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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

, verfasst von Jochen Riepe

So darfst du sprechen : Ich bin gut. Punkt. Ich bin rein. Punkt. Ich darf leben, denn Gott hat mich , ja gerade mich, gewollt. ‚Aus der Welt erwählt‘, sagt Jesus ; nicht : ‚aus der Welt herausgenommen‘*.

                                                                   II

Heute besucht er Schulen und Jugendclubs. Er will Jugendliche davor bewahren, in die radikale, fundamentalistische Ecke abzudriften. Dominic Musa Schmitz – neulich bei ‚Maybritt Illner‘** wurde er gefragt , was ihn bewegt habe, zu den Salafisten zu gehen ? ‘Ich war 17‘, sagte er, ‚ich wollte den Weg der Rebellion gehen. Ich wollte anders sein als die Masse‘. Bei den radikalen Muslimen fand er Antworten auf die vielen Fragen , die einen jungen Mann bewegen : Sinn , Lebenssinn, Gerechtigkeit und Gott , ja, einen Gott, dem man sich hingeben kann , und eine Gemeinschaft , ‚die rein ist‘. Brüder.

                                                                     III

Abschiedsreden. Wir hören und haben teil an den Worten , die Jesus an seine Jünger richtet , kurz bevor er geht. Noch einmal festhalten , worauf es ankommt. ‚Ihr seid aus der Welt erwählt‘ , spricht er zu ihnen und versetzt sie damit in eine elementare Distanz oder Spannung zu dem Ort , an dem wir doch alle leben müssen. Erwählt. Herausgenommen. Erhoben. Die Jesus-Nachfolger sind damit in besonderer Weise gewürdigt oder auch – gezeichnet. Eben noch hatte er ihnen die Füße gewaschen als Zeichen seines Liebes-Dienstes. Ganz nahe war er einem jeden von ihnen gekommen. Sie spürten seine Hände , seinen Atem, seine Wärme , ja: seine Herrlichkeit und dann sagte er diesen unglaublichen Satz : ‚Ihr seid rein‘ (Joh 13,10).

                                                                     IV

Darauf kommt es an , gerade jetzt , da er sterben wird. So wie er an ihnen gehandelt hat, so sollen sie untereinander handeln , einander dienen in Reinheit ohne jeden sklavischen Sinn. Ohne ihn wird sich ihre Gemeinschaft verändern. Sie werden ungeschützter , direkter den Schatten erfahren , der über dem Leben des Reinen liegt . Die anderen , die Welt-Menschen , die Mehrheit wird sie nicht verstehen. Sie werden sich abwenden , sie verletzen , gar hassen und verfolgen – um Jesu Willen. Wer ‚frei und offen‘ (7,26)wie er in Liebe lebt und das ‚neue Gebot‘ verkündigt , der provoziert. Wer so lebt , stellt in die Entscheidung und wird in Konflikt geraten mit den Anwälten des ‚alten Gebots‘.

                                                                     V

Ich bin gut. Punkt. Ich bin rein. Punkt. Ich darf leben , ja : für etwas stehen in einer Gemeinschaft der Erwählten. Die Abschiedsworte Jesu an seine Jünger , so wie Johannes sie überliefert , und die Worte des ehemaligen Salafisten berühren sich seltsam. Eine Gemeinschaft finden , die es ernst meint, ernst meint mit Gott. Brüder , Schwestern , die verbindlich leben und auf die ich mich verlassen kann … Wenn Jesus dann vom Unverständnis oder gar vom Haß der Welt spricht , so liegen auch darin Berührungspunkte : Menschen , Minderheiten, die so nahe zusammenrücken und sich in besonderer Weise erwählt wissen, erregen Verdacht, Argwohn , Furcht und gewiß auch Neid. Für die ersten Christengemeinden muß man dies Letztere vielleicht hervorheben. Sie waren missionarisch attraktiv. Leben unter dem neuen Gebot , das hieß ja : Leben dürfen ohne schlechtes Gewissen, ohne die ständige Angst , Vorschriften und Regeln zu verletzen. Leben dürfen in Liebe und Vergebung. Gewiß , sie waren Minderheiten , bedrängte Minderheiten , aber viele , immer mehr Menschen kamen aus den Gefängnissen ihrer Herkunft , ihrer Clans und Familien , oder auch : ihrer Triebe und Krankheiten heraus und fanden in der Christusgemeinde ‚Wohnung‘ und Obdach. Johannes kann ja wunderbare Geschichten davon erzählen.

                                                                     VI

Weil ich euch aus der Welt erwählt habe , darum haßt euch die Welt‘. Man kann es vorsichtig so zuspitzen : Der ‚Erwählte‘ wird verspottet und gefürchtet, bewundert und beneidet. Und eben darum ist es umso wichtiger , daß er mit seiner Erwählung und Reinheit , mit dem Guten also, was er empfangen hat , auch gut umgeht und den Haß nicht häß-lich , sondern in Liebe beantwortet. ‚Ich bin gut – ich bin rein‘, oft genug sind diese – in sich vollgültigen Sätze- ja so fortgesetzt worden : ‚also sind die anderen , bist du unrein und böse‘. Aus dem Gotterwählten wird ein Fundamentalist. ‚Alles und jeder , der anders war als wir und für etwas anderes stand‘, erzählte Dominic Schmitz, ‚wurde zum Feind‘. Auch christliche Gemeinschaften , kleine , sogar die sog. Großkirchen , stehen in dieser Gefährdung : Die ‚Welt‘ , die doch in ihm , dem Sohn, -trotz der Angst, die überall lauert, trotz Lüge und Streit - Gottes geliebtes ‚Eigentum‘ ist,  wird dämonisiert als Ort des Bösen und so gleichsam von Gottes Liebe abgespalten . So aber wird aus der Reinheit der Jünger – Raub , Dünkel, ‚Erwählungsdünkel‘. Wir haben den wahren Glauben und die anderen sind im Irrtum befangen.

                                                                   VII

‚Ich suchte eine reine Gemeinschaft‘, sagt der ehemalige Salafist. ‚Aus der Welt erwählt‘ , aber nicht ‚aus der Welt herausgenommen‘, sagt Jesus. Eine merkwürdige , aber lehrreiche Begegnung . Sie spüren es , liebe Gemeinde : Wir stehen hier vor einem ernsten, mit unserem Glauben – nicht ursprünglich , aber gleichsam nur um eine Sekunde verspätet- gegebenem Problem. Wie kann man diese Spannung aushalten und leben , ohne selbstgerecht , herrschsüchtig oder gar gewalttätig zu werden ? Unverstanden, verletzt , allein , wie wir uns ja manchmal fühlen. Dominic Schmitz beschreibt ja das , was soz. typisch für eine ‚Sekte‘ und die in ihr vertretene Mentalität ist : ‚Alles wird zum Feind‘. Aber haben wir im Unterschied zu den Fundamentalisten nicht gerade im Wort Jesu , in seiner Person, in der Gottes- und Selbstgewißheit , die er uns schenkt, einen Schutz oder besser : ein Kriterium, um jener seltsamen Mischung von Ängstlichkeit und Hochmut zu entgehen? Wenn wir also schon den Schatten des Welthasses erfahren müssen , ihn dann auch wirklich um Jesu Willen erfahren und nicht um unseretwillen , wegen unserer Absonderlichkeiten, Standpunkte oder Voruteile !

                                                                   VIII

Um es binnengemeindlich anzuwenden : Gerade im Zusammenhang der Flüchtlingskrise haben viele unter uns so geklagt : ‚Ich kann meine Meinung, meine Skepsis , meine Ängste nicht frei und offen äußern ohne sogleich mangelnder Nächstenliebe verdächtigt zu werden‘. Unsere Gemeinde bildete mit dieser verweigerten , ausgefallenen Diskussion nur das ab, was sich in der Gesellschaft abspielte – eine unfruchtbare , geist- und lieblose Polarisierung , die keinen weiterbringt . Wäre es des Welt-Schattens , vielleicht auch des Welt-Hasses nicht wert , wenn wir zeigten : Bei uns erschlägt man sich nicht mit Gesinnungen , Vorwürfen oder moralischen Verdächtigungen . Bei uns fragt man nach Verantwortung . Nach Verantwortung in den Bahnen des Gebotes , das Jesus den Jüngern hinterließ :‘daß ihr euch untereinander liebet‘ und das beinhaltet auch : Daß ihr das Wort des anderen hört und achtet , Gegenargumente ernst nehmt und euch mit ihm gemeinsam der Wirklichkeit stellt, sie analysiert, wahrnehmt und nachvollziehbare Ziele formuliert . Die Willkommenskultur braucht um ihrer selbst willen eine Verantwortungskultur , eine –wie es neulich hieß – ‚neue Ernsthaftigkeit‘***.

                                                                     IV

‚Ihr seid rein‘. Jesus wird gehen. Er wird sterben. Er gibt sein Leben hin , in Liebe zu seinen Freunden, in Liebe zur Welt. Dominic Schmitz hat Gottseidank die Gemeinschaft der Auserwählten verlassen und warnt nun junge Leute vor dem Weg in den Fundamentalismus. Wer in Jesus rein ist , weiß um die Gefährdung aller Reinheit , besonders um die, die aus ihm selbst kommt. Du bist gut. Du darfst leben - mitten unter uns. Punkt. Amen.



Jochen Riepe
Dormund
E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

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