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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2016

Schöpfungstag 2.9.2016, verfasst von Eberhard Busch

Fürsorge

Predigt zu 1. Petr. 5,7-11

Alle Sorge werfet auf ihn!“ Das heißt nicht: es gebe keinen Anlass, Sorgen zu haben. Das heißt auch nicht etwa: es seien alles unnötige Sorgen, die wir uns machen. Und das heißt auch nicht: wir sollten das Leben nicht so schwer nehmen, sondern mehr von der leichten Seite. Gewiss ist es zuweilen angebracht, davon zu reden. Aber im Grunde werden wir auch mit Meinungen und Ratschlägen zu diesen Punkten unsere Sorgen nicht los. Ein großer Denker des letzten Jahrhunderts, der Philosoph Martin Heidegger, hat darauf hingewiesen, dass die Sorge und das Sich-Sorgen so unvermeidlich zu unserem Leben gehört wie der Tod. Wir hätten Sorgen, weil wir ständig unser Leben dem Tod abzuringen haben.

Und tatsächlich haben wir ja auch unsere Sorgen, offene oder verborgene, berufliche und private, scheinbar kleine oder scheinbar große, wenn nicht um das tägliche Brot, so doch um einen Mitmenschen, oder auch Sorgen, die wir uns um uns selber machen, um unsere Gesundheit, um unsere Zukunft, und um das, was wir Anderen alles schuldig bleiben. Es gibt übrigens auch Christen, die sich um Gott Sorgen machen, weil sie ihn bedrängt sehen durch so viele, die praktisch ohne ihn leben, und bedrängt vielleicht sogar durch allzu religiöse Mitmenschen oder durch problematische Mitchristen.

Aber jetzt wird uns gesagt: „Werft alle eure Sorgen auf Ihn“. Hört ihr, die ihr euch sorgt, für euch wird gesorgt! Ihr habt wohl Sorgen, aber es gibt noch etwas Anderes als eure Sorgen. Wo immer eine Sorge ist, da ist nie nur Sorge. Da ist immer noch etwas Anderes da – ein Anderer. Er ist da, unser Gott und Heiland. Ihr seid darum mit euren Sorgen nicht allein und nicht euch selbst überlassen. Er nimmt daran teil. Er ist in seiner Weise auch besorgt. Sein Sorgen ist durch und durch Fürsorge. Er ist der vielfach erprobte Fürsorger – „er sorgt – für euch“, wie unser Bibeltext kurz sagt. Er hat noch andere Sorgen als die, die wir uns machen, und nun sind ihm offenbar auch die unsrigen nicht unbekannt. Denn er nimmt teil an den Sorgen, die wir haben, und lässt sie sich zu Herzen gehen.

Wir können uns daher keine Sorge machen, ohne dass er zur Stelle ist, ohne dass er diese Sorge mit uns teilt und damit für uns sorgt. Das gilt, lange bevor wir es merken. Wie gut, wenn wir das auch merken! Schaut auf Jesus Christus! „Siehe das Lamm Gottes, das der Welt Sünde – der Welt Lasten, der Welt Sorgen – trägt“ (Joh 1,29). Sein Eintreten für uns ist kein bloßer Gedanke. Seine Fürsorge ist reale Hilfe für uns. Und die vermag uns zu aufzurichten. In einem Osterlied von Lorenz Lorenzen heißt es: „Quält dich ein schwerer Sorgenstein, / Dein Jesus wird ihn heben.“ Den hat er uns abgenommen und auf sich genommen, um diesen Stein seinerseits zu entfernen – nämlich „all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz / ins Meeres Tiefe hin“, wie es in einem anderen Kirchenlied, von Paul Gerhardt, gesagt wird.

Das ist frohe Botschaft. Wer in seinen Sorgen sich an ihn wendet, der wird von ihm hören: „Jetzt lass einmal deine Sorge meine Sorge sein.“ Die geht ganz auf seine Kosten. Und werfen wir unsere Sorgen auf ihn, so gehören sie nicht mehr uns. Er enteignet uns unserer Sorgen. Mehr noch. Er enteignet uns nicht nur dessen, was uns Kummer macht. Er enteignet uns auch unserer selbst. Auch wir selbst gehören nun ihm. So heißt es im Heidelberger Katechismus: Das ist mein Trost im Leben und im Sterben, dass ich mit Leib und Seele nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Und während er unsere Lasten und Sorgen auf sich nimmt, um sie seinerseits wegzuwerfen, nimmt er uns auf, um uns eben nicht wegzuwerfen, um uns vielmehr für immer festzuhalten in seinem Arm und Schoß. Genau so werden wir das uns Belastende los, dass er uns nicht loslässt.

Aber nun möchten wir hier stocken und einwenden: Kann uns das denn wirklich in unseren Sorgen helfen? Unser Leben ist ja ernstlich bedroht – bedroht vom Tod, der uns bevorsteht und der sich in der Sorge anmeldet, wie der Philosoph gesagt hat. Und bedroht ist es von heimtückischen Krankheiten, deren Keim vielleicht schon in uns steckt, bedroht von Kräften, die unsere Lebensfreude stören und uns ängstigen lassen, nicht das Leben zu führen, das wir gern führen möchten. So dass wir im Gedanken an das uns bescherte Leben seufzen, was der Liedermacher Wolf Biermann gesungen hat: „Das kann doch nicht alles gewesen sein.“ Dabei ist so manches in unserem Leben durchaus nicht unverschuldet, sondern wie jemand gedichtet hat: „Wie oft bist du in große Not / durch eignen Willen kommen.“ In der Tat gibt es echte Gründe für unsere Sorgen.

Hat das Evangelium von Gottes Fürsorge für uns wirklich die Kraft, uns aus unseren Sorgen zu helfen? Denn das ist doch das Unheimliche an diesen Sorgen, dass sie Macht haben, uns vergessen zu lassen, dass Gott für uns sorgt und für unsere Nächsten. Sie haben die Macht, uns den Gedanken einzubläuen, Gott möchte nicht recht für uns gesorgt haben, und dann lassen wir uns nicht an seiner Fürsorge genügen. Das ist eben das, was unser Bibeltext sagt: „Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge.“ Er ist sehr gegenwartsnah, der Widersacher, der eine Sache wider uns hat – nämlich, dass er uns herauslösen möchte aus der Hand des barmherzigen Gottes. Und während Gott alles daran liegt, uns unsere Sorgen zu vertreiben, liegt diesem brüllenden Löwen alles daran, uns jeden Gedanken an den fürsorglichen Gott wegzubellen.

Dabei ist es allemal des Teufels Meisterstück, es uns zu vernebeln, dass er es ist, der am Werk ist. Johann Wolfgang von Goethe hat gesagt: „Den Teufel spürt das Völklein nie, und wenn er es beim Kragen hätte.“ Die „groß Macht und viel List“, mit der nach Martin Luther die Macht des Bösen ausgestattet ist, besteht darin, dass sie uns darüber hinwegzutäuschen versteht, welchen Schaden es für uns bedeutet, Gott ins Jenseits abzuschieben. Wir werden dafür prompt bestraft, dass uns nun auch die von Gott geliebte Menschheit aus den Augen rückt – der Hunger nach Brot so unendlich Vieler, der zunehmende Mangel an trinkbarem Wasser, die Unterdrückung von Menschenmassen und bei allem der Rüstungswahnsinn. Statt dessen erlaubt uns diese Macht die Flucht ins Belanglose, ins Unwichtige, das uns im Moment zwar wichtig dünkt, das wir aber bald wieder vergessen haben.

Doch nun heißt in unserem Bibeltext: „Dem widersteht!“ Dem widersteht – nämlich der Macht, die in den Sorgen Gewalt über uns gewinnt und die uns nur dahin bringen will zu glauben, Gott sorge nicht oder nicht richtig für uns. Unser Gott widersteht ihr – und er tut es, indem er unsere Sorgen auf sich geworfen sein lässt und indem er für uns sorgt Dem widersteht – das richtet sich allerdings jetzt auch an unsere Adresse. Weil Gott dem widersteht, darum könnt ihr die Augen auftun und wahrnehmen, wem da zu widerstehen ist. Und so widersteht dem nun! Es wird genauer gesagt: Dem widersteht fest im Glauben. Das könnt ihr und das tut ihr, indem er nicht auf euch selbst blickt, sondern eben auf den, auf den wir alle Sorgen werfen dürfen. Aber so könnt ihr das und so tut ihr das.

Ich sah in manchen Wohnzimmern in schmucken Bilderrahmen den Spruch: „Sorge, doch sorge nicht zuviel, / es kommt doch, wie Gott es haben will.“ Tönt das nicht zu sehr nach blinder Schicksalsergebenheit? Der barmherzige Gott der Bibel ist jedenfalls nicht mit dem Schicksal zu verwechseln, das wie eine Mähmaschine über unsere Köpfe dahinfährt, ob wir wollen oder nicht. Er möchte uns anstecken mit seiner Fürsorge, in der er für uns einsteht. Dass wir unsere Sorgen auf ihn werfen dürfen, das bedeutet nicht, jetzt tatenlos die Hände in den Schoß zu legen. Dass er für uns sorgt, das will wohl unserem Tun vorangehen, und das will unser Tun leiten und begleiten. Aber das will das Regen unserer Glieder nicht überflüssig machen.

Daran erinnert uns ausdrücklich unser Bibeltext: „Wisset, dass dieselben Leiden über eure Geschwister in der Welt gehen.“ Also nicht nur ich bin bedroht und habe Sorgen, Millionen anderer auch. Und wenn ihr wisst, dass Gott für euch sorgt, so seid ihr immerhin soweit entlastet und habt eure Hände und Köpfe frei, dass ihr euch jetzt Anderen zuwenden könnt in ihren Sorgen. Tut für eure Geschwister in der Nähe und Ferne Fürbitte! Und tut ihr für sie Fürbitte, dann werdet ihr in irgendeiner Weise Fürsorge ihnen zuteil werden lassen, fürsorglich für sie eintreten, ihnen beistehen, ihnen tragen helfen, mit ihnen teilen. Ich sah einst am Kornmarkt in Witten einen Brunnen, wie man selten einen sieht: in der Mitte steht aus Stein ein keuchender Sackträger. Fürsorge kann zuweilen eine Last sein. Aber ein Segen, wer sie trägt.

Hören wir zuletzt die Sätze, mit denen unser Predigttext schließt: „Der Gott aller Gnade, der uns berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, bereiten, stärken, kräftigen, gründen. Sein ist die Macht in Ewigkeit! Amen.“



Prof.Dr. Eberhard Busch
Friedland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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