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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

, verfasst von Michael Plathow

1. Liebe Gemeinde in der Woche vor Karfreitag und Ostern,

Hinterbliebenen beim Abschied eines geliebten Angehörigen widerfährt Trauer und Leid. Jesu lässt mit dem Ende seiner Abschiedsrede - vor seiner Gebetsgemeinschaft mit dem Vater im heiligen Geist - seine Anhänger zurück: “In der Welt habt ihr Angst. Aber seid getrost, ich habe diese Welt überwunden”. Hinterbliebene bleiben in Trauer und Leid zurück. Das haben wir erfahren und das erfahren wir - auch ich. Trost, wahrer Trost wird gesucht angesichts des scheinbar entgültigen Abrufs. Die Leidtragenden sehnen sich im Durcheinander der Gefühle nach Sinn. Es ist nicht nur die wiederständische Warum-Frage bei widersinnig erfahrener Heimsuchung, sondern auch die die Frage nach dem Wozu, die Sinnzusammenhänge eröffnet. Es ist die Suche nach Tröstung in und gegen Angst und Leid.

Auch Tröster werden bisweilen Zutröstende, wie ein Schlüsselerlebnis zeigt: Junger Gemeindepfarrer, gerade eingeführt, war er. Gerufen wurde er zur schwerkranken Frau; ihr Weg führe dem Sterben entgegen. Mit schwerem Herzen machte er sich sogleich auf: “Wie ihr Tröster sein?”. Als er eintrat, fiel sein Blick auf sie, halbgelähmt, schwer atmend, sehr schwach. Er setzte sich neben sie, hilflos, wie er sie ansprechen könne. Sie bemerkte seine Unsicherheit und sie ergriff leise das Wort: “Herr Pfarrer, Sie können nicht wissen, wie es in mir ausschaut.” Und sie erzählte gebrochen - dabei aber leuchteten ihre Augen - , wie Gott sie auf ihrem nicht leichten Lebensweg begleitet und geführt hat; getrost freue sie sich auf die Heimkehr zu ihm. -- Stille. Beide schwiegen. -- Dann beteten sie gemeinsam den 23.Psalm, das Apostolische Glaubensbekenntnis und das Vaterunser und er segnete sie. Wenig später wurde sie abgerufen. Die Angehörigen hinterließ sie in Traurigkeit. Dem jungen Pfarrer wurden ihre Worte Zeugnis, Vergewisserung und Trost. Die Zutröstende ist ihm Trösterin geworden.

Wir suchen und brauchen Trost, wenn - “nicht bei Trost” und “um Trost sehr bange” - gefragt wird, “Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt?”.

 

2. Liebe Gemeinde,

inwiefern wird Trost Hilfe, echter Trost wirkliche Hilfe? Trost scheint billig geworden zu sein in unserer lächelnden Werbe- und Wellnesswelt, in der kühl kalkulierenden Umsatz- und Profitgesellschaft. Mit Tröstung verbindet sich häufig Vertröstung als bloße “Seelentröster” und “Trostpflaster”, keine wirkliche Hilfe im realexistierenden Leid. Und verallgemeinernde Sprüche wie “Nur Mut!”, “Kopf hoch!”, “Es wird schon wieder!”, “Es könnte schlimmer sein!”, “Es geht auch anderen so!” lassen das Trostwort leer werden. Oder zeigt sich hier vielleicht nur unser Problem, Angst- und Leiderfahrung Anderer an uns herankommen und zur Sprache kommen zu lassen? Angst und Leid verlangt nach echtem Trost.

Sprachlich hängt - wie manche wissen - “Trost” mit “Trauen” zusammen: trauen, sich trauen, weil mir zugetraut wird. Und weil mir einer Vertrauen entgegenbringt, mir zutraut, traue ich mich und traue mir zuversichtlich vertrauend zu. Weil da jemand ist, der Gemeinschaft mit mir hält, traue ich mich, getrost in und gegen Angst und Leid: “trotzig und keck” in bedrängtem Glauben, wie M. Luther sagt. Es ist eine widerständische Tröstung, ein kritischer Trost. Nicht sich selbst kann er gesagt werden. Von außen, von einem Anderen wird er zugesprochen und eröffnet Zukunft und führt ins Leben.

In dieser Welt habt ihr Angst”, sagt Jesus seinen Jüngern in der Abschieds- und Trostrede. Jesus gibt der Welt der Angst den Abschied: dieser Welt des nichtenden Nichts im Dasein zum Tode.

Wir unterscheiden bekanntlich zwischen der berechtigten Furcht im Alltäglichen und der Angst vor dem Möglichkeiten der Zukunft. Die Angst ist es, die, eingekerkert in die Endlichkeit, sorgend um eine Zukunft, die wir uns verbauen, verzweifelnd am eigenen Zwiespalt, gequält von einholender Schuld, leidend an Vereinsamung, an Finsternis und Tod, Menschen nur in und um sich kreisen lässt. Das meint diese Welt der Angst unter der Macht der Sünde, des Bösen und des Todes, selbst ausgegrenzt aus der Gemeinschaft mit Gott und verschlossen gegen den guten Willen Gottes zum Leben.

Wer ständig voller Angst auf die Sorgenberge starrt, der verpasst das Leben. Wer nur das Finstere in seinem Alltag sieht, erleidet eine Blickverfremdung; er nimmt alsbald nur noch Finsteres wahr. Aber wir dürfen und sollen den Blick erheben, erheben auf den, der verheißt: “Ich habe diese Welt überwunden”

 

3. Liebe Gemeinde “bei Trost“,

dieser Welt der Angst und des Todes wird Jesus - seine Name “Gott heilt, Gott rettet” - zur Krise. Kritisch und tröstend, überwindend und neuschaffend wirkt sein Vollmachtswort. Mit dem ergrauten Simeon preisen wir ihn im “Nunc dimittis” des Nachgebets als “Trost “ Israels und als Heil aller Menschen. Immer wieder zog Jesus sich zurück in die Stille, um - wie im folgenden Hohenpriesterlichen Gebet - in der Gemeinschaft mit dem Vater durch den heiligen Geist Trost zu erfahren, um Tröster für Andere zu sein. Zur Krisis dieser Welt ist Jesus vom Vater gesandt, um als freudiges Ereignis einer Neugeburt (16, 21) das Licht in die Finsternis zu bringen, das der Welt einen neuen Schein gibt (1, 5; 2. Kor 3, 4). Denn “also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn hingab, auf dass alle, die an ihn glauben, das Leben jetzt und in Ewigkeit haben” (3, 16). Er ist es, der - dem Vater gleich - sich vollmächtig offenbart: Ich bin und werde dasein für euch. “Ich bin das Licht der Welt ... Wer mir nachfolgt, wird das Licht des Lebens haben” (11, 9) gewiss durch manche Finsternisse, Anfechtungen und Bedrängnisse des Glaubens hindurch. Aber: “Ich lebe und ihr sollt auch leben” (14, 19). “Seid getrost, ich habe diese Welt überwunden”.

 

4. Liebe Gemeinde, “getröstet wunderbar”,

Jesus nimmt wohl Abschied. Aber er lässt die Seinen, die ihm im Glauben nachfolgen, nicht allein zurück. Er sendet den Parakleten, den Tröster, der in die Gemeinschaft mit Christus, Gottes eingeborenem Sohn unserm erstgeborenen Bruder, führt, der den Glauben, das grundlegende Leben bestimmende Vertrauen auf Gott den Vater schafft und durch Angst und Leid erhält. Er lässt die Hinterbliebenen nicht allein. Als der “im Glauben gegenwärtige Christus” ist er da bei den Jüngern, in der Gemeinde, “Christus als Gemeinde existierend”. Und gegenwärtig durch den heiligen Geist als unser Tröster, ist er dort, wo wir einst mit ihm sein werden.

 

5. Liebe Gemeinde des “Trösters Jesus”,

im Glauben dürfen und können wir, durch den heiligen Geist in der Gemeinschaft mit Jesus Christus ihm eigen, als seine Nachfolger, bei Trost sein. Und wir sind es auch. So gibt der Heidelberger Katechismus gleich auf die erste Frage: “Was ist Dein einziger Trost im Leben und im Sterben?” die Antwort: “Dass ich meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin.” Und in seiner Nachfolge bin ich als Getrösteter auch Anderen Tröster durch das wechselseitige Trostwort von Schwestern und Brüdern. Evangelium ereignet sich da (SA III, 4).

Für M. Luther war bekanntlich die ganze Schrift voll Trost; weil in ihr als “Mitte” Jesus Christus sich bezeugt, spricht sie das Trostwort des “Gottes alles Trostes” zu (2. Kor 1, 3 - 9). Luther war es gegeben, Menschen in Angst und Leid das Trostwort zu sagen. In Briefen und Sermonen gab er den von menschlicher Erfahrung gedeckten geistlichen Rat: Lass dich nicht von der Macht des Finsteren gefangen nehmen. Vielmehr: Schau das Helle und Lichte an; blick auf Jesus, den Gekreuzigten und Auferstandenen; ihn lass sich “einbilden” in Dein Herz, in Deine Gedanken, in Dein Tun. Eine Umkehrung ist dies der menschlichen Projektion, wie sie später von L. Feuerbach erdacht wurde.

In einer bekannten Trostschrift erinnert Luther an die Begegnung des Volkes Israel, bedrängt durch Angst und Leid der Wüste, mit der ehernen Schlange (Num 21, 4 - 9): “Als die Kinder Israel, von den geflügelten Schlangen gebissen, sich nicht mit den Schlangen abgeben, sondern die tote eherne Schlange ansehen mussten, da fielen die lebendigen Schlangen von ihnen ab und vergingen. Also musst du dich auf den gekreuzigten Christus allein richten, so wirst du Leben finden. Und wo du den Tod anderswo ansiehst, so tötet er dich mit großer Unruhe und Pein. Darum sagt Christus: In der Welt habt ihr Angst, wie auch in uns selbst; in mir aber Frieden”, d. h. Gemeinschaft mit Gott im gekreuzigten und auferstandenen Christus durch den heiligen Geist jetzt und für immer (Sermon von der Bereitung zum Sterben (1519), Cl I, 165, 28 - 34). In diesem Sinn lässt P. Gerhard uns singen:

Erscheine mit zum Schild, zum Trost in meinem Tod

Und lass mich sehn Dein Bilde in Deiner Kreuzesnot.

Da will ich nach Dir blicken, da will ich glaubensvoll

Dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl.” (EG 85, 10)

 

6. Liebe Gemeinde, die getröstet Trost weitergibt,

Trösten und das Trostwort in der Gemeinde erweist sich als Gabe des heiligen Geistes (Röm 12, 8). In konkreter Vielfalt und höchst unterschiedlich wird Trost weitergegeben: durch Dasein beim Anderen, durch eine hilfreiche Geste, durch einen Rat zur rechten Zeit, durch das fürbittende Gebet, durch den geistlichen Zuspruch und Verweis auf Christus, empathisch und sensibel angezeigt. Wo das geschieht, ereignet sich und wird erfahrbar Gemeinde des gegenwärtigen Christus: ein Zeichen, das Dank und Freude auch bei anderen Christen in der ganzen Kirche hervorruft (2. Kor 7, 13f).

Wahren Trost geben erweist sich als Gnadengabe, als Charisma. Das mag ein Hinweis sein, dass wir echten Trost - bei aller hilfreichen Aus- und Fortbildung mit ausgewiesenen Zertifikationen - nicht selbst herstellen, machen oder organisieren und Angst und Leid nicht selbst beiseite schaffen müssen. Im Gebet uns des Trösters Jesus vergewissernd, wird der heilige Geist, “Tröster mein”, Beistand sein und auch in unserer Schwachheit und unserem Unvermögen für uns eintreten. Welch eine Entlastung für uns!

Zugleich gilt uns die Tröstung, dass all die Angst und das Leid, oft von Menschen produziert, auch bekämpft, mit Krieg, Ungerechtigkeit und gewaltsamen Tod in der Folge, nicht Letztgültigkeit behalten. Gerichtet sind sie schon vom Parakleten und der Tröster Jesus wird ihnen Richter sein (16, 8 -- 11; 2. Kor 5, 10).

 

7. Liebe Gemeinde der Karwoche, die auch “heilige Woche” genannt wird,

in seiner Abschieds- und Trostrede verheißt uns, Dir und mir heute vor Karfreitag und Ostern, Jesus, der Christus: “In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost. Ich habe diese Welt überwunden. ... Eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen” (16, 20, 22). “Siehe, ich bin bei euch” heute, an jedem neuen Tag und bis ans Ende dieser Welt. Darum stimmen wir mit ein in die Bachmotette “Jesus meine Freude. ... Weicht ihr Trauergeister” (EG 396, 1 - 3, 6).

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne und euer Tun in der Gemeinschaft mit unserem “Tröster Jesus” durch den heiligen Geist Amen.



Prof.Dr. Michael Plathow

E-Mail: michael@plathow.de

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