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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2016, 2016

, verfasst von Claudia Krüger

Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt.

In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

 

Es gibt Zeiten, da wünschen wir uns nichts sehnlicher, als einen ganz und gar sicheren Ort, wo wir geschützt sind vor all dem, was so unbarmherzig auf uns herunter prasselt wie Hagelkörner aus finster verhangenem Wolkenhimmel und die Stürme des Lebens so heftig um uns toben, dass wir kaum standhalten können.

Da stirbt ein innig geliebter Mensch. Da wird eine Frau in ihrem Arbeitsumfeld gemobbt bis sie krank wird, und versteht die Welt und sich selbst nicht mehr. Da geht eine Beziehung in die Brüche, andern Orts nimmt ein Mensch sich das Leben und lässt Angehörige zurück, die sich wieder und wieder fragen: „Warum?“ und „Hätten wir es nicht verhindern können?“ Und wir bleiben rat- und trostlos zurück.

Da wendet ein junger Mensch sich von der Familie ab und schlägt Wege ein, die niemand versteht.

Da erfasst uns eine schwere Krankheit, und wir wissen nicht, ob wir eine Chance haben und fühlen uns mit einem Mal haltlos, ausgeliefert und einsam inmitten der Gesunden.

Dort versinkt ein Anderer allmählich in einer demenziellen Krankheit, so dass alles um ihn herum fremd und bedrohlich wird, er suchend und irrend nach Hause will, und doch nicht mehr weiß, wo er eigentlich noch zu Hause sein ist. Zweifelnd und voll Angst fragt er sich, ob er sich selbst und den Anderen noch vertrauen kann.

Und all das schmerzt nicht nur die Betroffenen, sondern auch die, die mit an Ihrer Seite unterwegs sind, die mitgehen und eben auch mitleiden.

 

Es rücken uns aber heutzutage auch fremde Menschen nahe, die in Todesangst fliehen vor Bomben und Bürgerkrieg, vor Folter und Gewalt, vor Stacheldrähten und schlammiger Kälte, und eben auch vor menschlicher Kälte.

Und es gibt inzwischen auch immer mehr Menschen, die sich fürchten vor denen, die Zuflucht suchen. Und ihrerseits Zuflucht nehmen zu einer rigorosen Abschottung, zu Parolen, Hetze und Patriotismus.

Und doch bezweifle ich, dass wir durch Abschottung die Ängste besiegen und uns dadurch sicher und geborgen fühlen werden.

 

Wir alle kennen Situationen im Leben, in denen wir uns ganz und gar ungeborgen fühlen.

Gäbe es doch in solchen Momenten einen Ort, an den wir uns zurückziehen könnten und wieder Halt und Geborgenheit spüren könnten und Schutz und Zuflucht fänden. So, wie es in dem alten Lied so altmodisch aber so faszinierend anschaulich bekannt wird:

„Unter deinen Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei. Lass den Satan wettern, lass die Welt erzittern, mir steht Jesus bei. Ob es jetzt gleich kracht und blitzt, ob gleich Sünd und Hölle schrecken, Jesus will mich decken.“

Wir kennen diese Sehnsucht nach Ruhe und Schutz, die uns umfangen und Geborgenheit schenken mögen wie einem Kind im Schoss der Mutter oder in den starken Armen des Vaters.

Hätten wir doch einen Schutzraum, in dem uns die Schrecken der Welt nichts anhaben könnten, wo wir unseren inneren und äußeren Frieden wieder finden, Vertrauen sich wieder aufrichtet und, wohltuende Geborgenheit spürbar wird – so dass wir dann gestärkt auch wieder aufbrechen können hinein in die Stürme des Lebens, die ja nicht aufhören in dieser Welt, und doch geschützt von unsichtbarer Hand.

 

Hören wir noch einmal Jesu Worte:

Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt.

In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

 

Er hat viel geredet damals beim Abschied. Gewichtige tröstende Worte. Abschiedsworte, damit die Männer und Frauen, die ihn liebten und ihm vertrauten nicht als Waisen zurück blieben, nicht ohne Trost und nicht vereinsamt.

Er hatte es ihnen oft genug gesagt, dass sein Weg ans Kreuz führen würde, und doch wollten sie es nicht wahrhaben, konnten sie es einfach nicht fassen. Und so spricht er zu ihnen, lange und eindrücklich. Die Abschiedsreden Jesu.

Jeder einzelne Satz birgt einen ganzen Schatz an Trost und Ermutigung, und jeder Satz ist es wert, ihn wieder und wieder zu meditieren und ihn sich ins Herz und in die Seele schreiben zu lassen.

Vielleicht werden Sie in den nächsten Tagen wieder einmal diese trostreichen Worte im Johannesevangelium lesen. Und womöglich kann ein einziges Wort, in ihre ganz eigene Situation hinein gesprochen, sie heilsam verändern.

Jesus verspricht in den Abschiedsreden, seinen Heiligen Geist, den Tröster zu senden, damit wir Menschen auch nach Jesu Tod nie ungeborgen, nie ohne seine lebendige Gegenwart sein müssen, bis zu dem Tag, an dem wir ihn von Angesicht zu Angesicht sehen werden.

Wunderbare Worte, wir hören den einzigartigen Klang der Arie im Brahmsrequiem, in welcher die Worte Jesu vertont sind: „Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.“

Ja, am Ende aller Tage werden uns die Fragen nicht mehr auf den Lippen brennen und unser Herz nicht mehr in Zweifel stürzen. Angst und Trauer werden die Seele nicht mehr betrüben und uns die Kehle nicht länger zuschnüren. Und auch das schmerzliche, wieder und wieder gestammelte und unbeantwortete „Warum“ muss dann für immer verstummen. Dann aber wird die Liebe Gottes und sein Friede alles umfassen – und dann, ja, dann wird die Freude unbeschreiblich groß sein.

 

Bis dahin aber leben wir weiterhin in einer Welt, die uns noch oft genug Angst machen wird, das sagt uns der Evangelist schonungslos deutlich. Auch werden wir immer wieder innere Zerrissenheit spüren, und doch können seine Trostworte uns im Innern berühren, können wir Momente tiefen Friedens in ihm finden wie in einem unsichtbaren Schutzraum, der uns behutsam umgibt, auch wenn die Welt um uns tobt. Und immer wieder kann das Wort der Engel an unser Ohr dringen und uns sagen: „Fürchte dich nicht!“

In Christus können wir Frieden finden, der so ganz anders ist als alles, was die Welt uns geben kann. Diesen Frieden lässt er uns da in unserer Welt, wenn er geht, auf dass wir immer wieder in solchem Frieden Zuflucht finden. So hat er es den Damaligen und auch uns Heutigen versprochen:

“ Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.

Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Joh.14,27)

An manchem Grab ist mir dieses Wort zu tiefem Trost geworden. Gerade dann, wenn alle menschlichen Worte ins Leere laufen und die Trauer übermächtig ist. Dann darf ich spüren:

In Christi Frieden bin ich geborgen – auch und gerade jetzt. Wie ein Schutzraum der Geborgenheit mitten im Leid. Leise, ganz leise erklingt in mir die Gewissheit: „In dir ist Freude in allem Leide.“

Freilich, keine strahlende laute oder überschäumende Freude, aber doch eine stille helle und durchaus auch trotzige Gewissheit ganz tief in meiner Seele.

 

In ihm haben wir Frieden, und zu ihm können wir immer wieder Zuflucht nehmen in den Dunkelheiten unseres Lebens, mitten in der Angst der Welt, die uns Menschen begleiten wird bis zum Tag des großen Wiedersehens.

Denn der Evangelist sagt nicht, dass die Angst aus der Welt ist, er selbst schreibt sein Evangelium in einer schweren Zeit der Christenverfolgung und der brutalen Gewalt gegen die Menschen in den christlichen Gemeinden. Niemals sind wir vor Angst gefeit. Sie wird immer wieder mit eiskalter Hand unser Herz umklammern und uns bisweilen auch fest in den Griff bekommen.

Und doch finden wir immer wieder zu innerer Freiheit, finden Frieden in ihm und Zuflucht unter seinen Flügeln.

„Seid getrost“, sagt er den Jüngern und Jüngerinnen in seinen Abschiedsworten.

Dietrich Bonhoeffer hat einst im Gefängnis die Liedzeilen geschrieben: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag, Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Bonhoeffer hat in seiner ausweglosen Situation erfahren, dass er in Gott, wie von einem unsichtbaren Schutzraum umgeben, eine Geborgenheit erfahren kann, die ihm keine noch so böse Macht zu rauben vermag. Dass er in ihm frei und ohne Angst sein kann, und selbst seinen Wächtern vermag er dadurch mit Freundlichkeit und Gelassenheit zu begegnen, ganz getrost.

Kaum ein anderes Lied kann bis heute den Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen so sehr aus dem Herzen sprechen, sie trösten in Trauer, sie ermutigen am Jahresende, ihrem Vertrauen Ausdruck schenken bei der Taufe oder am Beginn eines gemeinsamen Lebensweges.

Sich in Gottes Frieden wunderbar geborgen zu wissen, „von guten Mächten treu und still umgeben“, etwas Tröstlicheres kann man sich nicht vorstellen!

 

„Seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

Kurze Zeit später geht Jesus seinen Weg weiter, geht uns allen voraus durch Leid und Tod.

Am Ende aber überwindet er die Welt und auch den Tod. Und, so verspricht er: einmal wird er uns alle zu sich ziehen, damit auch wir sind, wo er jetzt ist – bei Gott in ewigem Frieden und Geborgenheit.

„Es ist vollbracht“, das sind seine letzten Worte am Kreuz. Er hat die Welt überwunden, hat den Sieg errungen über alle lebensfeindlichen Mächte dieser Welt.

„Es ist vollbracht“, seine letzten, letztgültigen Worte führen uns vom Tod zum Leben, von der Verzweiflung zur Hoffnung, vom Dunkel ins Licht.

Heute schon. Und immer wieder. Und einmal ein- für alle mal. Amen.



Pfarrerin Claudia Krüger
Stuttgart
E-Mail: Claudia.krueger@elkw.de

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