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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2016

Schöpfungstag 2.9.2016 Zefanja 2,1-2a u. 3., verfasst von Ralf Meister

Liebe Gemeinde!

„Die ganze Schöpfung ein Lobpreis Gottes“, so lautet das Motto des diesjährigen ökumenischen Schöpfungstages, der am 2. September begangen wird. „Die ganze Schöpfung ein Lobpreis Gottes“ –Nun könnte man ausbrechen in ein euphorisches Schöpfungslob. Doch zugleich erinnern wir uns, dass Schöpfungstage nicht frei von Traurigkeit sind. Schöpfungstage sind Lobpreis und Bußruf. In dieser Spannung leben wir. Wenn wir angemessen beschreiben wollen, was uns mit einem Schöpfungstag aufgetragen ist, dann sprechen wir von Freude und Furcht, von Schönheit und Verderben, von Hoffnung und Gefahren in unserem Schöpfungsverhältnis. Das eine ist angesichts der ökologischen Verfassung unserer Erde ohne das andere nicht zu haben.

Vor diesem Hintergrund habe ich dem Motto des diesjährigen Schöpfungstages einen Bußruf des Propheten Zefanja zugeordnet:

Die ganze Schöpfung ein Lobpreis Gottes“ ---

Sammelt euch und kommt her, du Volk, das keine Scham kennt,
ehe denn ihr werdet wie Spreu, die vom Winde dahinfährt…

Suchet den Herrn, alle ihr Elenden im Lande…
Suchet Gerechtigkeit und suchet Demut.“
Zefanja 2,1-2a u. 3

Die Mahnung des Propheten ist rund 2600 Jahre alt. Gerechtigkeit und Demut waren seinerzeit völlig unter die Räder gekommen. Wir hören von Hochmut und von Ungerechtigkeit. Götzendienst ist das Produkt verstockter Herzen. Zefanja weiß: In seinem momentanen Zustand kann das Volk nicht bestehen. Ändert es sich nicht, wird es zerstreut wie Spreu im Wind! Wenn man das verhindern will, müssen vor allem Gerechtigkeit und Demut von neuem gesucht werden. Eine Zivilisationsreform wenn man so will.

Gerechtigkeit und Demut sind für den Propheten Zefanja zentrale Orientierungsbegriffe des Volkes Gottes. Sie sind andere Worte für den Willen zur Zukunft. Moderner geht es kaum. Wir würden heute sagen: Zukunftsfragen sind nur im Zusammenhang mit Gerechtigkeitsfragen zu lösen. Oder: Ohne Gerechtigkeit keine Zukunft!

Das Wort Demut zielt auf ein geläutertes Bewusstsein. Es geht nicht um eine freundliche Gesinnung oder die ein oder andere Tugend. Demut ist das Fundament für Zukunftsfähigkeit. Wo das dominante Lebenswissen sich heute darauf beschränkt, Werte nur in Marktpreisen anzugeben, ist Demut eine Chance. Wer nur Preise bestimmen kann, hat sein Gespür für den Wert einer Sache verloren. Demut ist ein Sensorium für die Werte, die Gott den Dingen zuspricht.

Wie sieht es heute in unserem Ringen um Zukunft und Entwicklung aus? Die Lage ist ernst bis verfahren. Tonnen von hochradioaktivem Atommüll liegen schwer auf unseren Welt- und Lebensverhältnissen. Gorleben, Morsleben, Konrad und die Asse sind nur die prominenten Stellvertreternamen für die Folgen eines technologischen Hochmuts, der uns auf unabsehbare Zeit fesseln wird. Eine Kommission des Bundestages hat in den vergangenen zwei Jahren intensiv an der Frage gearbeitet, wie dieser Müll möglichst sicher zu verwahren ist. Der Bericht ist 600 Seiten dick und alles andere als unstrittig. Davon zu reden, man wolle dafür sorgen, dass Radionuklide nicht in die Biosphäre gelangten, offenbart die Hilflosigkeit. Der strahlende Müll ist bereits Teil der Lebenssphäre und bleibt dort, auch wenn er tief in der Geosphäre versenkt werden sollte.

Wer sich selbst und anderen mit seinen industriellen Hinterlassenschaften so zerstörerisch ins Leben fährt, hat sich nicht von Gerechtigkeit leiten lassen. Wer kommenden Menschheitsgenerationen vorschreibt, welchen Risiken und Gefahren sie sich nicht entziehen können, weiß nichts von Demut. Atommüll ist eine Hypothek, die auf der Zukunft liegt. Damit haben wir die Integrität der Schöpfung angetastet. Ihren Heimatcharakter, ihre Freiheitsmöglichkeiten, ihre Geborgenheit und auch die menschliche Sehnsucht nach gelingendem Leben. „Die ganze Schöpfung ein Lobpreis Gottes“ – das Motto des diesjährigen Schöpfungstages schmerzt angesichts dieser Verhältnisse.

Wenn wir heute den Ruf des Propheten nach mehr Gerechtigkeit und Demut ernst nehmen, dann müssen wir von unseren Verstrickung sprechen. Gefährlicher Zivilisationsmüll, die Klimaveränderungen, drohende Trinkwasserknappheiten, Erosion fruchtbarer Böden und die Zerstörung der Primärwälder bezeichnen Baustellen, an denen wir uns global an die Arbeit machen müssen. Verantwortung ist allen zuzumuten. Die Herrschaft der Plünderer ist kein Zivilisationsmodell. Der prophetische Ruf ist eine Störung unserer Selbstentwürfe. Einen ökumenischen Schöpfungstag auszurufen und ihn gesellschaftlich sichtbar zu feiern heißt darum, sich stören lassen zu wollen.

Der Prophet Zefanja bleibt allerdings nicht nur in kritischer Distanz zu den Wirklichkeiten seiner Zeit. Er will bewegen.

Sammelt euch und kommt her,
du Volk, das keine Scham kennt!“

Mache dir, du Volk Gottes klar, das Technik und Ökonomie allein und auf sich selbst gestellt niemals die Lösungen für unsere Probleme sind. Der sich manifestierende gesellschaftliche Hochmut braucht einen tieferen Impuls. Die Bibel nennt ihn Buße. Die Meinung, dass man nur weiter technisch ausloten müsse, was ginge und was nicht ginge, das ermüdende Mantra, Technik und Ökonomie allein böten das Leitwissen für Zukunft, greift nicht mehr. Sicher sind Deponiebau und Deponiemanagement, Boden-, Klima- und Wassermanagement wichtige Bausteine auf dem Weg zu mehr Schöpfungseinklang. Aber sie sind nicht alles. Wir brauchen Heilung von dem Wahn, alles wäre machbar, ersetzbar und austauschbar.

Ihr Elenden im Lande,
suchet Gerechtigkeit und Demut!“

Als der Prophet Zefanja das Volk zur Wende ruft und zu neuer Hinwendung auf Gott, weiß er nichts von Atommüll, Klimawandel, Bodenerosion. Aber er kennt bereits die Unterwerfung unter Wahn und Hochmut.

Die Demut, die der Prophet sucht, meint keine religiöse Folklore. Davon gibt es gerade zur Zeit des Zefanja mehr als genug. Die Leute hocken auf den Dächern und beten die Gestirne an. Selbsternannte Priester werben an den Straßenecken für ihre Offenbarungen. Obere und Richter sind käuflich. Und die Frevler haben jede Scham verloren. Die Demut, die der Prophet meint, beschreibt ein geläutertes Zivilisationskonzept, das mit neuen Kräften ausgestattet ist. Diese Demut zielt auf wahre Aufrichtigkeit und auf die Aufrichtung der Wahrheit. Der Ruf zur Demut ist ein Ruf zur Wirklichkeit. „Erwacht zur Wirklichkeit“, so könnte man diesen Ruf übersetzen. Macht euch nichts mehr vor. Unterbrecht eure hektischen Selbstrettungszirkel. Entmachtet eure Selbstbeglaubigungen. Demut sei eure Arbeit an der Wahrheit und euer Engagement gegen Lüge und Verirrung.

Ein neues Schöpfungsverhältnis gewinnen wir dort, wo wir uns eine strikte Orientierung an der Zukunft auferlegen. Dabei geht es nicht allein um unsere eigene Zukunft, sondern auch um die Zukunft kommender Erdenbürger. Ob sich kommende Menschen rückblickend in unseren zivilisatorischen Orientierungen aufgehoben fühlen können, muss die entscheidende Frage im Umgang mit der Schöpfung sein. Jede Zivilisation bleibt politisch und ethisch unterbestimmt, wenn sie nur auf kaufkräftige Bedarfe der Gegenwart zielt. Wir werden den biblischen Zivilisationsanspruch, der hinter den Begriffen Demut und Gerechtigkeit steckt, nur angemessen begreifen, wo wir ihn als Auftrag für jene verstehen, die heute noch nichts für sich sprechen können. Unser Umgang mit Trinkwasser, mit den Primärwäldern, mit den CO2-Zielen ist direkter Ausdruck unserer Bündnisfähigkeit mit kommenden Menschen. So steht unsere Geschwisterlichkeit auf dem Prüfstand. Schöpfungsverantwortung ist kein Akt der Herrschaft, sondern der Weisheit und der Lebensfreundlichkeit.

Diese Herausforderung ist enorm und rührt im Privaten und im Politischen an die Grenzen des Zumutbaren. Das ist die Herausforderung. Neu denken und sich vereinnahmen lassen für die Sache des Schöpfers. Wir müssen uns als Christinnen und Christen in den Umweltfragen wieder politischer aufstellen und uns wieder in eine ethisch geklärte Führungsposition gegenüber unseren mentalen Routinen bringen. Auch das meint der Prophet, wenn er sagt: Sammelt euch … (!), ehe denn ihr werdet wie Spreu, die vom Winde dahinfährt…

Lobpreis und Mahnung, Freude und Verantwortung, Hoffnung und konkretes Umdenken gehören zusammen. Wir kommen angesichts der Herausforderungen nicht darum herum, beides zu bedenken. Schöpfung will gefeiert und klug gestaltet werden. Schöpfungstage sind darum Fest- und Gedenktage. Tage, an denen sich zu Lob und Dank die Bitte gesellt: „Herr, sende deinen Geist, denn Du allein erneuerst das Antlitz der Erde!“ Amen.

Amen

 



Landesbischof Ralf Meister
Hannover
E-Mail: Landesbischof@evlka.de

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