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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2016

Jahreslosung 2017 Herzhaft anders!“, verfasst von Dörte Gebhard

Gnade sei mit euch von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde

Gestern Abend kamen wir hier zusammen im Dunkeln.

Jetzt ist es heller, aber das Jahr 2017, das jetzt gerade beginnt, liegt aber vor uns - noch im Dunkeln.

 

Heute fangen wir wieder an.

Heute fangen wir wieder an, von vorn, neue Tage und Nächte zu zählen.

Heute fangen wir so an, wie wir gestern aufhörten:

mit Gebet und Gesang, mit einem Gottesdienst.

 

Wir sind zusammen im Dunkeln und haben doch Licht. Es ist verheißen:

Gottes Wort ist wie unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg.

Die vielen Lichter am Weg von gestern Abend haben sich über Nacht in ein grosses, weites Herz verwandelt.

 

So lese ich die Jahreslosung aus dem Buch des Propheten Ezechiel:

Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. (Ez 36, 26)

 

Der gestrige Weg ist zu Herzen gegangen, so dass wir heute mit dem Herzen hören können, nicht nur mit den Ohren.

Gott spricht:

Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euer Inneres, und ich werde das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.

 

Wie soll das zugehen?

Ein neues Herz? Wohlgemerkt: Auch ein ganz anderes Herz, nicht so eines wie bei Transplantationen, wo Ärzte lange, lange zögern, bis sie ein passendes, weil sehr ähnliches gefunden haben. Hier soll es ein ganz und gar nicht zum Bisherigen passendes Herz geben.

Und dann: Einen neuen Geist? Wie komme ich denn dazu?

 

I

Meine ersten Reaktionen, nur in Andeutungen:

Mein Herz herausreissen? MEIN Herz?

Niemals! Es stimmt schon, mein Herz ist nicht mehr neu. Es hat Bruchnarben von grossen Enttäuschungen und manchmal scheint es, als sei überhaupt  eine ganze Ecke schon ab. Aber es ist mein Herz. Es ist schon manchmal vor Schreck oder Aufregung fast stehengeblieben. Es wird mir schon manches Mal sehr schwer, aber es ist mein Herz!

Wer wäre ich denn, wenn ich nicht nur ein neues, sondern ein ganz anderes Herz hätte?

Bin ich dann noch ich?

 

Mein Herz, bei meiner Seele, mein Leben, mein ... alles meins?!

Eben nicht! Es gehört mir ja gar nicht, ich habe es nicht selbst gemacht. Nichts habe ich selbst gewählt, nicht wo und nicht wann mein Herz zu schlagen begann.

Ein neues, ein anderes Herz wird Gott schenken, der Stein muss fort.

Damit ich werden kann.

 

II

Liebe Gemeinde

Mein zweiter Gedanke: Das ist schmerzhaft!

Wie grausam sind schon die Schmerzen, wenn man Steine in der Galle oder in der Niere hat! Aber das sehen wir sofort ein: Da muss sogleich operiert werden. Und wenn nun das ganze Herz versteinert ist? Wer soll das ertragen?

Wohlgemerkt: Ezechiel kündigt nicht an, dass uns einfach mal wieder ein Stein vom Herzen fallen sollte. So ein Spruch würde auch nicht als Jahreslosung taugen.

So simpel, so harmlos ist es nicht.

Bei Ezechiel wird das gewöhnliche Menschenherz als Stein vorgestellt.

Bei Ezechiel wird das ganze Menschenherz ein Stein genannt.

 

III

Der dritte Gedanke drängt sich auf und muss weiter und tiefer gefasst werden: Ein neues Herz und ein neuer Geist werden sein!

Jetzt ist auch endlich der Moment, die Geschichte von gestern Abend zu Ende zu erzählen, denn ihr fröhliches Ende ist ein guter Anfang mit dem neuen Herzen und dem neuen Geist.

 

Manche erinnern sich, aber für alle erzähle ich nochmals von vorn:

 

„Die ungleichen Zwillinge

Äußerlich glichen sich die beiden Kinder wie ein Ei dem anderen, ansonsten waren sie jedoch grundverschieden. Wenn es dem einen zu heiß war, war es dem anderen zu kalt. Wenn einer sagte: „Der Fernseher ist zu laut“, verlangte der andere, die Lautstärke höher zu drehen. Der auffälligste Unterschied aber war, dass der eine zu jeder Stunde optimistisch und zuversichtlich war, und der andere immer schlecht gelaunt, miesepetrig und pessimistisch.

Als sie Geburtstag hatten, wagte der Vater der Zwillinge ein Experiment. Am Vorabend wartete er, bis seine Söhne eingeschlafen waren, und ging dann heimlich ans Werk. Nur um zu sehen was passiert, packte er das Zimmer des Pessimisten bis unter die Decke voll mit den schönsten Geschenken, mit Büchern, Spielzeug, Software und, und, und! Dem Optimisten aber legte er nur einen stinkenden Pferdeapfel ins Zimmer. Sonst nichts.

Nun war er gespannt, was passieren würde.

 

Am nächsten Morgen schaute der Vater zuerst ins Zimmer des Pessimisten. Er fand ihn laut heulend am Boden sitzen, inmitten der ganzen wundervollen Geschenke. „Warum weinst du?“, fragte der Vater.

Da schluchzte der Pessimist: „Erstens: weil meine Freunde neidisch sein werden; zweitens: weil ich die ganzen Gebrauchsanleitungen lesen muss, bevor ich mit den Geschenken was anfangen kann; drittens: weil ich für die meisten dieser Spielsachen ständig neue Batterien brauchen werde; und viertens: weil im Lauf der Zeit bestimmt ein paar von den Spielsachen kaputtgehen werden.“

Als der Vater dann ins Zimmer des Optimisten kam, hüpfte dieser vor Freude in großen Sprüngen um den Pferdeapfelhaufen herum. „Warum bist du so fröhlich“, fragte der Vater. „Ganz einfach“, antwortete sein optimistischer Sohn, „hier muss irgendwo ein Pony sein!“[1]

 

So viel Hoffnung kann ein kleiner Mensch haben! Man sieht nur Mist, man riecht nur einen riesen Haufen, aber ahnt das Gute, das dahintersteckt.

So fängt das neue Herz zu klopfen an, so regt sich der neue Geist.

 

Mein altes Steinherz konnte ich immer wieder einmal bei dem Gedanken erwischen, dass sich doch - bitte - erst einmal die Umstände ändern sollten. Wie kann ich denn, wenn alle anderen sind, wie sie sind?

Ich kann – mit Gottes Hilfe, mit Gottes neuem Herzen!

 

Die grosse, weite Welt wird nur über die Herzen und Geister zu bewegen sein. Es ist kein Zufall, dass es zuerst ein neues Herz, dazu einen neuen Geist gibt – und alles andere zweitrangig ist.

 

Wenn wir einander Geschichten erzählen, geht alles leichter zu Herzen. So erzähle ich gleich noch eine:

 

„Ein kleiner Junge kam zu seinem Vater und wollte mit ihm spielen. Der aber hatte keine Zeit für den Jungen und auch keine Lust zum Spiel. Also überlegte er, womit er seinen Sohn beschäftigen könnte.

Er fand in einer Zeitschrift eine komplizierte [...] Abbildung der Erde. Dieses Bild riss er aus und zerschnipselte es dann in viele kleine Teile. Die gab er dem Jungen und dachte, dass der nun mit diesem schwierigen Puzzle wohl eine ganze Zeit beschäftigt sei.

Der Junge zog sich in eine Ecke zurück und begann mit dem Puzzle. Nach wenigen Minuten kam er zum Vater und zeigte ihm das fertig zusammengesetzte Bild. Der Vater konnte es kaum glauben und fragte seinen Sohn, wie er das geschafft habe.

Das Kind sagte: „Auf der Rückseite war ein Mensch abgebildet. Den habe ich richtig zusammengesetzt. Und als der Mensch in Ordnung war, war es auch die Welt.“[2]

 

Wenn die Menschen und ihre Herzen in Ordnung kommen, dann stimmt am Ende auch die Welt.

Aber so schnell wie der Junge puzzeln konnte, geht es nicht immer.

 

Marie von Ebner-Eschenbach, die gebildete Psychologin, hat im 19. Jahrhundert gesagt, was im 21. Jahrhundert immer noch gleichbleibend wahr ist:

 

„Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe als sie verdienen.“

 

Diese kluge Frau ist nun seit hundert Jahren tot, aber ihr Wort wird wesentlich bleiben. Ihr Leben war bewegt, aber ganz anders und viel besser als im Märchenbuch.

Ihre leibliche Mutter starb kurz nach der Geburt, sie lernte sie gar nicht kennen.

Ihre erste Stiefmutter starb, als sie sieben Jahre alt war. Sie war ihre engste Vertraute geworden.

Aber sie konnte dann auch noch zur zweiten Stiefmutter ein inniges Verhältnis aufbauen.

Sie heiratete später einen 15 Jahre älteren Verwandten und bekam keine Kinder – aber die Eheleute förderten sich gegenseitig, Marie konnte eine Ausbildung zur Uhrmacherin absolvieren, für eine Frau damals jenseits aller Üblichkeiten und Gewohnheiten.

An Weitherzigkeit war Marie von Ebner-Eschenbach wohl kaum zu überbieten, wie weit sie ihrer Zeit voraus war, wissen wir hundert Jahre später immer noch nicht ...

 

Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe als sie verdienen.

Die meisten Menschen brauchen mehr Hoffnung, als sie selbst verbreiten können. Denn:

Die meisten Menschen machen mehr Fehler, als ihnen selbst lieb und recht ist.

Die meisten Menschen brauchen andere, die sie mehr mögen als sie sich selbst.

Vor allem aber:

Die meisten Menschen brauchen mehr Gottvertrauen als sie bei sich selbst finden können.

 

Einer, der anonym geblieben ist, hat eingesehen, wie es um sein Herz steht:

 

„Liebe mich dann am meisten, wenn ich es am wenigsten verdient habe, denn dann habe ich es am nötigsten.“

 

Gott hat uns ganz geliebt, als wir es gar nicht verdienten. Daran erinnern wir uns zu Weihnachten, an Karfreitag und Ostern – und jeden Sonn- und Feiertag und im Alltag auch oft, hoffentlich.

 

Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe als sie verdienen.

Darum bricht uns wohl bald einmal das alte Steinherz entzwei, wenn wir von Gott hören: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euer Inneres.

 

Was auch geschehen wird im neuen Jahr, dieses Wort wird uns beschäftigen. Am Ausgang verteile ich Ihnen die Jahreslosung auf einem Lesezeichen: Damit Sie beim Lesen der Nachrichten aus der grossen, weiten Welt nicht vergessen, dass Gott das neue Herz und den neuen Geist schenkt. Legen Sie es als Medizin neben die Zeitung, damit die wohlmöglich schlechten Nachrichten nie das letzte Wort haben.

 

Vielleicht sagen Sie sich jetzt: Na, das fängt ja gut an!

Es fängt gut an!

Zu sehen ist vielleicht nur ein Haufen Mist – aber irgendwo ist ein Pony.

Zu sehen ist auf der einen Seite vielleicht nur die komplizierte Welt – aber auf der anderen Seite – der Mensch.

Und für die meisten Menschen gilt: Sie brauchen mehr Liebe, als sie verdienen.

 

Es fängt mit dem Frieden Gottes an:

Er ist höher ist als unsere Vernunft, er stärke und bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus, der ein neues Herz hat und seinen neuen Geist zu Weihnachten zur Welt gebracht hat ...                                                         Amen.

 

[1] Diese – leicht bearbeitete – Geschichte gehört zu den zahllosen, gegenwärtigen Internetlegenden, deren Autoren nicht zu eruieren sind, z.B. zu finden auf www.zeitzuleben.de am 16. 12. 2016.

[2] Auch diese Geschichte gehört zu den Internetlegenden, deren Quellen nicht zu eruieren sind, z.B. zu finden auf www.zeitzuleben.de am 31. 12. 2016.

 

 



Pfarrerin PD Dr. Dörte Gebhard
CH-5742 Kölliken
E-Mail: doerte.gebhard@web.de

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