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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

, verfasst von Erika Reischle-Schedler

Liebe Gemeinde!

Wir denken in diesen Wochen über die letzte Wegstrecke Jesu nach. Wir begleiten ihn auf seinem Weg ans Kreuz und suchen für uns daraus Kraft und Hilfe für unseren Glauben und unser Leben zu gewinnen.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit lenken auf eine kleine Episode des Verhörs vor dem Hohenpriester aus dem 18. Kapitel des Johannesevangeliums. Da fragt der Hohepriester ihn nach seiner Lehre. Jesus antwortet darauf, daß er doch in all den Jahren seines Wirkens öffentlich gelehrt habe. Jeder konnte zuhören, der wollte. Und viele Menschen haben zugehört. Wäre es da nicht besser, die zu fragen, die ihn gehört haben, als ihn jetzt in einem Verhör? Eine solche Antwort aber erträgt einer der Diener des Hohenpriesters keine Sekunde länger. Er gibt Jesus eine schallende Ohrfeige. "Was unterstehst Du Dich, den Hohenpriester belehren zu wollen!" Wüßten wir nicht, wie die Geschichte weitergeht, wie würden wir sie weiterschreiben? Wir könnten uns einen zutiefst gedemütigten Jesus vorstellen, der nach diesem Schlag in Depression fällt und als gebrochener Mann das Verhör verläßt. Wir könnten uns auch das Gegenteil vorstellen: Eine Ohrfeige ist die andere wert, und selbst wenn sich am Ende die Diener des Hohenpriesters in der Verhörsituation als die Stärkeren erweisen würden, hätte doch Jesus Gleiches mit Gleichem erwidern können.

 

Keines von beidem aber geschieht. Jesus wendet sich dem gewaltbereiten Menschen neben ihm als Mensch zu: "Wenn ich etwas Unpassendes gesagt habe, dann beweise es mir in vernünftiger Rede. Wenn das, was ich gesagt habe, stimmt - warum dann schlägst Du mich?" Für Jesus ist auch der Henkersknecht ein Mensch, dem er sich als Mensch zuwendet. Welche Kraft befähigt ihn, so zu handeln?

Es muß eine besondere Gelassenheit sein, die natürlich nicht von allein kommt, sondern eine tiefe verborgene Quelle haben muß. "Nichts soll dich ängsten, nichts soll dir fehlen, Gott allein genügt", hat es Teresa von Avila in knappsten Worten zum Ausdruck gebracht. Unsere Vorfahren kannten das schöne Wort "Gottgelassenheit". In heutiger Sprache könnte man vielleicht sagen: Drüberstehen, egal, was geschieht.

"Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht". Mit unseren natürlichen Kräften sind wir, wenn es hart auf Hart kommt, entweder verzagt oder voll wilden Trotzes. Wir überschätzen oder unterschätzen uns. Wir stehen nicht "drüber", sondern mittendrin. Wir schaffen es nicht, uns selbst in Distanz zu setzen zu dem, was um uns geschieht. Wir sind heillos gefangen in Beziehungsproblemen, sehen keinen Ausweg, wenn es darum geht, unser Leben sinnvoll zu organisieren, wir stehen uns selbst im Weg und wissen nicht weiter. Das ist kein Leben im Frieden, das ist Gewalt Terror, Überheblichkeit - oder tiefe Depression und Verzweiflung.

Jesus Christus hat uns Frieden versprochen. Mit uns selbst, den Mitmenschen und dieser Welt in einem Zustand des Heils zu leben. Geborgen sein dürfen in Gott, geborgen im Leben, geborgen in dem, was immer auf uns zukommen mag - so könnte man versuchen, diesen Zustand des Heilseins, den "Frieden" meint, zu umschreiben. Und da bleibt dann kein Platz mehr für Furcht und Erschrecken. Der 1. Johannesbrief gebraucht andere Worte: "Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus". Wen oder was ich liebe, vor dem fürchte ich mich nicht länger. Und wenn ich doch voller Angst und Schrecken bin, dann offenbart sich darin, daß es (noch) nicht weit her sein kann mit der Kraft meiner Liebe.

"Frieden hinterlasse ich Euch, meinen Frieden gebe ich Euch, Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht" - Wir merken, wie unendlich weit wir hinter dem zurückbleiben, was uns verheißen und gegeben ist. Passionszeit ist Bußzeit. Wir werden konfrontiert mit unseren Defiziten, im Spiegel der Geschichte Jesu erkennen wir uns als die Menschen, die wir sind, schwankend zwischen Trotz und Verzweiflung, arm an Liebe, im Unfrieden mit uns selbst, mit Menschen neben und mit uns, mit dem Leben, mit Gott.

Die Verheißung bleibt. Jeden Tag wird sie uns neu zugesprochen. Jeder Tag neu ist eine Chance, tiefer hineinzukommen in die göttliche Geborgenheit, den göttlichen Frieden, der sich auswirkt auf die Art, in der wir mit den Menschen mit und neben uns und mit dieser Welt und all ihren Herausforderungen umgehen. Wir dürfen darum bitten - jeden Tag neu. Und wir werden imemr tiefer hineinwachsen in den Frieden Christi. Amen.

 

Liedvorschläge:

EG88,1-3,6

EG360

EG475,5,8

 



Erika Reischle-Schedler
Göttingen
E-Mail: e.reischele-Schedelt@t-online.de

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