hören und nicht gleich alles wegre­den wollen, weil sie selbst das Elend nicht aus­halten. Geschwister, die die Tür aufmachen. Eltern für ihre Kinder oder Kinder für ihre Eltern. Väter anders als Müt­ter. Alte Menschen mit ihrer Lebens­erfahrung und Weisheit anders als Kleinkinder, die sehr genau spüren, wo Trost nottut.

Und dann eben Gott: so überraschend damals, dass mit Gott das fei­ne Gespür für Trostsituationen verbunden wurde. Die mütterliche Seite Gottes ist hier die Trostseite. Die behutsame, ja die zärtlic­he Seite Gottes, die wir so oft verschweigen und verdrängen. Gott die Trösterin will gar nicht mehr alles erklären. Sie weiß, dass wir Menschen man­ches nicht erklären und nicht verstehen kön­nen – auch nicht erklären oder verstehen müssen. Aber sie weiß um unseren Schmerz, unseren Kum­mer, unse­re Ängste angesichts von Ver­lusten oder übergroß unsicher scheinender Zukunft. Denn echter Trost heißt ja nicht: „alles nicht so schlimm“, sondern: „du wirst weiterleben können.“

So ist er, unser Gott. So ist sie. Und ich sage das mit „er“ oder „sie“ nicht, weil es modern wäre oder weil ich damit an liebgewor­denen Sprachregeln kratzen wollte – einfach so, zum Spaß. Ich sage es deshalb, weil mir immer wichtiger wird: Wir können Gott nie ganz erfassen. Wir werden mit Gott immer wieder aufs Neue vor Überraschungen erleben – Un­erwartetes. Gut wenn wir das er­kennen und in unse­ren Glauben hineinlassen, so wie es zum Beispiel Johann Jakob Schütz getan hat. Der hat schon 1675 das Lied „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut“ (EG 326) geschrieben. Und darin redet er so­wohl vom „Vater aller Güte“ als auch davon, dass Gott „mit Mutter­händen“ die sei­nen auf ihren Wegen leitet.

Ja, Gott ist Vater und Mutter, Schöpfer und Vollender, allmächti­ger Herr und schutzbedürftiges Kind, gerecht und barmherzig, mah­nend und trost­reich. Und noch viel mehr.

Gott will in unser Leben hinein. Zu den Zeiten, in denen es uns gut geht und wir voller Lebenskraft und Selbstvertrauen sind. Aber eben genau so – und vielleicht sogar noch mehr – wenn wir Trost brau­chen, guten Zuspruch, die mütterliche Seite Got­tes. Gott zeigt sie uns, diese mütterliche Seite. Wir dürfen sie von Gott erwar­ten. Und wir dürfen uns darauf verlassen, dass uns als Kindern Got­tes auch diese mütterliche Seite zugesprochen ist. Im alten wie im neuen Jahr.

Amen.

 

[1]  DER SPIEGEL 52/19.12.2015; Art. Kerstin Kullmann „Lasst die Väter ran“, S. 106-112



Dekan Uland Spahlinger
Dinkelsbühl
E-Mail: uland.spahlinger@elkb.de

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