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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

------------------- 10.02.2016 , verfasst von Eberhard Busch

„Ein neues Gebot“, sagt Jesus. Haben wir richtig gehört? schon wieder ein neues Gebot? Wo es doch schon so viele gibt! „Ein neues Gebot“, sagt Jesus. Aber hören wir gut zu! Es ist kein weiteres, es ist vielmehr ein anderes als alle uns sonst bekannten Gebote. Es ist anders als das, was uns gewisse Vorgesetze gebieten mögen oder wozu uns allerlei Vorschriften anhalten. Es ist auch anders als das, was uns Mächte und Gewohnheiten heimlich einflüstern und doch sehr gebieterisch vorschreiben: Das und das sei immer schon so gewesen oder das und das sei jetzt modern; so oder so man müsse sich danach richten.

„Ein neues Gebot gebe ich euch“, sagt Jesus. Inwiefern ist es anders als alle anderen Gebote? Dieses Gebot ist neu und anders, weil es eine bestimmte Voraussetzung hat. Und diese Voraussetzung besteht darin, dass Jesus Christus, der uns das gebietet, dieses Gebot schon gehalten hat. „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch liebt, so wie ich euch geliebt habe.“ Er selbst hat also dieses Gebot längst gehalten. Er hat es erfüllt, bevor er es uns aufträgt. Er hat uns geliebt, was auch immer wir gemacht haben und wie auch immer wir dran sind. Er hat uns im Voraus geliebt, bevor wir das merken konnten, wie es in dem Lied heißt: „Er, der über uns schon wachte, als ich kaum zu sein begann, nahm sich meiner herzlich an, eh’ ich seiner noch gedachte.“

Unser Predigttext steht im 13. Kapitel des Johannesevangeliums. Wenn wir es im ganzen lesen, merken wir, dass es davon redet, wie Jesus da bereits ausblickt auf den Weg, der ihn ans Kreuz führen wird. Doch redet er mit erstaunlichen Worten davon: Er werde dort „verklärt“ oder verherrlicht. Es werde dort in aller Klarheit ans Licht treten – nämlich eben dies, wie sehr Gott uns in ihm liebt. Was dort ans Licht kommt ist dies, wie es in der Bibel heißt (1. Joh. 3,16): „Daran erkennen wir die Liebe, dass Er sein Leben für uns gelassen hat.“ Dieses Eintreten für uns ist so etwas wie der Faden, an dem unser ganzes Leben hängt.

Für uns hat er das getan – nicht etwa, weil wir so sympathische Gesellen für ihn wären, sondern obwohl wir in Wahrheit das nicht sind. Für uns – obwohl die Liebe bei uns doch so handgreiflich nicht regiert, sondern die Gleichgültigkeit, Lüge, Streit, Geiz und Gemeinheit. Und trotzdem hat er uns geliebt, gerade uns. Und das so sehr, dass er sein kostbares Leben für uns einsetzte. Er hat uns so geliebt, dass er sich über all die offenen und versteckten Bosheiten der Menschen – nicht etwa entrüstet hat, auch nicht blindlings darüber hinweggesetzt hat. Gelitten hat er darunter. Auf seine Schultern genommen hat er sie. Um all die Verkehrtheiten von uns fortzutragen und aus der Welt zu schaffen. „All Sünd hast du getragen, sonst müssten wir verzagen.“

Er hat uns so geliebt, dass wir das durch keinen Unglauben und keine Untreue mehr durchstreichen können. Das steht fest, auch wenn wir sein Gebot wieder und wieder übertreten. Das gilt, gleich, wie wir uns dazu stellen. Vielmehr darf sich nun ein jeder und eine jede darauf verlassen und daran halten und darüber sich freuen: Er liebt mich! Auch wenn wir es einmal schwer haben, auch wir einmal einen groben Irrtum begehen, auch wenn unser Leben vielleicht nur noch kurze Zeit dauern sollte – das steht in jedem Fall fest und daran gibt es nichts zu rütteln: wir sind in seiner Liebe nie aufgegeben, sondern gehalten und getragen.

Doch denken wir daran, dass er niemals nur „mich“ allein liebt. Jesus sagt: „Ich habe euch geliebt.“ Ich darf mich niemals damit trösten, dass er mich liebt, solange ich vergesse oder nicht gelten lassen will, dass er auch die Anderen liebt. Auch den, der mit auf die Nerven geht, auch den, den ich nicht verstehe, und den, der mir gleichgültig ist, auch meinen Gegner und Feind. In einer heißen Parlamentsdebatte so um 1950 hat einst ein aufrechter Christ Gustav Heinemann gesagt: Er könne nicht mitmachen bei dem Kampf „Christentum gegen Marxismus“. Denn „Christus ist nicht gegen Karl Marx gestorben, sondern für uns alle“. Heute gibt es wohl andere Gegner, gegen die man „das Christentum“ mobil machen könnte. Aber machen wir uns klar, dass wir von Christus immer nur mit den Anderen, vielleicht sehr Anderen geliebt sind.

Und eben Er, der uns derart beschenkt, der nimmt uns auch in Pflicht. „Ein neues Gebot gebe ich euch“, sagt er, und das hat den einen Inhalt: „dass ihr euch lieben sollt“, Er gebietet uns das nicht, ohne uns vorher etwas zu bieten: seine große Liebe! Aber weil er uns das bietet, darum kann er das nun auch von erwarten, dass wir einander lieben sollen. Ich entsinne mich an eine Unterhaltung mit jüngeren Menschen darüber, was das wichtigste Ziel in der Erziehung sei. Die überwiegende Meinung lautete: Das Wichtigste sei dabei, dass man lerne, sich anständig aufzuführen. Vielleicht meinten sie ja etwas Richtiges. Aber lieben – das ist noch einmal etwas Anderes als Anständigsein. In der rechten Liebe weiß man: Ich bin jemand, der selber viel Liebe braucht, ja, der Vergebung braucht. Das weiß ein so genannter Anständiger gewöhnlich nicht. Wer richtig liebt, der weiß das. Und nur wer das weiß, der kann selber barmherzig sein und kann vergeben. Nur der kann lieben.

Als ich bei jener Unterhaltung fragte, was denn überhaupt Anständigsein heiße, da wurde geantwortet: Das heiße, nicht auffallen und nicht aus der Reihe tanzen in seiner Gruppe. Wenn das richtig ist, so ist das ein weiterer Punkt, an den sich die christliche Liebe von einer solchen Anständigkeit unterscheidet. Solche Anständigen entrüsten sich über solche, die irgendwo aus der Reihe tanzen. Christliche Liebe liebt gerade auch diese Menschen, die irgendwie anders sein, liebt sie, selbst wenn sie deren Tun nicht gutheißen. Christliche Liebe sucht auch sie zu verstehen, und wenn sie sie nicht versteht, so lässt sie sie doch nicht fallen. Sie geht auch mit unbequemen Mitmenschen barmherzig um. Wer nicht auch schwierige Zeitgenossen lieben will, der kann vielleicht überhaupt nicht recht lieben. Und es ist klar, wir können nicht recht lieben, wenn man nicht bereit ist, um der Liebe willen ungemütliche Weg zu gehen. Es hat wohl noch keiner wirklich geliebt, wer nicht den Mut hatte, auch einmal gegen den Strom zu schwimmen. Den Mut dazu, gelegentlich etwas anderes zu tun und zu sagen als das, was „man“ tut und „man“ sagt. Ohne solchen Mut kann keiner lieb sein.

Und nun will Jesus, dass wir diesen Mut der Liebe auf wirklich an den Tag legen. Er sagt: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ Was Jesus will, ist also, dass unser Glaube nicht bloß eine stille, verborgene Gefühlsangelegenheit ist, keine Sache, die „jeder mit sich selbst abmachen soll“, wie man so sagen hört. Er will, dass man das auch merkt, dass wir Christen sind. Dies nicht so, dass man das lärmend auf seinen Lippen trägt. Sondern ob wir Christen sind, das merkt man daran, wenn wir Liebe untereinander haben. „Daran wird jedermann erkennen, ob ihr meine Jünger seid“, sagt Jesus. Daran erkennt man es, wenn ihr Brücken baut da, wo andere Fronten machen. Daran, wenn ihr versöhnt da, wo andere hassen. Daran, wenn ihr offene Türen und offene Herzen habt da, wo andere sie zuschließen. Daran erkennt man es, dass ihr Jesus nachfolgt, „wenn ihr Liebe untereinander habt“.            

Wie schön dieses Wort „Liebe“! Obwohl es so zerredet ist, glänzt es immer wieder neu. Wer liebt, stößt nicht ab, aber vereinnahmt auch nicht. Rechte. Liebe ist nicht gleichgültig, sondern engagiert. Sie erdrückt nicht, sondern verschafft Luft. Sie ist entschiedene Tat, aber nicht ohne Zartgefühl. „Wer liebt, lässt jedem sein Recht zukommen“, sagt der Reformator Johannes Calvin. Liebe ist auch nicht blind, sie macht uns sehend. Und wie mancher Hungrige hat die Wohltat gespürt, wenn die Liebe auf einmal durch den Magen geht. Und wenn wir einmal entschlossen auf den Tisch schlagen müssen, so macht das der rechten Liebe keinen Abbruch. Und wo man keinen Ausweg sieht, da macht die Liebe erfinderisch.

Ist es wahr, dass gerade Christen einen Hang zum Streiten und Sich-Abgrenzen haben? Aber können wir uns denn tatsächlich gegen das Wort Jesu Christi stellen? Es ist das doch das Zeichen seiner Gegenwart unter uns, wenn wir Liebe untereinander haben.



Prof.Dr. Dr. mult. Eberhard Busch
Göttingen
E-Mail: Eberhard.busch@theologie.uni-goettingen.de

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