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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2016

Reformationsfest 2016 - Röm 3, 21-28, verfasst von Eberhard Busch

Wir begehen erneut den Reformationstag. Wir gedenken da der Botschaft, die vor bald 500 Jahren wieder entdeckt wurde und der Kirche Christi gezeigt hat, wozu sie da ist. Diese Botschaft zu beherzigen und zu verbreiten, dazu ist die Kirche da. Der Apostel Paulus schreibt davon in dürren Worten, aber wenn sie einmal verstanden sind, brennen sie wie ein heilsames Feuer: „Wir werden ohne Verdienst gerecht aus Gottes Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“ Martin Luther war der Erste, dem hier ein helles Licht aufging. Er dichtete darüber ein Lied, in dem es heißt: „Ob bei uns ist der Sünde viel,/ bei Gott ist viel mehr Gnade;/ ... Darum auf Gott will hoffen ich,/ auf mein Verdienst nicht baun;/ auf ihn will ich verlassen mich/ und seiner Güte traun,/ die mir zusagt sein wertes Wort;/ das ist mein Trost und treur Hort;/ des will ich allzeit harren.“ Und dann erfasste dieses Licht viele Andere, Große und Kleine, Frauen und Männer, Gelehrte und Schlichte. Im fernen Genf nahm Johannes Calvin dasselbe Licht wahr und er schrieb: „Das geistliche Haus der Kirche hat dies zur Grundlage: Gott macht uns von allen Sünden frei und nimmt uns, ohne eine Bedingung zu stellen, als seine Kinder an.“

Wenn wir nun heute den Reformationstag feiern, so betreiben wird keine Denkmalpflege, bei der man eine höfliche Verbeugung vor den Alten macht, und dann geht man weiter seine beliebigen, anderen Wege. Wir sind doch in der evangelischen Kirche. Die hat zwar weder Luther noch Calvin zum Fundament. Aber die ist durch die Erkenntnis verbunden, dass durch Luther wie durch Calvin das Evangelium Jesu Christi als das Fundament der Kirche herausgestellt wurde. Darum ist die Begegnung mit der Reformation für uns immer auch beunruhigend. Denn da wird uns eine bohrende Frage gestellt: Ihr nennt euch evangelisch, aber seid ihr auch evangelisch? Es ist ein Unfug, sich zu rühmen, evangelisch zu sein, wenn uns das Evangelium Jesu Christi nicht die bestimmende Kraft ist, so wie es bei den Reformatoren geschah. Bedenken wir, dass heute Andere, auch Katholiken, das besser verstanden haben als manche Protestanten.

Auf dem Reichstag zu Worms 1519 hat Luther erklärt, er werde seinen Aussagen abschwören, wenn sie im Widerspruch zum Wort Gottes in der Bibel stehen. Sie sind der Bibel so unterworfen, wie die Erkenntnis eines jeden Christen. Und so hören wir heute das Evangelium nach dem Römerbrief Kapitel 3. Paulus schreibt dort, dass „wir alle Sünder“ sind. Man verstehe das nur nicht falsch, wie das zuweilen geschehen ist. Etwa so: Wenn wir alle Sünder sind, dann fällt es nicht weiter auf, wenn ich auch einer bin. Dann ist es am Ende gar nicht so übel, was ich angestellt habe. Im alten Bahnhof Friedland ist eine Ausstellung über die Kriegsheimkehrer nach 1945 aufgebaut. Da sieht man einen Politiker, der die einstigen Kämpfer der Wehrmacht in Bausch und Bogen als schuldlos bezeichnet und darauf antworten alle spontan mit dem Lied: „Deutschland, Deutschland, über alles“. Aber Vorsicht, so flott geht das nicht. Paulus sagt nicht: Es ist nicht so schlimm, was wir tun, wenn doch alle dasselbe tun. Er sagt: Du, der du gut von dir denkst, der Finger zeigt auf dich: Du bist vielmehr gar nicht gut. Du denkst, du redest, du handelst verkehrt. Wir sind in dieser Sache nicht unsere eigenen Richter.

Es ist hilfreich, wenn wir beim Hören des Predigttextes auch das Gleichnis Jesu im Ohr haben, das im Lukasevangelium steht (18,9-14). Jesus redet da von Zweien, die in den Tempel zum Beten gehen. Der Eine rühmt sich dabei seiner guten Werke und dankt Gott, dass er nicht so falsch ist wie so viele Mitmenschen. Der Andere steht nur von ferne und schlägt an seine Brust: „Gott sei mir Sünder gnädig.“ Ausgerechnet dieser Zweite hatte Recht, sagt Jesus. Ausgerechnet seiner erbarmt sich Gott, was der Erste nicht nötig zu haben meint. Jesus würde das Gleichnis heute vielleicht anders erzählen: Es war ein Mitteleuropäer, der dankte Gott, dass es ihm so ordentlich geht, er habe es auch redlich verdient und es sei gut, dass er nicht so dran ist wie die, die am besten nicht zu uns kommen. Prima, wenn die Grenzen Europas nun geschützt werden vor den armen Schluckern. Heißt es nicht „Liebt eure Nächsten“? Und bedeutet das nicht, dass wir die Fremden abweisen dürfen? Sie sind ja auch selber schuld, dass es ihnen nicht so gut geht wie uns. Aber hört, Jesus würde sagen: nein, nicht ihr seid im Recht, sie sind im Recht – sie, die eurer Meinung nach abzuweisen sind. Auf ihrer Seite steht Jesus.

Paulus hat ihn verstanden, wenn er jenen steilen Satz sagt: „Wir werden ohne Verdienst gerecht aus Gottes Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“ Denn jener stolze Mann im Gleichnis nach Lukas sitzt im Eigenlob all seiner Vorteile gleichsam auf einer Luftblase. Die wird bald einmal platzen. Und dann? Dann wird wie einem jeden von uns, dann wird auch Stolzen und Eingebildeten nichts übrig bleiben als auch an die eigene Brust zu schlagen: „Gott sei mir Sünder gnädig.“ So wie Martin Luther nach seinem reichen Leben nicht seine Verdienste aufgezählt, sondern schlicht das eine Sätzlein vorgebracht hat: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“ Es liegt uns zwar von Natur aus viel näher sozusagen an die Brust Anderer zu klopfen und sie anzuklagen und hinter ihnen her zu schimpfen. Es ist auch das ein gnädiges Geschenk Gottes, wenn wir endlich bereit werden, es einzusehen, dass wir selbst Vergebung brauchen. 

Was heißt hier Vergebung? Das Neue in der Reformation war an sich noch nicht die Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“. Diese Frage konnte auch auf einen Irrweg führen. Das Neue war die Antwort, die biblische, die evangelische Antwort auf diese Frage: Nicht ich bekomme einen gnädigen Gott, sondern der gnädige Gott bekommt uns. Und er bekommt uns, indem er zu uns kommt, auch zu mir. Er kommt zu uns, um uns Gutes zu tun, wie Paulus sagt: um uns zu „erlösen“, uns zu befreien von dem, was uns trennt, von ihm und voneinander, zu befreien von unseren Verkehrtheiten, von dem, was uns belastet, um uns vielmehr frischen Mut zu geben, es anders zu machen als bisher, Mut zu einem Leben in Gerechtigkeit, in Aufmerksamkeit und Liebe. Und das tut er, indem er sich für uns einsetzt und hingibt, ja, indem er auf sich nimmt genau das, was uns belastet. Das ist Gottes Barmherzigkeit.

Aus diesem Grund geht er vorbei an den Selbstzufriedenen und geht hin zu denen, die am Boden liegen, die niedergedrückt sind, an denen Andere vorbeigehen, vor denen wir die Türe schließen. Gott wendet sich in Jesus eben diesen zu. Er ist gekommen, die Preisgegebenen nicht preiszugeben, die Verlorenen zu finden und den Verkehrten beizustehen, so dass sie auf den rechten Weg gelangen. Dass er gerade ihnen gnädig ist, das zeigt uns: dies liegt nicht an ihnen, auch nicht an ihrem Glauben. Denn im Glauben halten wir uns ja gerade an das, was nicht wir tun. Wir können es nicht tun, wir müssen es auch gar nicht tun, weil es vielmehr Gott tut in seinem großen, erlösenden Erbarmen, erwiesen in der Hingabe seines Sohnes Jesus Christus.

Aber was ist mit denen, an denen er anscheinend vorbeigeht? Nein, auch sie hat er nicht vergessen. Auch sie überlässt er nicht sich selbst. Sondern er stellt in seinem Erbarmen klar, dass im Grunde Alle an die Seite der Erbärmlichen gehören, und er zeigt dabei, dass somit Alle allein aus Gnade von ihm akzeptiert werden. Da haben nicht nur einige, sondern da haben wir alle und da hat ein jeder in seiner je besonderen Weise Grund genug, an die eigene Brust zu schlagen: „Gott sei mir Sünder gnädig.“ Da ist keiner, der nicht ganz und gar auf Vergebung angewiesen ist, auf Gnade, die er nicht verdient hat, die er auch nicht bekommt, außer sie werde ihm geschenkt. Aber er bekommt sie geschenkt. Gratis! Damit gerät die Vorstellung ins Wanken von einer Welt, die eingeteilt ist in zwei feste Gruppen: hier die Guten oder doch Besseren, die bei Gott und den Menschen gut angeschrieben sind, und dort die Armseligen und Erbärmlichen, die auf verlorenem Posten stehen. Diese Vorstellung gerät uns Wanken durch die Erscheinung Jesu Christi, genauer gesagt: die bringt er zum Einsturz. Es bleibt jetzt für uns alle dabei: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“ Denn „wir werden ohne Verdienst gerecht aus Gottes Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“

Ist es wahr, dass wir, dass auch die Guten und Besseren samt und sonders auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit angewiesen sind, dann ist zugleich auch das wahr, dass wir damit an die Seite der Armseligen und Erbärmlichen gerückt sind. Wir können uns nicht über sie überheben und dürfen sie nicht verachten und uns von ihnen absondern. Sind wir an ihrer Seite, dann begreifen wir auf einmal, dass Gottes Gnade uns nicht die Hände müßig in den Schoß legen lässt. Gerade sie belebt und macht uns rege. „Liebt eure Nächsten!“, das heißt in Wahrheit: Liebt die, die euch durch Gott nahegelegt, zu Nächsten gemacht sind. Und das können ganz Fremde sein.

Hören wir dazu in dieser Predigt zuletzt Worte von Martin Luther: „Christus wohnt unter Sündern. Glaubst du das fest, wie du musst, – denn verflucht ist, wer dies nicht glaubt – dann nimm auch du deine zuchtlosen und irrenden Geschwister an und ertrage sie mit Geduld; ihre Sünden mache zu den deinen; hast du etwas Gutes, lasse es das Ihre sein. Der Apostel sagt: Nehmt euch untereinander auf, wie euch Christus aufgenommen hat zu Lobe Gottes. Vergiss, was du bist, und sei einer der Ihren. Bist du also eine Lilie und eine Rose Christi, so wisse, dass dein Wandel unter Dornen sein wird. Nur siehe zu, dass du nicht durch Ungeduld, schnelles Urteilen und versteckten Hochmut selbst ein Dorn wirst.“ Amen.



Prof. Dr. Eberhard Busch
Friedland
E-Mail: ebusch@ gwdg,de

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