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ISSN 2195-3171

Konfirmation, 2016

Christsein 2016 - Predigt zur Konfirmation zu Joh 13, 34f, verfasst von Sven Keppler

I. Liebe Konfis, liebe Konfi-Familien,

in diesem Jahr halte ich eine etwas andere Konfirmations-Predigt. Denn wir leben heute auch in einem etwas anderen Land als noch vor zwei oder drei Jahren. Seit der letzten Konfirmation sind etwa eine Million Menschen nach Deutschland gekommen, die vor den Zuständen in ihrer Heimat geflohen sind. Und spätestens seit der letzten Silvesternacht hat sich die Stimmung in unserem Land spürbar verändert.

Ich möchte heute fragen, was das für Euch bedeutet, liebe Konfis. Seit Eurem 14. Geburtstag dürft Ihr selbst entscheiden, welcher Religion Ihr angehören wollt. Heute entscheidet Ihr Euch für das Christentum – in seiner evangelischen Form. Ihr sagt „Ja“ dazu, dass Ihr als kleine Kinder getauft worden seid. Eine von Euch wird sich sogar heute taufen lassen, nachdem sie sich selbst dazu entschieden hat.

Aber was bedeutet das heute: Christin zu sein? Oder Christ? Normalerweise würde ich jetzt sagen: Vergesst Gott nicht in Eurem Leben! Erinnert Euch immer wieder daran, wo Ihr Kraft und Orientierung finden könnt! Bringt Euch ein in unsere Gemeinde, zum Beispiel in die Jugendarbeit im CVJM oder im Jugendzentrum! Das gilt natürlich auch in diesem Jahr. Aber es kommt noch etwas hinzu.

In Sachsen-Anhalt hat bei den letzten Wahlen eine Partei ein Viertel der Stimmen bekommen. Diese Partei nennt sich „Alternative für Deutschland“, AfD. Sie rückt zur Zeit immer mehr an den rechten Rand. Seit der letzten Woche will sie die Kritik am Islam ins Zentrum rücken. Angeführt von Beatrix von Storch, einer gebürtigen Herzogin von Oldenburg. Das ist die Dame, die Anfang des Jahres vorgeschlagen hatte, an der Grenze notfalls auf Flüchtlinge zu schießen. Auch auf Frauen und Kinder.

Ich will diese Predigt natürlich nicht für Wahlempfehlungen nutzen. Das ist nicht meine Aufgabe. Und wählen dürft Ihr ja sowieso erst in vier Jahren. Mir geht es um etwas anderes. Heute sagt Ihr ganz bewusst: Ja, ich will eine Christin sein. Oder ein Christ. Das ist wunderbar. Und ich behaupte: Das hat auch Folgen für Euer Verhalten in unserer Gesellschaft.

 

II. Die neue rechte Bewegung in Deutschland hat viele Namen. AfD oder Pegida sind nur zwei davon. Oft behaupten ihre Vertreter, sie würden das christliche Abendland verteidigen. Wie vor gut 300 Jahren, als die Türken vor Wien standen. Bei ihren Demos singen sie Weihnachtslieder.

Vor einer Woche wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Götz Kubitschek vorgestellt. Er ist einer der rechten Vordenker, die auch in der AfD immer mehr Einfluss gewinnen. In Sachsen-Anhalt lebt er auf einem Rittergut und pflegt das, was er für deutsche Kultur hält.

Seine Kinder haben Namen aus germanischen Sagen. Er siezt seine Frau, wie im Mittelalter. An den Wänden hängen christliche Ikonen. Vor dem Essen betet eines der sieben Kinder einen Spruch. In seiner Bibliothek stehen Bücher von alten und neuen Nazis. Und in seinem Verlag veröffentlicht er Werke wie: „Zurüstung zum Bürgerkrieg. Notizen zur Überfremdung Deutschlands“.

Der Journalist fragt, was Kubitschek eigentlich für „das Deutsche“ hält. Der antwortet, die Deutschen seien ein Volk, welches das Geistige besonders ernst nehme. Und das sein Handeln an Idealen ausrichte. Der Journalist fragt zurück, ob das nicht auch für die Asylpolitik von Angela Merkel gelte. Da wird Kubitschek laut. Die Frage sei, ob man Respekt vor der Geschichte habe. Sie haben ihn anscheinend nicht! Sie sind ein befreites Individuum, das offensichtlich keine Bindungen verspürt.

Das zeigt: Wenn wir uns mit den neuen Rechten auseinandersetzen, geht es immer auch um Glauben. Um das, was für uns verbindlich ist. Und um die Freiheit.

 

III. Welches Ideal überliefert die Bibel, wenn es um Fremde geht? Da ist die Bibel völlig eindeutig. Am besten ist das im 5. Buch Mose auf den Punkt gebracht. Da sagt Mose: Gott hat die Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider gibt. Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben; denn ihr seid auch (schon einmal) Fremdlinge gewesen (Dtn 10,18f.).

Da gibt es in der Bibel überhaupt nichts zu diskutieren. Deshalb stellt sich die Kirche auch so eindeutig auf die Seite der Flüchtlinge. Und auch Ihr, liebe Konfis, habt das getan. Als Ihr in der Petri-Kirche für den Lebendigen Adventskalender zuständig wart, habt Ihr für die Flüchtlinge in Versmold gesammelt.

Wir haben gemeinsam die Moschee in Halle besucht. Ihr habt gestaunt, wie einfach die Räume dort sind. Und wie freundlich und frisch unsere Gesprächspartner waren. Vor dem Islam, wie wir ihn dort kennen gelernt haben, braucht niemand Angst zu haben.

Man muss sich entscheiden: Gegen Fremde zu sein oder Christ zu sein. Beides zusammen geht nicht. Wer fremdenfeindlich ist und damit das Christentum verteidigen will, der hat ein Problem. Denn er kennt die Religion nicht, die er für sich in Anspruch nimmt.

Da liegt auch für Euch eine Aufgabe: Bemüht Euch auch weiterhin, Euren Glauben kennen zu lernen. Damit Ihr im Zweifelsfall sagen könnt, woran Ihr glaubt. Und wofür Euer Glaube steht.

 

IV. Der Kern liegt aber noch etwas tiefer. Götz Kubitschek hat ihn angesprochen, als er den Reporter beschimpfte: „Sie sind ein befreites Individuum, das offensichtlich keine Bindungen verspürt.

Das ist es, was die neuen Rechten verabscheuen: ein befreites Individuum. Den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellen. Die Freiheit schätzen. Liberal sein. Die Unterschiedlichkeit der Menschen als Reichtum empfinden, egal ob deutsch oder aus dem Kongo, Christ oder Muslim, hetero oder schwul.

Liebe Konfis, liebe Konfi-Familien, entspricht das unserem christlichen Glauben oder widerspricht es ihm? Gibt es da auch so eine eindeutige Antwort wie bei der Fremdenfeindlichkeit? Darf man sich auf Jesus berufen, wenn man für die Freiheit eintritt? Und für das Recht jedes einzelnen Menschen auf seine Eigenart. Oder ist das unchristliches Wischiwaschi? Auflösung unserer Traditionen?

Zum Abschluss dieser Predigt möchte ich versuchen, darauf eine persönliche Antwort zu geben. Für mich ist ganz wichtig: Jesus ist immer auf einzelne Menschen zugegangen. Er ist zum Kranken gegangen, um ihn gesund zu machen. Zur Ehebrecherin. Zum skrupellosen Geldeintreiber. Zur Ausländerin.

Bei Jesus gibt es keine Massenbekehrungen. Und wenn die Masse ihm nachläuft, dann dauert es nicht lange, bis sie es sich wieder anders überlegt. Erst „Hosianna“, dann „Kreuziget ihn.“ Glauben kann man immer nur als einzelner Mensch. Die Masse ist etwas hoch problematisches. Wir alle haben unsere ganz persönliche Lebensgeschichte mit Gott. In der dürfen unsere Eigenarten vorkommen.

Gott will uns als individuelle Persönlichkeiten. Der Glaube soll uns helfen, frei zu werden von dem, was uns gefangen nimmt. Das ist kein liberaler Zeitgeist. Sondern das entspricht zutiefst unser christlichen, evangelischen, lutherischen Tradition!

Das habe ich auch in der Konfi-Zeit mit Euch versucht. Ihr solltet entdecken, was Ihr selbst zu einem Thema denkt. Wie heißt das Glaubensbekenntnis, zu dem Ihr „Ja“ sagen könnt? Wie ist ein Gottesdienst, den Ihr selbst gestaltet? Wie sieht die Jugendarbeit aus, in der Ihr Euch engagieren wollt? Wir haben das Gebet in der Stille erprobt. Damit Ihr spüren könnt, wie Ihr als ganz besonderer Mensch Gott nahe kommen könnt.

Und ich habe Euch gefragt: Was ist der Konfirmationsspruch, den Du oder Du als Überschrift für Deine Konfirmation haben möchtest? Gott sieht jeden einzelnen Menschen und nicht nur Gemeinschaften und Völker. Deshalb werde ich gleich auch jedem Einzelnen von Euch die Hand auflegen und den Segen zusprechen.

 

V. Aber ist der Glaube dann nicht bloß ein großer Egotrip? Die friedliche Alternative für Ego-Shooter? Keineswegs! Es ist zwar richtig: Jesus spricht jeden von uns einzeln an. Er würdigt unsere Persönlichkeit und zwingt uns in kein Klischee hinein.

Aber er hat auch eine Aufgabe für uns. Die begründet er so ähnlich wie Mose die Fremdenfreundlichkeit. Mose hatte gesagt: Gott hat die Fremdlinge lieb. Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben. Jesus sagt: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt (Joh 13,34f.).

Liebevoll, respektvoll miteinander umgehen. Unterschiede stehen lassen können. Die Not anderer Menschen sehen und hilfsbereit sein. Angstfrei auf Fremde zugehen. Sich als große, bunte Gemeinschaft entdecken. Und gerade darin den eigenen Glauben leben. Das ist für mich Christsein 2016. Amen.



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Versmold
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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