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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

, verfasst von Wolfgang Winter

(1) Nicht erschüttern lasse sich euer Herz! Glaubt an Gott und glaubt an mich! (2) Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; wäre es nicht so, hätte ich euch sonst gesagt: ich gehe hin, um euch eine Stätte zu bereiten? (3) Wenn ich hingegangen bin und euch eine Stätte bereitet habe, dann komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr seid, wo ich bin.

 

Liebe Gemeinde,

Die Passionszeit ist für Viele eine Zeit der Selbstbesinnung. Was fundiert und grundiert mein Leben? Woran orientiere ich mich in meiner Lebensführung? Worauf hoffe ich? Und die kirchliche Tradition der Fastenzeit kann dabei helfen, bei der Sache zu bleiben.

Selbstbesinnung führt aber nicht umstandslos zur meist erhofften inneren Ruhe und Gelassenheit. Im Gegenteil stoßen wir wohl eher auf unsere inneren Spannungen, Ängste und Konflikte. Wer in den vergangenen Monaten an der Willkommenshaltung gegenüber den Flüchtlingen teilgenommen hat, wird nun vielleicht mit einem gewissen Erschrecken auch recht ambivalente Gefühle, darunter auch Widerwillen und Überdruß bei sich entdecken. Anderen wird die schon länger untergründig quälende Angst um sozialen Abstieg und der ständige Leistungsdruck bewußt werden. Es gibt viele Ängste in uns und zwischen uns. Soziologen meinen, dass die meisten zu tun haben mit unserer Angst, Sicherheit und Geborgenheit zu verlieren und herauszufallen aus tragenden Bindungen und Beziehungen. Wer da herausgefallen ist, erlebt manchmal so etwas wie einen sozialen Tod, lange vor dem biologischen Tod. Solcherart Selbstbesinnung wirkt nicht gerade entspannend. Sie macht eher unruhig und erschüttert unser alltägliches Funktionieren.

 

Um eine Erschütterung des Alltäglich-Vertrauten geht es auch in unserem Text. Unmittelbar vor unserer Textstelle hat der Verfasser des Johannesevangeliums den Anfang der Abschiedsreden Jesu plaziert, in denen es um den Fortgang Jesu geht, um seinen Gang zum Kreuz, mit dem die Jünger fertig werden müssen. Wie kann das geschehen?

Nicht erschüttern lasse sich euer Herz. (Luther: Euer Herz erschrecke nicht). Das griechische Wort tarasso meint: jemanden in eine Unruhe, Aufregung, ja Angst und Erschütterung hineinbringen. Es ist das Verlassenwerden durch Jesus, das diese heftigen Gefühle bei den Jüngern auslöst. Gemeint ist hier wohl kaum, dass die Jünger die Erschütterung unterdrücken sollten in einer Art heroischer Gefaßtheit. Vielmehr wird die Erschütterung benannt, konstatiert und als real anerkannt. Man kann auch sagen: Die Trauer um den Verlust des geliebten, Halt und Zuversicht gebenden Jesus wird hier gesehen und gewürdigt: Ja, es ist wirklich Grund zur Erschütterung!

Allerdings: In der Erschütterung (nicht jenseits von ihr) kann auch eine Gegenkraft und Gegenmacht wirksam werden: der Glaube an Gott und Christus. Glaube meint hier das Vertrauen auf ein Gegenüber, das fest zum Menschen steht, unerschütterlich und durch alle Ängste der Welt hindurch. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden (Joh. 16.33).

Woher Kommt die Gewißheit? Sie kommt aus der Menschwerdung Gottes in dem Menschen Jesus. In dieser Bewegung nach unten zeigt sich die Liebe Gottes. Das gesamte Johannesevangelium zielt ab auf diese Einheit von Vater und Sohn, auf die Liebe Gottes zu den Menschen, die sich gerade am Kreuz zeigt, nämlich in der Nähe zu den Menschen auch im Äußersten: im Tod. Wenige Verse vor unserem Text wird mit dem gleichen Wortstamm tarassein beschrieben, wie Jesus im Angesicht des Todes von angstvoller Erschütterung überwältigt wird (Luther übersetzt hier abschwächend: Meine Seele ist betrübt). Nicht im Absehen vom Tod, sondern gerade im Erleiden und Durchleiden erweist sich Gottes Liebe als unzerstörbar.

 

Ein Gott, der den Tod auf sich nimmt? Manche in der johanneischen Gemeinde damals, aber auch viele Heutige können so weit nicht folgen.

Sie halten sich lieber an die altüberkommene Vorstellung von einem jenseitig-unbewegten und a-pathischen Gott und einer korrespondierenden möglichst unbewegt-distanzierten Haltung zu Ängsten und Tod, einer stoischen „Ataraxie“ (wieder der gleiche Wortstamm!). Leiden Gottes am Kreuz? Das kann dann nur ein Schein-Leiden gewesen sein, ja die irdische Existenz Gottes kann letzlich auch nur Schein gewesen sei, - so die daher „Doketen“ genannten damaligen Gegner in der johanneischen Gemeinde.

Ist das nur ein müßiger Streit um verschiedene Gottesbilder? Ich meine: nein. Es geht auch für uns Heutige um die Frage nach wahrhaftigem Leben. Das uns im Evangelientext nahegelegte Gottvertrauen läßt jedenfalls auch Erschütterung, Angst und Tod nicht draußen vor - all das gehört nun einmal zu unserer irdischen Existenz dazu - , sondern erträgt sie, weil es sich auf den menschgewordenen Gott verlassen kann.

Mit anderen Worten aus einer anderen Sprache kann man hier auch von einer Trauerarbeit sprechen, die an ihr Ziel gekommen ist: Der Schmerz des äußeren Verlustes der geliebten und Halt gebenden Person ist umgewandelt in die innere Gewißheit einer unzerstörbaren Verbundenheit mit ihr, ja mit dem Ursprung allen Lebens und aller Liebe.

 

Allerdings: Mit unseren Ängsten und Konflikten, vor allem mit der Todesangst, kommen wir nie zu Ende, auch unsere christliche Existenz durchziehen sie. Wohin mit all dem nicht Integrierbaren, nicht zu Verarbeitenden, der bleibenden Ungeborgenheit in uns?

Wir wissen heute, dass beispielsweise ein traumatisches Erlebnis Menschen für ihr ganzes weiteres Leben beeinflußt. Viele Betroffene schildern es als eine Art biographische Wende, nämlich als eine Grunderschütterung des Selbst- und Weltvertrauens, die das weitere Leben wie ein Magnet ausrichtet auf Sicherheit und Vermeidung von Gefahr. Bei vielen Flüchtlingen ist das der Fall, aber auch bei den vielen sogenannten Kriegskindern des Zweiten Weltkriegs. Wäre Gottvertrauen dann ein Sich-Akzeptieren, ein Sich-Abfinden mit dem Faktischen, ein Sich-Bescheiden im Gegenwärtigen?

 

Unser Text geht da entschieden weiter. In einprägsamen, alle unsere Sehnsüchte nach endgültiger Geborgenheit und Heimat ansprechenden Bildern redet er von einer Zukunftshoffnung: Jesus geht nicht nur fort, sondern er geht hin, um euch eine Stätte zu bereiten. Im Himmel bereitet er Wohnungen im Haus des Vaters für die Glaubenden, und er wird die Seinen zu sich holen.

Das sind tröstliche Gegenbilder gegen eine verborgene Überanstrengung, die in einem bestimmten Verständnis von - auch christlicher - Trauerarbeit steckt. Die Aufforderung, die eigene Konflikthaftigkeit und vor allem die eigene Endlichkeit anzunehmen, wird leicht zu einer normativen Erwartung. Dann geht es um die Entwicklung einer reifen Persönlichkeit, um Gelassenheit und Souveränität. Dazu soll auch der Glaube dienen. Dass wir aber nicht „Herr im Hause“ sind, daran hat uns schon vor langer Zeit Sigmund Freud erinnert. Uns dass ein ganz Anderer uns im himmlischen Hause erwartet, das ist die tröstliche Hoffnung für uns so oft unruhige, geängstigte und unsichere Menschen.

Amen.

 

 

Literatur:

Udo Schnelle, Das Evangelium nach Johannes. Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, EVA Leipzig 1998

Übersetzung des Bibeltextes nach Schnelle.

 

 



Pastor Wolfgang Winter
Göttingen
E-Mail: Wolfgang-winter@gmx.de

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