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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit , 2017

„Ein Vorbild par excellence“ , verfasst von Thomas Bautz

Sieh, mein Knecht, den ich stütze (den ich halte), mein Erwählter, an dem mein Herz (meine Seele) Wohlgefallen hat: Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, einen Entschluss überbringt er (das Recht trägt er hinaus zu) den Nationen.

Er schreit nicht, erhebt nicht seine Stimme, und er lässt kein Kriegsgeschrei draußen ertönen (auf öffentlichen Plätzen und Militärstraßen).

Ein geknicktes Rohr zerbricht er nicht, einen glimmenden Docht löscht er nicht aus. Einen Entschluss überbringt er, auf den Verlass ist. (Zur Wahrheit, Treue, führt er das Recht hinaus.)

Dabei wird er nicht matt und knickt nicht ein, bis er den Entschluss ausgerichtet hat im Lande und die Inseln seine Weisung erwarten. (Er wird nicht verglimmen, verlöschen und nicht zerbrechen, bis er im Lande Recht bestimmt haben wird. Und auf seine Weisung, sein Gesetz warten die Inseln.)“

Zürcher Bibel (2007); Baltzer: Deutero-Jesaja (1999); Gradwohl: Bibelauslegungen 4 (1989); Scharbert: Deuterojesaja – der ‚Knecht Jahwes‘? (1995); Grimm: Er nicht. Heiliger Krieg und das Nein des Ebed JHWH (2015).

 

Liebe Gemeinde!

Unzählige Vorschläge wurden in der Forschung bis heute unterbreitet, was so ziemlich alle wichtigen Punkte in dem zu Gehör gebrachten Text betrifft. Manche unterscheiden sich beträchtlich. Aufgabe einer Predigt ist es nun, die wichtigsten Erkenntnisse auszuwählen; die Auswahl ist freilich subjektiv.

Der sog. „Knecht Jahwes“ kann mit verschiedenen Persönlichkeiten wie z.B. Abraham, Mose oder David verglichen oder mit einzelnen Personen wie z.B. dem Perserkönig Kyros identifiziert werden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie von Jahwe erwählt und mit einem wichtigen Auftrag bedacht werden, zu dessen Ausführung sie Jahwes volle Unterstützung erhalten, indem ihnen Jahwes „Geist“ verliehen wird. Man vertritt auch die Ansicht, „Knecht Jahwes“ sei als Kollektiv gemeint und denkt natürlich an Israel bzw. an „das erwählte Volk Gottes“. Aber diese Deutung ist in Konsequenz sehr problematisch.

Da man sich Jahwe auch als König vorstellt, muss Sein „Knecht“ einen hohen sozialen Rang haben; mit seiner bevollmächtigten Position ist also eher eine Art Ministerposten mit Sonderauftrag zu assoziieren, während wir bei dem Wort „Knecht“ eher an einen Untergebenen denken.

Dieser Sonderbevollmächtigte hat kraft seines ihm verliehenen Amtes entsprechende Befugnisse. Im Allgemeinen soll er geltendes Recht wieder instand setzen, Rechtsbescheide oder Beschlüsse getreu verkünden, ganz im Sinne der hinter ihm stehenden, ihn stützenden Autorität.

Nun hat man diesen „Knecht Jahwes“ nicht zu Unrecht auch mit bekannten Propheten verglichen, aber im Unterschied zu diesen, häufig sehr lautstark auftretenden, mit Vehemenz und Polemik gegen Kulturen und Religionen der Nachbarvölker wetternden „Geistbegabten“ verhält sich der „Knecht Jahwes“ zurückhaltend, ruhig, verbreitet keine Provokationen, die womöglich an Kriegsgeschrei denken ließen.

Dem „Knecht Jahwes“ liegt nicht daran, jemandes Stolz oder Selbstbewusstsein zu zerbrechen; er möchte nicht noch die letzte glimmende Glut einst wirksamen Eifers tiefster Überzeugungen löschen. Dabei ist an die im Exil Lebenden zu denken, die tatsächlich der Ermutigung und des Trostes bedürfen. Dazu gehört aber auch, dass sie sich an die Weisung(en) Jahwes, an die Tora, wieder erinnern lassen. Nach der Rückkehr in die Heimat sollen die aus dem Exil Zurückgeführten mit ihren Volksgenossen gemeinsam Recht und Gesetz achten und in Gerechtigkeit leben.

Wenn das ganze Land danach strebt, Jahwes Weisungen zu befolgen, kann es zum Vorbild auch für Nachbarvölker, vielleicht sogar für weiter entfernt liegende, werden. Der „Knecht Jahwes“ leistet dazu als Verkünder und Vermittler einen wichtigen Beitrag. Dabei wird er außenpolitisch mindestens so sanft, ruhig und eben dadurch souverän auftreten, wie er sich innenpolitisch präsentiert.

Was den „Knecht Jahwes“ darüber hinaus auszeichnet, ist seine Selbsterkenntnis; er vermag seine eigenen Grenzen einzuschätzen. Er weiß um seine eigene Zerbrechlichkeit und wie leicht er sich provozieren lassen kann und wie rasch er dadurch verletzbar wird. Aber er hat einen großen Vorteil: die Geisteskraft einer höheren Autorität. Er weiß aber auch, dass ihm diese enorme Unterstützung jederzeit wieder entzogen werden kann.

Solange sich der „Knecht Jahwes“, wer auch immer er sein mag, seiner Grenzen, Abhängigkeit und Verletzbarkeit bewusst bleibt, wird er nicht so leicht den bekannten Versuchungen erlegen sein, an denen so mancher gescheitert ist. Er wird bemüht sein, der Sehnsucht nach Macht und Größe, nach Prestige und Anerkennung, nach Hoffnung auf Weltregentschaft nicht nachzugeben, wobei es hierbei um Angemessenheit geht. Es schwingt von all dem immer etwas mit, wenn man ein öffentliches Amt bekleidet. Aber man darf nicht dem Übermaß Tür und Tor öffnen.

Außerdem wird jeder Menschenkenner wissen und bekennen, dass Machtgelüste und das Ringen um möglichst viel Anerkennung und das Gerangel um prestigevolle Aufgaben, gerade auch in Gemeinden, politischen wie kirchlichen, reichlich anzutreffen sind. Man betrachte nicht nur diejenigen kritisch, deren Schwächen durch die Medien uns wie auf dem Präsentierteller serviert werden. Vielmehr kann uns der „Knecht Jahwes“ auch hierbei als Vorbild dienen.

So wünschenswert es ist, Politiker zu haben, die selbst Vorbilder wären, so selbstkritisch muss jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft sein und dafür Sorge tragen, dass Recht und Gesetz eingehalten, aber auch ethische Maßstäbe verwirklicht werden. Die Erwartungshaltung gegenüber dem Staat hat sich in den letzten Jahrzehnten im Übermaß gesteigert; vermutlich hat der Staat auch deshalb sehr viel Verantwortung von sich abgeschoben und der freien und privaten Wirtschaft überlassen. Das ist sehr beklagenswert.

Eine Gesellschaft, die sich größtenteils einer „Religion des Geldes“ verschrieben hat, wird immer mehr moralisch und geistig verarmen, und sie wird anfällig für Empfindlichkeiten, wird verletzbar, wenn es ihr vermeintlich an ihre selbsterklärte Substanz geht. Wenn Wohlstand, verkörpert in Immobilien, Eigentum, Geldbesitz –, wenn substantiell, wesentlich Materielles Dreh- und Angelpunkt der Gesellschaft bilden, wird die Unzufriedenheit bei benachteiligten, nicht erfolgreichen Menschen wachsen. Die sozial und wirtschaftlich Schwächeren empfinden es in der Regel als ungerecht, wenn man aus ihrer Sicht Menschen bevorzugt, die ursprünglich gar nicht zur Gemeinschaft gehören.

Die sich daraus ergebende Problematik zeigt sich z.B. nach der Herstellung der Einheit Deutschlands; der Begriff „Wiedervereinigung Deutschlands“ ist irreführend, weil schließlich zwei Teile des Landes sich total unterschiedlich entwickelt hatten, und einige Unterschiede bis heute geblieben sind. Die auffälligsten Merkmale sind materieller, wirtschaftlicher, aber auch sozialer Natur.

Viele Bürger der Ex-DDR betrachteten die alten Bundesländer zunächst wie den „goldenen“ Westen; wer kann es ihnen verdenken. Es gab und gibt aber auch viele Realisten, die von Anfang an wussten, dass wir in der alten Bundesrepublik auch nur „mit Wasser kochen“. Sehr vielen wurden die Augen geöffnet, weil sie merkten, dass Arbeitspensum und -tempo, Konkurrenzdruck, Leistungszwang und Wohlstand miteinander verzahnt sind. Als ehemaliger West-Berliner habe ich mich nach der Öffnung der Mauer wegen des Verhaltens mancher „Wessis“ geschämt, die z.B. in Straßencafés der Berliner City gegenüber „Ossis“ angeberisch, protzend auftraten.

Hingegen kann ich bis heute bezeugen, dass ich persönliche Gespräche – auch am Telefon – mit Bürgern aus den neuen Bundesländern en gros als menschlicher, persönlicher, wohltuender und warmherziger erlebe. In der Regel strahlen sie auch mehr Bescheidenheit und Humor aus. Viele sind auch sehr dankbar für die erworbene, im Grunde friedlich erkämpfte Einheit Deutschlands.

Ich werde die Haltung des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker nie vergessen: Er trat für ein behutsames Zusammenwachsen von Ost und West ein und mahnte in seiner Rede zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990: „Sich zu vereinen, heißt teilen lernen.“ Er vertrat auch die Auffassung, dass wir im Westen von den Menschen in der Ex-DDR viel lernen können.

Wohlstand, Besitz, Reichtum und vor allem die damit verbundenen Maßstäbe und Werte gehen oft zu Lasten derer, die wenig haben, die arm sind: Menschen mit einer Minimalrente; Arbeiter, die schon längst nicht mehr ausreichend verdienen, um ihre Familie zu ernähren; Mieter, die Opfer von Immobilienhaien sind, weil die Mieten innerhalb weniger Jahre exorbitant steigen; Alleinerziehende, die ständig die Schere zwischen Arbeit und Kindererziehung ertragen müssen; chronisch Kranke, die durchleben müssen, dass Medizin und Krankenkassenwesen häufig betriebswirtschaftlich fungieren, anstatt dem einzelnen Menschen zu dienen.

Sie werden vermutlich im Geiste noch weitere Mängel in unserer Gesellschaft hinzufügen. Bleibt zu hoffen, dass Menschen dennoch auch bei uns erleben dürfen, dass sog. Schwache, Arme oder Kranke oder Alte, die ihr Leben de facto nur noch als zerbrechliches Schilfrohr, wie einen glimmenden Docht empfinden, Beachtung erfahren; Menschen, deren Hoffnung bedrohlich auf einen kläglichen Rest geschrumpft ist; Menschen, die niemanden mehr an ihrer Seite zur Unterstützung haben; die sich nicht nur allein gelassen fühlen, sondern es auch allzumal sind. Sie alle könnten gestärkt werden, wenn man ihnen z.B. im vollen Bewusstsein der eigenen Grenzen und Schwachheit begegnet.

Unsere Gesellschaft braucht gewissermaßen auch einen „Knecht Jahwes“, in Gestalt des Einzelnen in der Gemeinschaft wie auch innerhalb der politischen Führung. Dabei sollte es um Recht in Wahrheit und um das Wohl der Gemeinschaft wie des Einzelnen gehen, weniger um Wohlstand oder Besitz. Zur häufig beschworenen „Bildung“ sollte sich bedingungslos Herzensbildung gesellen, die allemal eher geeignet ist, Selbstbescheidung, Rücksichtnahme, Toleranz und Wahrhaftigkeit einzuüben.

Amen.

Literatur:

Klaus Baltzer: Deutero-Jesaja, KAT X, 2 (1999); Roland Gradwohl: Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen 4 (1989); Josef Scharbert: Deuterojesaja – der ‚Knecht Jahwes‘? (1995); Werner Grimm: Er nicht. Heiliger Krieg und das Nein des Ebed JHWH, Biblische Raritäten 18 (2015); Frederik Poulsen: God, His Servant, and the Nations in Isaiah 42:1–9, FAT 73 (2014); Antony Tharekadavil: Servant of Yahweh in Second Isaiah, EHS.T 848 (2007); Eugene Robert Ekblad: Isaiah’s Servant Poems According to the Septuagint. An Exegetical and Theological Study, Biblical Exegesis & Theology 23 (1999).



Pfarrer Thomas Bautz
Bonn
E-Mail: thomas.bautz@ekir.de

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