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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

, verfasst von Mira Stare

Liebe Schwestern und Brüder,

das Johannesevangelium widmet einen bemerkenswerten Teil, nämlich vom dreizehnten bis zum siebzehnten Kapitel, dem Abschied Jesu von den Seinen. Am Beginn macht er eine zeichenhafte Handlung an ihnen. Denn er wäscht ihnen die Füße. Dieser Handlung folgen die Abschiedsgespräche Jesu mit den Seinen. In ihnen geht er auch ausführlich auf die Fragen seiner verunsicherten Jüngergemeinde ein. Er tröstet und ermutigt sie und eröffnet neue Horizonten auch angesichts seines bevorstehenden Passionsweges. Am Schluss der Abschiedsgespräche betet Jesus vor den Seinen zu Gott, seinem Vater, und bringt auch in diesem Gebet noch einmal die Herzensanliegen seiner Sendung zur Sprache. In diesem gesamten Abschnitt des Johannesevangeliums wird wiederholt erwähnt, dass die Stunde Jesu – die Stunde seiner definitiven Liebe zu den Seinen – gekommen ist. So wird von Anfang an klar, dass diese Stunde nicht nur die Rückkehr Jesu aus dieser Welt zum Vater bedeutet, sondern auch die Offenbarung der Liebe Jesu zu den Seinen.

In dieser Stunde ist Jesus mit seinen Jüngern zum Mahl versammelt. Im Rahmen dieses Mahles vollbringt er ein Zeichen seiner Liebe. Er geht den Seinen mit seiner Liebe voraus. Er wartet nicht auf eine perfekte Gemeinschaft. Umgekehrt, gerade in dieser Stunde ist bei den Seinen, nämlich bei Judas Iskariot, sogar der Gedanke da, Jesus zu übergeben. Nun steht Jesus vom Mahl auf, unterbricht ohne äußeren Anlass das gemeinsame Mahl und beginnt den Seinen die Füße zu waschen und sie mit dem Leinentuch, mit dem er umgürtet ist, abzutrocknen. Das ist völlig ungewöhnlich auch zu seiner Zeit. Denn normalerweise wurden auch damals den Gästen die Füße vor dem Mahl gewaschen oder sie wuschen sie selbst. Da man zu Tisch lag, mussten die Füße in Augen- und Nasenhöhe sauber sein. Anders macht es Jesus. Er unterbricht das Mahlgeschehen und beginnt den Seinen mitten drinnen die Füße zu waschen. Hier werden die Füße nicht deswegen gewaschen, dass man mit dem Mahl beginnen kann. Jesus wäscht den Seinen die Füße, weil er ihnen dadurch ein Zeichen seiner Liebe erweist. Und diese Liebe steht im Zentrum des Geschehens.

Im weiteren Verlauf verbindet Jesus mit diesem Zeichen der Fußwaschung auch zwei Aufforderungen an die Seinen. Die erste Aufforderung kommt im anschließenden Gespräch mit Petrus zur Sprache. Petrus weigert sich:

„Herr, du wäschst meine Füße?“

„Keinesfalls sollst du meine Füße waschen in Ewigkeit.“

Die Antwort Jesu aber lautet:

„Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Teil mit mir.“

Jesus nennt die Bedingung, damit Petrus und die Seinen den „Teil“ mit ihm erlangen können. Diese Bedingung ist: den zeichenhaften Erweis seiner Liebe – hier die Fußwaschung – an sich geschehen und sich von ihm beschenken lassen. Das ist zugleich auch die erste Aufforderung Jesu: sich von ihm und dem Vater lieben lassen! Das Empfangen ist tatsächlich oft schwieriger als das Geben. Und doch ist das echte Schenken und die echte liebende Zuwendung ohne die eigene Erfahrung der Liebe und des Beschenktseins nicht möglich. Man kann lieben, nur wenn man zuerst selbst Liebe erfährt. Nur wer sich der Liebe Gottes öffnet und sie annimmt, kann die Gemeinschaft mit Jesus erfahren und kann diese auch weiter geben. Jesus geht uns mit seiner Liebe voraus. Wir sind von ihm bedingungslos geliebt – jede und jeder von uns.

Die zweite Aufforderung Jesu im Zusammenhang mit der Fußwaschung lautet:

„Begreift, was ich euch getan habe!“

Die Seinen sollen begreifen, was Jesus an ihnen als Herr und Meister mit der Fußwaschung getan hat. Die Intention Jesu geht aber noch weiter: Die Seinen sollen nach dem „Beispiel“ Jesu handeln und so auf seine Liebe antworten.

„Wenn nun ich eure Füße gewaschen habe,

der Herr und der Meister,

            müsst auch ihr einander die Füße waschen.

            Ein Beispiel nämlich habe ich euch gegeben,

            dass, wie ich euch getan habe, auch ihr tut.“ (Joh 13,14-15)

Diese Aufforderung erwähnt Jesus nicht nur einmal. In verstärkter Form als „neues Gebot“ thematisiert er sie, nachdem Judas vom gemeinsamen Mahl weggegangen ist:

„Ein neues Gebot gebe ich euch,

dass ihr liebt einander,

wie ich euch geliebt habe,

dass auch ihr liebt einander.“ (Joh 13,34)

Das Gebot ist „neu“, d. h. bisher unbekannt, noch nie da gewesen. Aber ist die Liebe zueinander wirklich etwas ganz Neues? In vielfältiger Weise zeigt sich doch bei allen Völkern und in allen Kulturen und Religionen, dass Menschen sich von dem gleichsam selbstverständlichen Gebot leiten lassen, einander zu lieben. Warum aber ist Jesu Gebot „neu“? Weil es mit ihm selber zu tun hat. „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ Für das kleine vergleichende Wort „wie“ kann man im Sinne des Griechischen auch das begründende Wort „weil“ einsetzen. Jesus gibt uns nicht nur ein Beispiel, an dem wir uns orientieren sollen, sondern er ist auch der Grund, warum wir das neue Gebot verwirklichen können. Wir lieben einander, weil er uns zuerst geliebt hat. Unsere Liebe hat den Antwort-Charakter. Zuerst geschieht die liebende Handlung Jesu an uns und aufgrund dieser Erfahrung sind wir befähigt und innerlich verpflichtet zur Handlung nach dem Vorbild Jesu, nämlich einander zu lieben und einander „Füße zu waschen“. Diese gelebte Liebe bleibt aber nicht unsichtbar. Jesus weist darauf hin, dass Leben nach dem neuen Gebot ein universales Erkennungszeichen ist.

„Darin werden alle erkennen,

dass ihr meine Jünger seid,

wenn ihr Liebe untereinander habt.“ (Joh 13,35)

 

Liebe Schwestern und Brüder,

die Stunde Jesu ist die Stunde seiner definitiven Liebe zu uns. In seiner Liebe macht Jesus uns fähig, einander zu lieben und dadurch ein Zeichen seiner Liebe in dieser Welt zu sein. Durch die Art, wie wir nach dem neuen Gebot leben, können auch andere Jesus erkennen, kann weiterhin etwas von der Herrlichkeit Gottes in dieser Welt aufleuchten. Haben wir Mut und Vertrauen, dass diese Sprache der Liebe für alle Menschen verständlich ist. Die Stunde Jesu ist die Stunde der Liebe – auch für uns und unsere Welt.



Dr. Mira Stare
Innsbruck
E-Mail: mira.stare@uibk.ac.at

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