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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

, verfasst von Rolf Koppe

Liebe Gemeinde in der Passionszeit!

Jesus steht ganz im Mittelpunkt. Er spricht zu seinen Jüngern zum Abschied: „das aber habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt“. Das klingt so, als ob er gerade mit ihnen Streit gehabt hat und jetzt zum Schluss die Versöhnung sucht. Requiescat in pacem, möge er oder sie in Frieden ruhen, schreiben wir gern auf Grabsteine. Aber hier heißt es: “damit ihr in mir Frieden habt“. Das ist mehr als das formelhafte „er möge in Frieden ruhen“. Das „in mir“ ist auch mehr als eine Ortsangabe für die Zukunft. Es zeigt an, was „in ihm“ schon geschehen ist. Es handelt sich um den Vorgriff auf das Testament Jesu. Genauer gesagt: um die Eröffnung seines Testaments an Ostern. Es heißt schlicht und einfach: “In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“. Das ist seine Botschaft. In der Welt haben wir Menschen Angst, aber er, Jesus, hat die Welt überwunden. Deshalb dürfen wir getrost sein. In ihm haben wir Frieden.

Einer meiner Lehrer, der evangelische Professor für Philosophie, Erich Heintel, in Wien, hat uns Studierende angehalten, unseren christlichen Glauben als „zweite Motivation“ zu begreifen. Also als das, was sich in einem biblischen Text an Glauben als erste Motivation niedergeschlagen hat, und was wir mit großem Interesse lesen und uns schließlich zu eigenmachen können. Ich finde das gerade bei dem heutigen Text plausibel. Mit dem Evangelisten Johannes blicken wir auf das zurück, was Jesus für seine Anhänger gewesen ist, und hoffen auf das, was er für uns in Zukunft bedeutet. Glauben und Verstehen heißt die Reihenfolge.

Jesu Jüngerinnen und Jünger, also wir, haben noch Angst, weil wir in dieser Welt leben. Angst vor Gewalt, fügen wir aus Erfahrung hinzu und wegen der täglichen Bilder-und Buchstabenflut über nicht enden wollende Kriege in Syrien, im Irak und Angst vor nicht versiegenden Strömen von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten über die Türkei und Griechenland bis neuerdings vor die Zäune auf der Balkanroute, bis vor unsere Haustüren und in unsere Schulen. Ich kann das Elend kaum mehr mit ansehen, besonders das von Kindern, die vom Weiterziehen nach Mazedonien mit Tränengas abgeschreckt werden sollen. Eine Griechin erbarmt sich einer Mutter und gibt ihr einen Plastiksack, damit sie ihr Kind nicht auf nassem Boden wickeln muss. Sie, die nicht viel hat, hilft. Wahrscheinlich tröstet sie auch ein wenig.

Ich habe keine Angst vor den Menschen, die in unserer Nähe einquartiert worden sind und von denen ich einige, auch Kinder, schon kennengelernt habe, sondern ich habe vielmehr Angst vor dem neuen Egoismus und Hass, der sich überall wie die Pest ausbreitet. “Wir werden niemals einen einzigen Moslem akzeptieren“, sagte der slowakische Regierungschef Robert Fico kürzlich vor der Wahl in seinem Land, in der er ein Drittel der Stimmen einbüßte – zu Recht, wie ich meine. Die Alternative für Deutschland (AFD) hat in drei Bundesländern bei uns ziemlich viele Stimmen gewonnen – zu Unrecht, wie ich meine. Haben die Nachkriegskinder des Zweiten Weltkriegs im Osten und im Westen Deutschlands schon vergessen, was Flucht bedeutet?

„Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“, fährt Jesus fort. Das kann wie ein billiger Trost klingen, der von den Realitäten ablenkt. Aber Überwindung heißt nicht totaler Sieg, sondern eine erste Entmachtung. Wir brauchen uns um Jesus Christus, unsern Herrn und Heiland, selbst in seiner Leidenszeit vor Ostern, nicht zu sorgen. Er hat die Welt schon überwunden. Und darin besteht der Trost Jesu, dass er in der Bergpredigt sagt: „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen“. Der alles überwölbende Friede – er ist die zentrale Botschaft. Jesus, der die Welt überwunden hat, ist schon der Trost und der Grund für unsere zweite Motivation, unsern christlichen Glauben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

 



EKD-Auslandsbischof em. Dr.h.c. Rolf Koppe
Göttingen
E-Mail: koppe.hartmann@gmx.de;

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