Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

, verfasst von Wolfgang Petrak

 

Das habe ich zu euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Druck; aber seid getrost, ich habe die Welt besiegt.

 

Liebe Gemeinde,

 

die Bilder sind im Kopf. Wie sie am Abend zusammen saßen. Die einen, um den überraschenden Sieg feierten, laut, mit markigen Sprüchen, und wofür, wo gegen das alles sei. Die anderen: betroffen und entsetzt, traurig, aber auch um Fassung bemüht: trotz allem unterstellte ihre Routine den abgerungenen Worte Perspektiven. Doch der Druck ist da. So ist diese Welt. Wie wird es werden?

 

Die Bilder sind im Kopf, wie sie am Vorabend raus gegangen sind auf die Straßen der Stadt, den Spruchbändern scheinbar völkischer Verbundenheit lächelnd hinter her. Und es ist zu hören, wie die Rufe ihrer Begeisterung, jenes gemeindliche Hosianna, sich alsbald in einem „Kreuzige ihn“ entladen sollten, wie die tief gefühlte Verbundenheit sich in dem Ausbruch der Gewalt und ihrer zynischen Legitimation ihren irren Weg fand und immer wieder finden sollte. Wird denn nichts gelernt?

 

Die Bilder sind im Kopf, wie am Dornengestrüpp zuhanden ist und eine lachende Soldateska, die sich zusammenfindet, um nach Dienstschluss noch ein bisschen zu spielen, mit dem, der in ihre Hand gegeben ist. Wie auf der anderen Seite des mit Stacheldraht bewehrten Zaunes Menschen stehen, in Kot und Schlamm, durchnässt bis auf die Haut. Den Tod konnten sie hinter sich lassen. Aber was ist vor ihnen?

 

Ja, ich habe in dieser Welt Angst. Genauer: ich habe Angst vor einer Welt, in der das Gesetz des Stärkeren gelten soll. Vor einer Welt, die meint, sich durch immer höhere Zäune schützen zu müssen. Ich habe Angst nicht nur vor denen, die nicht nur fast jeden zweiten Tag Flüchtlingsunterkünfte anstecken, sondern auch vor denen, die schweigend behaupten, selbst das Volk zu sein und die sich vor Gutmenschen fürchten. Ich habe Angst vor denen, die Angst haben und meinen, dass der Islam…und die Kriminalität…und überhaupt. Die Zusammenhänge behaupten und zusammenbringen, was nicht zusammen gehört, nur damit sie sich umdrehen können, damit sie wegsehen können, damit sie sich abgrenzen können. Damit sie sich dergestalt behaupten können, dass unterm Strich immer etwas für sie herauskommen muss. Und behaupten können, dass dem gegenüber Humanität zweitrangig ist. Wie viele sind sie? Fünfzehn Prozent in Deutschland? Zwanzig? Oder mehr? In Deutschland, in Europa, in den USA?

 

Ja, so bin ich auch raus gegangen, auf die Straße und auf den Platz der Stadt, auf der anderen Seite der Absperrung, habe geschrieen. Das nimmt wenigstens für einen Moment den Druck.

 

Aber unter was für einem Druck die Frauen, die Männer stehen, die in der Politik Verantwortung tragen. Die heute versuchen, die Friedensgespräche über Syrien voranzubringen und wissen, wie entsetzlich schwierig es ist, für dieses zerstörte, zerrissene Land Perspektiven zu entwickeln, die auch wissen, dass nicht nur dieses Land, sondern die Völker dieser Region (aber nicht nur hier) den Interessen der Alten Welt, der Neuen Welt ausgesetzt waren, sodass sich die Entwicklungen fasst zwangsläufig gegen uns kehren: Was für ein Druck! Und was es für einen Druck bedeuten mag, Integrationskonzepte zu entwickeln, Bildungsziele neu zu formulieren, menschenwürdigen Wohnraum zu schaffen, Arbeitsmöglichkeiten auf einem sich einengendem Arbeitsmarkt aufzubauen: sich diesem Druck nicht zu entziehen, sondern standzuhalten!

Nicht wahr? Wohl wahr! So hat der Herr gesagt: „ In der Welt habt ihr Druck. Aber seid getrost. Ich habe …“. Nein, er sagt nicht, dass er den Druck herausgenommen und überwunden hat. So glatt und leicht ist es eben nicht. Wir müssen uns den Aufgaben und Anforderungen stellen, jede und jeder eben da, wo wir gebraucht werden. So werden wir es schaffen, den Druck zu bewältigen.

Er aber sagt: „Ich habe die Welt besiegt“. Das ist sein Trost. So redet der Herr die Seinen an. Es sind die, die Bilder im Kopf haben. Er aber spricht davon, dass die Zeit kommen wird, in der wir einen freien, grenzenlosen Zugang haben zu dem, der uns denn Sinn des Seins erschließt. Er spricht zu denen, die trauern, weil sie ihn nicht haben und behalten können. Er sagt ihnen, dass er gehen muss, damit ein anderer kommen kann: es ist der, der den Trost bringt. Denn er wird der Welt „die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht“ (Joh. 16,8).

Hätte doch diese Welt beinahe die Augen darüber geschlossen und den Mund darüber gehalten, wie Männer eine Frau nicht unter sich haben wollten, sondern, von ihnen der Sünde überführt, dem Tod überantworten wollten. Doch der, der im Wege saß und im Sande malte, sagte: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“ (Joh. 7, 7). Am Ende unterliegt diese Welt und das, was wir in ihr tun, seinem Recht und seinem Gericht. Darauf läuft alles zu. Mitten auf dem Weg wird das gesagt. Wenn ich mit den Bildern im Kopf weiter gehen will, muss ich bereit sein, vorlaufend: die eigene Schuld zu sehen. Da, wo ich geschwiegen habe. Ausgegrenzt, mich lächelnd abgewandt habe. Muss genau hinsehen. Reden. Damit nicht die Steine fliegen.

Zu uns hat er geredet. Damit wir in ihm Frieden haben. Sein Weg bleibt bis zum Ende der Versöhnung und des Friedens. Gehen wir weiter. Amen.



Pfarrer i.R. Wolfgang Petrak
Göttingen
E-Mail: w.petrak@gmx.de

(zurück zum Seitenanfang)