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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2016

Reformationsfest 2016 - Röm. 3,(21-)28, verfasst von Jochen Riepe

 

I

Wer bin ich ? Was bin ich wert ? Wer urteilt über mich und was hat das mit Gott zu tun ? ‚So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke , allein durch den Glauben‘. Martin Luther schrieb später über den Augenblick , da er meinte , Sätze wie diese verstanden zu haben : ‚Nun fühlte ich mich geradezu wie neu geboren und glaubte , durch weit geöffnete Tore in das Paradies eingetreten zu sein‘*. Ein Deutscher im Paradies …

II

Machen wir einen kleinen Umweg über die Pädagogik, liebe Gemeinde . Die Mutter sorgt sich , weil sie ihre Kinder – wie sie sagt - nicht richtig ‚motivieren‘ könne … Sie fragt den Berater , ob junge Leute heutzutage nicht generell unwillig seien , sich ‚bewegen‘ zu lassen . Der überlegt : Alle Kinder kommen doch ‚hochmotiviert‘ zur Welt … und dazu : Kann man überhaupt andere motivieren ? Der Mutter fällt ein : ‚Vielleicht fehlt es den Kindern an Aufmerksamkeit…‘ Der Berater :‘Früher vielleicht, aber heute… wäre es da nicht besser, den Kindern ab und zu Ferien zu gestatten von der Aufmerksamkeit ,den Beobachtungen ,Forderungen und Anforderungen der Erzieher?‘

III

So halten wir nun dafür , daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke , allein durch den Glauben‘. Gerecht , angenommen , geliebt – auch ohne exzellente Leistungen, ohne Aufstieg , ohne Selbstoptimierung ? Martin Luther wurde der Satz des Paulus und der Brief an die Römer , aus dem er stammte , ein Ort der Wiedergeburt , des paradiesischen Jubels . Seine Biographen berichten : Luther stammte aus einem strengen Elternhaus in Eisleben am Harz. Streng und auch – ehrgeizig. Die Bauernfamilie hatte den sozialen Aufstieg geschafft und war im Mansfelder Land bekanntlich zu einem gewissen Wohlstand gekommen. Der Sohn sollte eine gute Ausbildung erhalten und soz. den Aufstieg fortsetzen. Das war der sehnlichste und für uns Mittelständler und Aufstiegsbesorgte unmittelbar verständliche Vaterwunsch : Ein Jurist, ein Ratsherr, ein Kanzleirat…

IV

Wir wissen : Martin , der Sohn , hat diese Pläne und Hoffnungen durchkreuzt. Gegen die Karrierewünsche seiner Eltern trat er nach einem erschütternden Ereignis, das berühmte Gewitter bei Stotternheim, ins Kloster ein und weihte sein Leben Gott. Natürlich : Der Vater war entsetzt, voller Zorn über den Ungehorsam des Sohnes , wenn man so will : über das Scheitern einer vieljährigen Anstrengung , Motivationsarbeit und Aufstiegshoffnung. Das enttäuscht , kränkt und macht auch wütend, wenn alle Erziehungsenergie, aller Verzicht und alle familiären Entbehrungen ins – Leere gehen und die erhoffte Karriere ausfällt . Viele Familien – damals und heute - haben an dieser Enttäuschung zu knacken … In Eisleben in Luthers Geburtshaus steht – zur Erinnerung an diesen Konflikt – das Wort mahnend , man möchte fast sagen : bebend an der Wand : ‚Ei , weißt du denn nicht , daß ein Kind seinen Eltern Gehorsam schuldet!‘

V

Gehen wir noch einmal auf unseren pädagogischen Nebenweg und verbinden ihn mit Luthers früher Biographie. Die Klage der besorgten Mutter haben Sie noch im Ohr : ‚Ich kann mein Kind nicht motivieren …‘ und Jesper Juul, der Berater,** antwortet : ‚Gönne ihm Ferien von deiner fordernden Aufmerksamkeit!‘ Zu viel Belehrung steht dem Lernen im Weg, heißt das. Wer sich einer Motivationsmaßnahme ausgesetzt sieht, macht eher ‚dicht‘ , weil er sich als Versager erlebt. Er schämt sich und tut alles , versucht alles , dem Kontroll-Blick zu entkommen , und das kostet viel Energie . Der Konflikt mit dem Vater hat in Luther vermutlich ähnlich gearbeitet und manche Lutherkenner haben das Naheliegende vertreten : Dieses Gefühl oder besser :diese Vorhaltung, ein ungehorsamer, eigensinniger, unzureichender Sohn zu sein, habe auch Luthers Verhältnis zu Gott beeinflußt . Gott – war das nicht jene Autorität, die immer etwas von dir will ? Tu dies. Laß das. Ist das nicht jener schreckliche Richter oder eben nörgelnder Vater, dem man es nie recht machen kann… der dein Leben fordert und beurteilt , deinen Wert feststellt und vor dem du notwendig ein Sünder und Versager, ein endloser ,ungewisser Büßer oder eben ein Rebell werden mußt ? Und die Kirche , ist das nicht jene Einrichtung , die eben diese Gefühle für sich nutzt , sich dazwischenschaltet und deine Gottesbeziehung zu ihren Gunsten ‚vermittelt‘ , um nicht zu sagen :‘verwaltet‘?

V

So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke , allein durch den Glauben.‘ Wie kommt ein Deutscher ins Paradies ? Gerecht , angenommen, geliebt – auch ohne juristisches Examen ,ohne das Einverständnis der Eltern , ohne bürgerliche Karriere , ohne das ‚Gesetz‘ und das , was es von dir fordert ? Luther ist im Studium der Heiligen Schift, besonders aber des Briefs des Paulus, anscheinend etwas widerfahren , was ihn persönlich - und mit ihm vielen Menschen seiner Zeit - zum befreiten Jubel brachte. Mein Sein und Wesen , mein Wert liegt in Gott , aber dieser Gott ist nicht das himmlische Doppel deines Vaters oder deiner Mutter, der Erzieher , des Staates , der gesellschaftlichen Ideale oder wessen immer. Gottes Gerechtigkeit, seine Zuwendung zum Menschen , sein Blick auf dich ist nicht fordernd , aber auch nicht nachlässig oder unernst oder uninteressiert , sondern kreativ, schöpferisch. ‚Der Gerechte aus Glauben wird leben‘ (Röm 1,17). Wie Gott das Körnlein auf dem Felde wunderbar zum Halm verwandelt , so verwandelt er auch den , dem das Wort ins Herz gegangen ist .

Dem Vater Jesu Christi darf man sich darum vertrauensvoll überlassen - mit all dem , was uns das Herz schwer macht , mit meiner Schuld, mit meinem Eigensinn . Im Gegenteil : Mein Eigensinn ist ein Schatz , aus dem er etwas bauen kann. Um es zuzuspitzen: Dieser Gott macht zuerst das, was uns irdischen Eltern und Erziehern so schwer fällt : In seiner Liebe ist dieser ‚glühende Backofen‘ sich selbst treu . Er traut er seinen Kindern etwas zu , entlastet sie gewissermaßen – ja, wie in den Ferien!- von seinem Urteils-Blick und setzt damit ganz neue Energien frei . Das ist vielleicht Luthers Paradies : Freigesprochen ,im Wort gehalten ,‘unmittelbar‘ , mit diesem Vater zusammenarbeiten dürfen und in Liebe das Notwendige tun.

VI

‚Ich fühlte mich wie neugeboren und glaubte , durch weit geöffnete Tore in das Paradies eingetreten zu sein…‘ – ‚Es wird nirgendwo so viel erzogen‘ – und ich ergänze: belehrt, erwartet, bekrittelt- ‚wie in Deutschland‘, sagt der Däne Jesper Juul. Ich weiß nicht , ob das richtig ist , wir meinen es doch gut … aber ein Funke Wahrheit steckt darin : es fällt uns sehr schwer , andere aus unserer erzieherischen Aufmerksamkeit, der Kontrolle und Beobachtung zu entlassen und ihnen mit dem entspannten Ferien- oder eben ‚Sabbatblick‘ des Glaubens zu begegnen ? Bin ich dann nicht ein schlechter Vater oder ein lascher und fauler Lehrer oder Pastor ? Das aber ist Gottes Blick auf dich , auf dieses ängstliche Ich , das immer in der Furcht lebt : Bin ich gut ? Bin ich gut genug ? Nutze ich die Chance, mich selbst zu verbessern und voranzukommen ? Der Glaube führt ins Paradies , das Gesetz – auch mein ‚eigenes‘ Gesetz – zu Schrecken und Gewissensterror. Wie oft kam der Junge aus den Ferien zurück und die Leute sagten : Der hat sich aber gemacht!

VII

‚Ei, weißt du denn nicht, daß ein Kind seinen Eltern Gehorsam schuldet?!‘ Ich sagte es : Eindrücklich , fast bebend, zitternd , steht dieser Satz an der Wand in Luthers Geburtshaus. Seine Eltern mußten es schlucken. Der ungehorsame Sohn durchkreuzte Motive, Motivationen, Pläne – mit schmerzlichen Gewissens- und mit ‚Gottes-Bissen‘, um dann befreit zu werden im Lesen einer alten Schrift , die der Christenheit lange bekannt und vertraut war :‘So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben‘. Lesen ist mehr als lesen. Es ist meditieren, innewerden , sich zu eigen machen :In jenem Augenblick wurde ihm der Sinn er-öffnet und er begegnete dem Gott , der in Christus war, dem Gott , der es nicht nur gut meint , sondern der es gut macht.

So kam ein Deutscher ins Paradies.



Pfarrer Jochen Riepe
44263 Dortmund
E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

Zusätzliche Medien:
* WA 54,S.185
** vgl. Die Zeit 26(2011) (R.Kahl, Postwurfsendung an alle)


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