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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

------------------24.02.2016, verfasst von Ricarda Schnelle

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

I In Frieden gehen

Dort ist er also gestorben. Der alte Goethe. Eingeschlafen in seinem Sessel. Licht, mehr Licht, kommt mir in den Sinn. Waren das nicht seine letzten Worte? Eine kleine Stube, direkt neben seinem Arbeitszimmer. Gegen Ende seines Lebens begrenzte sich seine Welt auf diese beiden Räume. Im hintersten Zipfel seines Hauses in Weimar. Nun laufen Touristen durch das Goethehaus, erobern sich Raum für Raum. Nur hier ist Schluss, kurz vor dem Heiligsten eine Schranke. Die Besucher bleiben in der Tür stehen, sehen den Sessel nur aus Entfernung. Ob er wohl friedlich eingeschlafen ist? Lebenssatt, zufrieden mit seinem Werk? Langsam gehe ich zurück durch das Haus. Goethe lebt weiter. In seinem Haus, in seinen Texten, in jedem Ginkgoblatt. Eine schöne Vorstellung. Ob ihm das gefallen würde? Ich drücke die Klinke und gehe hinaus. Ein heller Tag. Goethe geht mit.

 

II Meinen Frieden gebe ich euch

Jesus sagt zu seinen Jüngern: Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich.

Und jetzt habe ich's euch gesagt, ehe es geschieht, damit ihr glaubt, wenn es nun geschehen wird.

Ich werde nicht mehr viel mit euch reden, denn es kommt der Fürst dieser Welt. Er hat keine Macht über mich; aber die Welt soll erkennen, dass ich den Vater liebe und tue, wie mir der Vater geboten hat. Steht auf und lasst uns von hier weggehen.

 

III Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht

Helmuth James Graf von Moltke schreibt am 10. Januar 1945 aus der Haft im Gefängnis Berlin-Tegel an seine Frau Freya. Er berichtet von seiner Gerichtsverhandlung, in der er zum Tode verurteilt wurde.

„Mein liebes Herz, zunächst muß ich sagen, daß ganz offenbar die letzten 24 Stunden eines Lebens gar nicht anders sind als irgendwelche anderen. Ich hatte mir immer eingebildet, man fühle das nur als Schreck, daß man sich sagt: nun geht die Sonne das letztemal für Dich unter, nun geht die Uhr nur noch zweimal bis zwölf, nun gehst Du das letztemal zu Bett. Von all dem ist keine Rede. Ob ich wohl ein wenig überkandidelt bin? Denn ich kann nicht leugnen, daß ich mich in geradezu gehobener Stimmung befinde. Ich bitte nur den Herrn im Himmel, daß Er mich darin erhalten möge, denn für das Fleisch ist es sicher leichter, so zu sterben. Wie gnädig ist der Herr mit mir gewesen! Selbst auf die Gefahr hin, daß das hysterisch klingt: ich bin so voll Dank, eigentlich ist für nichts anderes Platz. Er hat mich die zwei Tage so fest und klar geführt: der ganze Saal hätte brüllen können wie der Herr Freisler, und sämtliche Wände hätten wackeln können und es hätte mir gar nichts gemacht. […] Mir war, als ich zum Schlußwort aufgerufen wurde, so zumute, daß ich beinahe gesagt hätte: Ich habe nur eines zu meiner Verteidigung anzuführen: nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib, laß fahren dahin, sie haben’s kein Gewinn, das Reich muss uns doch bleiben. Aber das hätte doch die anderen nur belastet; so sagte ich nur: Ich habe nicht die Absicht, etwas zu sagen, Herr Präsident.“[1]

 

IV Der letzte Segen

Isaak und Rebekka haben zwei Söhne. Esau und Jakob. Sie sind Zwillinge. Isaak hat nicht mehr lange zu leben. Er ruft seinen ältesten Sohn Esau zu sich, er will ihn segnen. Dazu soll Esau ein Essen für seinen Vater zubereiten. Dafür geht Esau auf die Jagd. Rebekka hat das Gespräch gehört und sie erzählt ihrem jüngeren Sohn Jakob davon. Sie stiftet ihn an, sich den Segen für den Erstgeborenen zu erschleichen und sich als Esau auszugeben. Isaak ist zunächst stutzig, er erkennt Jakobs Stimme, aber Jakob überlistet seinen Vater und isst von seinem Mahl. Isaak sagt zu Jakob: Komm her zu mir und gib mir einen Kuss. Er riecht den Geruch seiner Kleider und dann segnet er ihn: Siehe, der Geruch meines Sohnes ist wie der Geruch des Feldes, das der Herr gesegnet hat. Gott gebe dir vom Tau des Himmels und von der Fettigkeit der Erde und Korn und Wein die Fülle. Völker sollen dir dienen, und Stämme sollen dir zu Füßen fallen. Sei ein Herr über deine Brüder, und deiner Mutter Söhne sollen dir zu Füßen fallen. Verflucht sei, wer dir flucht; gesegnet sei, wer dich segnet! Esau kommt von der Jagd zurück. Der Schwindel fliegt auf. Isaak ist entsetzt, dass Jakob ihn betrogen hat. Und Esau weint bitterlich und fragt: Hast du denn nur einen Segen? Segne auch mich! Aber es gibt nur diesen einen Segen. Esau wünscht seinem Bruder den Tod. Jakob flieht in die Fremde. Erst sechs Kapitel und viele Jahre später werden sich die Brüder versöhnen. In der Bibel steht, dass Isaak im Alter von 180 Jahren starb; alt und lebenssatt. Seine beiden Söhne haben ihn begraben.

 

V Die Macht der letzten Worte

Ich sitze in meinem Sessel und das Herz wird mir schwer bei all diesen letzten Worten. Auch wenn ich sie nur aus der Ferne betrachte, spüre ich ihre Macht. Die Macht der letzten Worte. Sie können das Leben lahmlegen. Wenn noch auf dem Totenbett etwas versprochen wird, was eigentlich nicht zu halten ist. Dann geht die Macht der letzten Worte über den Tod hinaus. Aber sie können auch Frieden und Segen bringen. Wenn zwei sich versöhnen am Ende des Lebens. Wenn noch einmal das gesagt wird, worüber ein Leben lang geschwiegen wurde. Da kann das letzte Wort ein Leben verändern, was bisher unsagbar war, wird auf einmal möglich. Ich spüre die Macht dieser letzten Worte. Gesprochen oder geschrieben, am Ende einer Gerichtsverhandlung genauso wie am Ende des Lebens.

Wenn ich einmal gehe, dann möchte ich in Frieden gehen. Mein Herz fürchtet sich vor dem Abschied, vor dem letzten Wort. Mit wem werde ich noch sprechen? Wer wird an meinen Sessel treten? Wem gilt mein letzter Gruß?

Mein letztes Wort ist noch nicht gesprochen. Es gibt noch so viel zu sagen! Vielleicht sollte ich nicht das letzte Wort, sondern das nächste Wort bedenken. Und es an die richten, mit denen ich mir noch nicht alles gesagt habe.

Ich stehe auf. Mein erschrockenes Herz lasse ich im Sessel liegen und gehe hinaus. Der Friede Christi geht mit.

 

VI Er starb alt und lebenssatt

37 Jahre ist Helmuth James Graf von Moltke alt, als er am 23. Januar 1945 von den Nazis getötet wurde. Sein letzter Brief an seine Frau endet mit den Worten:

„Mein Herz, mein Leben ist vollendet, und ich kann von mir sagen: er starb alt und lebenssatt. Das ändert nichts daran, daß ich gerne noch etwas leben möchte; daß ich Dich gerne noch ein Stück auf dieser Erde begleite. Aber dann bedürfte es eines neuen Auftrages Gottes. Der Auftrag, für den Gott mich gemacht hat, ist erfüllt. Will er mir noch einen neuen Auftrag geben, so werden wir es erfahren. Darum strenge dich ruhig an, mein Leben zu retten, falls ich den heutigen Tag überleben sollte. Vielleicht gibt es noch einen Auftrag.

Ich höre auf, denn es ist nichts weiter zu sagen. Ich habe auch niemanden genannt, den Du grüßen und umarmen sollst. Du weißt selbst, wem meine Aufträge für Dich gelten. All unsere lieben Sprüche sind in meinem Herzen und in Deinem Herzen. Ich aber sage Dir zum Schluß, kraft des Schatzes, der aus mir gesprochen hat und der dieses bescheidene irdene Gefäß füllt:

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und

die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des

Heiligen Geistes sei mit Euch allen.

Amen.“[2]

 

[1] Helmuth James von Moltke, Im Land der Gottlosen. Tagebuch und Briefe aus der Haft 1944/55, hg. v. Günter Brakelmann, München 22009, 335f.

[2] Helmuth James von Moltke, Im Land der Gottlosen. Tagebuch und Briefe aus der Haft 1944/55, hg. v. Günter Brakelmann, München 22009, 343.



Wiss. Mitrabeiterin Pastorin Ricarda Schnelle
Göttingen
E-Mail: ricarda.schnelle@theologie.uni-goettingen.de

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