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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

für unsere heutige Passionsandacht stellt uns die Bibel ein unvermutetes Bild vor Augen. Ein Bild, das etwas Großes veranschaulicht und damit Gefühle in uns weckt. Wir vermuten in der Passionszeit, Bilder der Passion gezeigt zu bekommen. Zum Beispiel Christus, ans Kreuz geheftet: kruzi-fixus. Ein Bild, bei dem wir überlegen, wie wir uns zu ihm verhalten. Ob wir aus ihm Kraft schöpfen können oder uns doch lieber abwenden mögen. Doch das heutige Bild ist offen, es lädt uns in den offenen Himmel ein. Ihm gegenüber erkennen wir, wie weit wir uns zwischen vielen Schreckensbildern eingelebt haben.

Heute also ein neues Bild, eins, das Gefühle verändert. Dazu hören wir den Evangelisten, der schreibt: Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. (Johannes 14, 1-3)

 

Liebe Gemeinde,

ein Haus mit vielen Wohnungen – was für ein unvermutetes Bild für den Himmel. Also keine Siedlung mit lauter Eigenheimen, sondern ein Haus mit vielen Wohnungen. Ein großes Haus mit einem Eingang und einem großen Dach. Ein Haus mit vielen Wohnzimmern und Kinderzimmern. Ist der Himmel ein Hotel? Oder eine Pension auf ewig?

In unserem Ort erfährt so ein Gebäude einen erstaunlichen Wandel. Gebaut als Hotel für „Sommerfrischler“, dann lange Jahre genutzt als Altenheim, und nun bewohnt mit Asylanten. Die Änderung der Bewohnerschaft hat auch uns verändert. Bisher haben wir dort Andachten für die Demenzerkrankten gehalten, jetzt trinken wir dort mit den Muslimen ihren starken Tee. Ich vergleiche uns nicht mit Asylanten, aber sie zeigen uns, wie stark ein Dach über dem Kopf hilft gegen starke Schrecken. Denn darauf zielt Jesus, wenn er vor dem Bild vom großen Haus sagt: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“

 

In dem Befehl an seine Jünger, nicht innerlich vor Schreck zu erstarren, bündelt Jesus gleich mehrere Hilfen.

Zum einen spricht er offen an, dass aktuell ihre Herzen von Schrecken angegriffen werden. Denn Jesus hatte am Vorabend Judas geoutet als seinen Verräter und nun auch Petrus als seinen Verleugner. Auch die Fußwaschung und die Aufforderung zur Liebe entkräfteten nicht die klamme Angst, dass Jesu Leidensweg ins Todesdunkel führen könnte. Doch in dem Befehl, das Herz nicht dem Tode preiszugeben, löst Jesus den Blick weg von der Angst hin zur Grundbeziehung: „Glaubt an Gott und glaubt an mich!“

Zum anderen meint Jesus es radikal. Er bietet mehr an als nur, Ängste abzuschwächen. Vielmehr sagt er: „Diese Welt habe ich bereits überwunden, und deswegen: Glaubt! Habt Vertrauen! Entfürchtet Euch!“

Zum dritten bindet Jesus sich selbst ein. Er befiehlt doppelt - an ihn und an Gott zu glauben. Damit meint er sich als bereits Auferstandener. Denn die Einigkeit der Beiden vollzog sich bei der Himmelfahrt. Zur Rückholung in den Himmel musste Jesus aber von den auferweckt sein. Ohne die Auferweckung hätten wir aber keine Hoffnung. Doch mit Gott gemeinsam stärkt uns der Auferstandene unseren Glauben.

Noch eine Ermutigung kommt hinzu. Jesu Befehl, die Herzen nicht im Schrecken einzumauern, mündet ja in der Gewissheit der himmlischen Schutzräume. So entsteht unsere Sehnsucht, unsere Lust, unsere Vorfreude.

 

Liebe Gemeinde,

mich berührt das Bild der vorbereiteten Wohnungen. Sagt es doch der Jesus, der als Wanderprediger herumzog. Der sich abends oft Steine suchte als Kopfkissen. Der sich mittags was zu trinken suchte an Brunnen. Der in der Wüste den Einklang mit Gott fand. Der im kühlen Garten betete.

Ich merke, wie viele eigene Lebenszimmer ich in Gottes Wolkenwohnungen wieder entdecke. Mein Geburtshaus, meinen Kindergarten, meine Studentenbude. Dabei spüre ich, wie beschützt und behütet ich war. In vielen Lebensräumen und auch auf den Fluren dazwischen. Ich danke Gott zutiefst, dass er mir so viel Zutrauen entgegengebracht hat, dass ich mehrmals mit dem Schrecken davongekommen bin. Das gibt mir eine Geborgenheit und Gelassenheit, bei ihm noch mehr zu entdecken und noch mehr zu erwarten.

Dann beeindruckt mich das Bild der himmlischen Wohnungen aus dem Munde Jesu noch mehr. Weil ich mich erinnere, wie unwürdig seine Geburt im Stall war. Und wie unwürdig seine Schändung auf Golgatha war, jener Schädelstätte außerhalb aller Wohnsiedlungen. Wer so unversorgt im Steingrab lag, will nicht mutterseelenallein die Ewigkeit verbringen. Ihm reicht auch nicht ein privater „Stuhl im Orbit“(1), er will mit uns wieder „in einem Boot“ sitzen. Im gleichen Himmel, ohne Schrecken und Geschrei, „mit Syrern und Sachsen“(2)!

Dieser Jesus Christus hat also, kaum im Himmel angekommen, sofort die Ärmel hochgekrempelt und mit der Inneneinrichtung begonnen. Darf ich mir das praktisch vorstellen? Fenster nach Süden, Müllentsorgung zur Straße, große Wohnküche, helle Böden? Oder doch eher ein Beduinenzelt? Als Wohnlandschaft mit Liegekissen? Oder doch nur eine Wellblechhütte ohne Strom und Wasser? Doch nicht etwa nur Plastikplanen vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen!? Das Bild vom Vaterhaus mit vielen Wohneinheiten aus dem Munde Jesu beflügelt meine Phantasie. Aber dann holen mich die nächsten Sätze Jesu doch wieder „auf den Teppich“. Denn ihm geht es nicht darum, den Himmel zuzustellen mit Wohn-Accessoires, sondern alles vorzubereiten, um uns heimzuholen.

Nach Sterben, Auferstehung und Himmelfahrt entwirft Gott den Grundriss seines „Vaterhauses“. Und nun füllt er die Anträge auf Familienzusammenführung aus. Oder – in seinen Worten: Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin.

Mit diesem Bild der übernächsten Station kommt der irdische Jesus zu seinen Freunden, die noch zwischen Schrecken und Vermutungen eingeklemmt sind. Auch zu uns, die wir noch Restzweifel haben. Ob wir in unserer Trutzburg verharren wollen, weil wir uns im Schrecken und Wahnsinn doch ganz gut eingerichtet haben, oder ob wir zum Aufbruch bereit sind. Zum Aufbruch mit dem Auferstandenen, mit ihm die Wege durch Leid und Entbehrung mitzugehen. In der Gewissheit, dass er sich schon ausgemalt hat, wo er mit allen unter einem Dach sein wird.

Amen.



Pfarrer Manfred Mielke
51580 Reichshof
E-Mail: manfred.mielke@ekir.de

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