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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit , 2017

Der Auftrag an den Gottesknecht, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

heute, zur ersten Abendandacht in der Passionszeit, werden wir eingestimmt auf den Leidensweg Jesu Christi. Wir gehen die Stationen seiner Passion mit - gedanklich und auch in unserem Empfinden. So bedenken wir auch unsere inneren Wegstrecken, auf denen wir beschleunigen und innehalten, uns abschirmen und uns auch öffnen.

 

Wir gehen aber nicht real „Seit an Seit“ mit Jesus „von Pontius nach Pilatus“, wir gehen nicht auf demselben Bürgersteig, wir schleppen nicht mit Jesus seinen Kreuzesbalken auf den Hügel. Wir wollen uns dem nähern, aber am heutigen Abend gestehen wir uns auch einen gehörigen Abstand ein. Dieser unser innerer Abstand hat eine Ähnlichkeit mit dem des Propheten Jesaja. Mehrere Hundert Jahre vor Jesu Lebenszeit sah er Leidensbilder mit Hoffnungsaktionen. Sie waren visionär, aber auch präzise. Er sah sie wie in einem zerkratzten Spiegel noch undeutlich. Sie haben sich auch zu seinen Lebzeiten noch nicht aufgeklärt. Erst mit Jesu Leben und Leiden, mit seiner Mission und Auferstehung wurde den Ohren- und Augenzeugen alles etwas deutlicher, aus Andeutungen wurden ihnen Gewissheiten.

 

Auch wir können heute dazu einen Faktencheck machen, angeregt durch eine Episode aus der Apostelgeschichte. Denn wenige Wochen nach Jesu Sterben und Himmelfahrt stieg der Christ Philippus in eine besondere Kutsche. In ihr fuhr der Schatzkämmerer der äthiopischen Königin zurück nach Afrika. Er hatte sich eine Prophetenrolle gekauft im Souvenirshop des Tempels zu Jerusalem. Darin standen die Vergleiche des Propheten Jesaja, die ihm doch sehr rätselhaft waren. Philippus konnte sie auslegen, indem er sagte: Genau das ist vor ein paar Tagen mit Jesus von Nazareth passiert.

 

Es sah aus wie das Dahinschlachten eines Opfertieres, aber es ist das Ritual der Versöhnung. So war es gemeint, jetzt hat beides einen Sinn. Auch wir werden die Bilder des Propheten mit den Schicksalsstationen Jesu kombinieren. Dann wird klar, was Gott wollte, und was Jesus draus gemacht hat. Das Gespräch damals zündete, der Äthiopier ließ sich von Philippus taufen, und beide zogen auf ihren Glaubenspfaden fröhlich von dannen. Das wird auch der Ausklang unseres Mitempfindens sein.

 

Um uns also Jesu Passion zu nähern, hilft uns zunächst, unseren Abstand wahrzunehmen. Wie wir ihn überwinden können – lernen wir ähnlich wie Jesaja. Er hat über Jahrhunderte hinweg prophezeit, wir haben eher die Aufgabe, nach unseren Wurzeln zu graben. Sowohl bei Jesaja als auch bei uns hat dies die Wirkung, dass wir die Passionen Gottes und die Passion Christi wieder als tiefschürfend und frohmachend erleben.

 

Liebe Gemeinde,

machen wir es wie Philippus: steigen wir ein und lesen wir mit großen Zugewinn mitten im Propheten Jesaja. Dort beginnt das 42. Kapitel so: Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus. Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung. (Jesaja 42, 1-4)

 

Liebe Gemeinde,

zum Bild vom Löschen und Brennen fiel mir in den letzten Tagen die Plakatwerbung der freiwilligen Feuerwehren auf. Sie werben mit dem Slogan: „Wir brennen für unseren Einsatz, alles andere können wir löschen!“ Zunehmend klagen ja die Feuerwehren, dass die verdichteten Schulpläne Kinder davon abhalten, in die Jugendfeuerwehr einzutreten. Dagegen werben sie mit der Allmachtsfantasie: „Wir können jeden Brand löschen!“ Doch als vor Jahren im Gewerbegebiet zwei benachbarte Firmenhallen abbrannten, blieb der Feuerwehr nur übrig, den kontrollierten Abbrand zu sichern. Bloß gut, dass ihnen oft genug auch das Ersticken eines beginnenden Feuers gelingt.

 

Jesaja prophezeit in einer Zeit, in der viele das Gefühl haben, der Weltenbrand sei nicht mehr zu löschen. Die babylonische Gefangenschaft war schon schlimm genug, doch was wirklich depressiv machte, war der Verlust der Gottesnähe, wie sie der Jerusalemer Tempel garantierte.

Der war geschändet. Die Säulen waren nicht nur geknickt, die waren sogar zerbrochen. Und die heilige Inneneinrichtung war abgefackelt worden, sie glimmte nächte- und tagelang, bis heidnische Soldatenstiefel auch noch die Glut austrampelten. War auch Gott damit für immer ausgelöscht worden?

 

Gegen diese Vermutung tritt Jesaja an. Und er mutet im Auftrag Gottes seiner Volksgruppe zu, die Bilder vom Auslöschen und Zerbrechen umzudrehen. Modern könnten wir sagen: sie zu konvertieren. Das verlangt schon sehr viel Gottvertrauen, einem Aschehaufen etwas Neues zuzutrauen, einem Trümmerberg eine Neuordnung, einem Knochenhaufen eine Auferstehung. Zu dieser ersten Zumutung eines neuen Gottvertrauens mutet der Prophet seiner Volksgruppe noch eine Zweite hinzu: Ein neues Selbstvertrauen. Denn dieser Knecht ist nicht als Heldenmensch gemeint, sondern als Volksgruppe der Israeliten. Wir würden heute sagen: als Volk Gottes, als Leib Christi. Es könnte also sein, dass die Verschleppten in Babylonien so mutig wurden, um dem Propheten zu antworten: Ja, wir sind das Volk, wir sind der Knecht!

 

Es ist eine große Hilfe, die uns das innerliche Mitgehen mit der Passion Christi schenkt, dass nämlich das Gottvertrauen in Wechselwirkung steht zum Selbstvertrauen. Die in Babylon gefangenen Israeliten sollen nicht in der Jammer- und Opferrolle verbleiben, sie sollen und werden in neuer Gottesgewißheit und Eigengewißheit zum Boten Gottes werden, in Treue das Recht hinaustragen, es aufrichten bis hin zu aller Welt Enden. Und wir als Kirche des Auferstandenen sagen und bekennen: Da sind wir dabei! Dabei ist wichtig, dass das nicht wieder ein neuer Schlachtruf wird, denn es könnte hochmütig mit uns werden, wenn an unserem Wesen die Welt genesen sollte. Deswegen gehört zur Auftragserledigung auch der Satz: „Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.“

Dies ist eine wichtige innere Grenze, dass wir weder gegenüber dem Volk Gottes noch gegenüber Fremden selbstherrliche Parolen benutzen. Es ist angemessen, das Richtige zu tun in der Passionszeit in der festen Vorahnung auf den tiefschürfenden und frohmachenden Osterruf. Dahin führen uns unsere inneren Wegstrecken, auf denen wir beschleunigen und innehalten, uns abschirmen und uns auch öffnen.

Amen

 



Pfarrer Manfred Mielke
51580 Reichshof
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

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