Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

, verfasst von Matthias Wolfes

„So euch die Welt haßt, so wisset, daß sie mich vor euch gehaßt hat. Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich habe euch von der Welt erwählt, darum haßt euch die Welt. Gedenket an mein Wort, das ich euch gesagt habe: ‚Der Knecht ist nicht größer denn sein Herr.’ Haben sie mich verfolgt, sie werden euch auch verfolgen; haben sie mein Wort gehalten, so werden sie eures auch halten. Aber das alles werden sie euch tun um meines Namens willen; denn sie kennen den nicht, der mich gesandt hat.“ (Übersetzung: Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift, Stuttgart 1912)

 

 

Liebe Gemeinde,

 

von „Haß“, „Verfolgung“ und Feindschaft der Welt (kosmos) ist die Rede. Das ist schon kein guter Ton. Dann auch die mehrfachen Negationen: „nicht von der Welt sein“, „nicht größer sein als“, Gott „nicht kennen“.

Hier herrscht wirklich eine arge Düsternis. Jesus nimmt Abschied, und er spricht als einer, der auf das irdische Leben wie auf eine schon abgeschlossene Vergangenheit zurückblickt. So ist es in den vorangehenden Worten, und so ist es auch hier. „Der Vater hat mich geliebt“, hieß es (Vers 9); „ich habe euch geliebt“ (9), „ich habe seine Gebote gehalten“ (10), „ich habe das zu euch gesagt“ (11), „ich habe euch Freunde genannt“ (15). Und schon früher: „Dieses habe ich zu euch gesagt, als ich noch bei euch weilte“ (Joh 14, 25).

 

 

Der Haß der Welt

 

Der neue Abschnitt verdunkelt die Sicht noch weiter. „Die Welt haßt mich“ – obwohl doch der letzte und endgültige Beweis dafür, die Kreuzigung, noch bevorsteht. Jesus scheint es hier darauf angelegt zu haben, den Jüngern deutlich zu machen, was auch sie zu erwarten haben. Der Haß der Welt ist es, der die Jünger in ihrer Jüngerschaft bestätigt. Sie sind wirklich Jesu Jünger, weil die Feindschaft gegen Jesus sich auch auf sie erstreckt. Sind sie Jesu Freunde, so muß die Welt, die Jesus haßt, auch sie hassen. Ihn aber verfolgt sie deshalb, weil er ihr Treiben aufdeckt und verurteilt: „Mich aber haßt sie, denn ich zeuge von ihr, daß ihre Werke böse sind“ (Joh 7, 7).

Was nun die Jünger betrifft, so erklärt Jesus, daß sie – als seine Jünger – der Welt fremd seien, denn er habe sie aus ihr heraus erwählt: „Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich habe euch von der Welt erwählt, [...]“. Die Jünger und „die Welt“ trennt eine wesentliche Verschiedenheit. Ihre Existenz ist ein ständiger Vorwurf für die Welt, und deshalb kann sie auf sie auch nur durch radikale Ablehnung reagieren. Die Welt liebt nur, was ihr zugehört (Joh 8, 23). In der Konsequenz bedeutet das: Eine Jüngerschaft, die die Sympathie und Anerkennung der Welt findet, verdient kein Vertrauen. Das Schicksal Jesu, also der Weg zum und an das Kreuz, setzt sich mit Notwendigkeit im Schicksal der Jünger fort. Das geschieht „um seines Namens“ willen, weil sie sich als seine Jünger zu ihm bekennen.

Anfeindung, Ausgrenzung und Verfolgung treffen die Jünger unausweichlich – einfach deshalb, weil sie zu Jesus gehören. Verfolgung ist die sozusagen normale Erscheinungsform des Hasses, in der er unverdeckt zum Vorschein kommt. Was man haßt, das wird verfolgt, und zwar mit dem Ziel, es zu beseitigen. Die „Freunde“ erfahren das bereits als Tatsache, und doch wird es ihnen noch einmal als etwas Bevorstehendes angekündigt. Dieses Motiv finden wir auch in den anderen Evangelien. Das gleiche sagt Jesus den Jüngern in der Aussendungsrede voraus (Mt 10, 22), und deshalb preist er sie auch selig (Mt 5, 11). In der frühen Märtyrerkirche wurde gerade diese Gleichheit des Schicksals als eine Auszeichnung empfunden, ja sie bewegte die Glaubenden sogar zu Dank (Phil 1, 29; Kol 1, 23; Apg 5, 41 und öfter). Es sind diese Erfahrungen der Ausgrenzung und Verfolgung, die zu Zeichen der Christuszugehörigkeit wurden.

 

 

Die Schicksalsgemeinschaft

 

Was nun auch bitter berührt, ist, daß Jesus diese harten Worte, diese Worte von der Härte „der Welt“ spricht, nachdem er sich bis dahin in seinen Reden auf das Leben der Jünger mit ihm und untereinander konzentriert hatte. Er wendet sich jetzt ihrer Situation in der Welt zu, und da sieht es äußerst finster aus. Die Liebe, die sie nach seinem Vorbild aneinander üben sollen (Joh 15, 12-17), steht in einem scharfen Gegensatz zu der Anfeindung, die sie von Seiten der „Welt“ um seinetwillen erfahren müssen. „Haß“ ist das Leitmotiv; Haß ist überhaupt das wesentliche Kennzeichen jener Wirklichkeit außerhalb der Glaubensgemeinschaft.

Sollen wir uns nun auf diese Sicht einlassen? Ist das auch unsere Erfahrung? Wenn das aber nicht der Fall ist, wie steht es dann mit jenem Wort des johanneischen Jesus, daß gerade die Verfolgung das beglaubigende Zeichen echter Jüngerschaft sei? Wie es scheint, müßte man sich ja geradezu willentlich in die Verfolgungssituation begeben, um für sich selbst der Jüngerschaft gewiß zu sein. Das können wir aber doch nicht wollen, so sehr Jesus hier seine Jünger anweist, ihr Schicksal als notwendig zu begreifen. Will man aber etwas nicht so stehen lassen, wie man es vorfindet, muß man selbst nach einer Lösung suchen.

Dafür fragen wir zunächst einmal, weshalb der Evangelist seinen Jesus so sprechen läßt. Das Evangelium setzt ja die Realität der Verfolgung voraus. Was hier angekündigt wird, findet tatsächlich gegenwärtig statt, ob nun in der eigenen Gemeinde oder an anderen Orten, wovon gewußt wird. Man könnte denken, er spreche deshalb so, weil Jesus seine Jünger trösten und in ihrem Glauben stärken möchte. Aber das ist nicht der Fall. Erst später wird er sagen: „Doch ich habe es euch gesagt, damit ihr euch, wenn die Stunde kommt, an meine Worte erinnert“ (Joh 16, 4a; eine spätere Hinzufügung). Vielmehr geschieht es, um die Jünger zur Verkündigung und zum Zeugnis in der feindlichen Welt zu ermutigen. Die Jünger werden die gleiche Aufgabe zu erfüllen haben wie Jesus selbst. Auch den gleichen Weg werden sie gehen müssen.

 

 

Glaube und Welt

 

Das nun aber ist sehr wichtig. Der johanneische Jesus weist seinen Jüngern die Richtung in die Welt. Allem Haß, aller Feindseligkeit und Ablehnung zum trotz sollen sie gerade dorthin sich wenden. Von Weltabgewandtheit – wie in den gnostischen Kreisen –, von einem Dualismus zwischen Gemeinde und Nicht-Gemeinde ist keine Rede. Das Programm des Johannesevangeliums ist es gerade nicht, die Glaubenden aus der Welt herauszunehmen. Sie werden nicht als heilige Spezialgemeinschaft der Menschheit des Unglaubens entgegengesetzt. „Die Welt“ ist die Aufgabe. Sie ist nicht vom Ursprung her schlecht; sie bleibt vielmehr der Gegenstand von Gottes Liebe. Sie mag, durch die Ablehnung des Gesandten, noch so sehr zur Stätte der Gottfeindlichkeit werden, es bleibt ihr doch die Möglichkeit des Heils eröffnet.

Und diese Möglichkeit wird nun zu einer sehr konkreten Wirklichkeit in der Verkündigung der Jünger. In ihr wirkt der Geist Gottes – der „Paraklet“ –, also Gott selbst, und dieser Auftrag bleibt bestehen, so sehr auch die negativen Erfahrungen den Ausblick verdüstern (Joh 15, 26-27).

Das nun ist es, was auch unser Text, der doch zunächst so ganz anders klingt, zu dem Thema „Die Bedeutung Jesu für die Welt“ beibringen kann. Der Weg zu Gott bleibt offen. Immer wird es Menschen geben, die sein Wort „bewahren“ (Joh 15, 10), die es annehmen und danach leben, wie es solche auch bisher schon immer gegeben hat. Denn im Wort des Glaubens ist der Weg zu Gott sichtbar, und deshalb muß dieses Wort auch gesprochen werden. Ohne Wort kein Glaube, aber ebenso auch ohne Glaube kein Wort. Verfolgung und „Haß“ müssen zumindest wir nicht erleiden. Doch die Aufforderung, unser Zeugnis zu geben, gilt uns ganz genau so wie jenen ersten Jüngern. Auch wir sollen bekennen, daß das Zutrauen in Gottes Güte der Grund erfüllten Lebens ist. Gott ist unsere Zuversicht und Stärke.

 

Amen.

 

Lied: EG 362.



Pfarrer Dr. Dr. Matthias Wolfes
Berlin
E-Mail: wolfes@zedat.fu-berlin.de

Bemerkung:
Hermann Strathmann: Das Evangelium nach Johannes übersetzt und erklärt. Achte Auflage (Das Neue Testament Deutsch. Teilband 4), Göttingen 1955.
Rudolf Schnackenburg: Das Johannesevangelium. Dritter Teil: Kommentar zu Kap. 13 – 21. Dritte Auflage (Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament. Band IV / 3), Freiburg / Basel / Wien 1979.



(zurück zum Seitenanfang)