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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit , 2017

Frosch oder Lamm, verfasst von Andreas Pawlas

Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser (Jesaja 53,7.8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.« Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse? »Philippus aber sprach: Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so kann es geschehen. Er aber antwortete und sprach: Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist.« Und er ließ den Wagen halten, und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich. (Apg 8,26-39)

 

Liebe Gemeinde!

Heute finden wir uns zusammen, um uns in allem Ernst in die Passion Jesu hineinnehmen zu lassen. Und ganz selbstverständlich steht vielen vor Augen, wie oft dabei Jesus von unseren Müttern und Vätern im Glauben mit einem Lamm verglichen wurde, das zur Schlachtbank geführt wird. Oft genug ist das so für die Passionszeit gemalt oder auch in unseren Passionsliedern besungen worden Unseren Vorvätern und -müttern war das auch völlig einsichtig, dass mit diesem Bild von Jesus als Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, das ganze leidvolle Passionsgeschehen zutreffend abgebildet werden konnte. Und so halten auch wir inne und werden still, und vielleicht sogar betroffen.

Aber unvermittelt will sich da unser biblischer Bericht vom Philippus und dem Kämmerer gegen uns und unsere Empfindungen wenden! Denn da ist mit einem Male von Fröhlichkeit die Rede. Wie kann das denn gehen? Ja, wie kann mitten in die Passionszeit Fröhlichkeit gehören? Und wenn man weiter sprachgeschichtlich nachverfolgt, dass das Wort „fröhlich“ oder „froh“ irgendwie mit dem Wort „Frosch“ verwandt ist[1] und mit dessen Hüpfen oder Springen, dann klingt das doch wirklich unangemessen. Der Frosch gehört doch wirklich nicht zum Lamm! Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass sich für den würdigen Herrn Kämmerer, den bedeutsamen Herrn Finanzminister der damaligen Königin von Äthiopien. ein solches Hüpfen geziemte! Und ausserdem ist doch berichtet, dass er, wie es solchem würdigen Herren zustand, mit einem Wagen fuhr, der sicherlich prächtig ausgestattet war.

Oder sollte er etwa doch ausgestiegen sein und neben seinem Wagen hergehüpft sein, vor lauter Freude über seine Taufe? Eben genauso, wie es einen einfach mitreißt, wenn man plötzlich und unvermutet etwas Wunderbares, eben einfach Göttliches erfahren hat?

Doch lassen Sie uns einmal, wenn auch das Ende so fröhlich war, darauf schauen, wie das alles eigentlich in unserem Bibelwort anfing. Und da fällt auf jeden Fall auf, dass am Anfang nicht davon berichtet wird, dass der Apostel Philippus etwa eine große Missionsaktion geplant hätte. Sondern es wird ganz schlicht davon berichtet, dass ein Engel Gottes ihn führte, dass ihn also die Weisung Gottes lenkte, genauso wie uns heute die Weisung Gottes lenken kann und soll. Und was macht der Philippus nun? Er ist genauso schlicht folgsam. Er folgte einfach dem gewiesenen Weg zu diesem besonderem Mann aus Äthiopien der auf seinem Wagen sitzend die Bibel liest. Dieser Fremde liest und liest und merkt dabei schmerzhaft, wie ihm der Schlüssel zum Verständnis fehlt.

Allerdings wenn wir heutzutage so etwas hören, so ist das wirklich nichts Besonderes, denn so etwas kennen wir alle zur Genüge, und das nicht nur im Hinblick auf die Bibel. Wo erleben wir das genauso? Etwa beim Lesen eines neuen Computer-Handbuchs, oder beim Lesen neuer Steuer- und Versicherungs-Richtlinien oder aktueller Bauvorschriften? Und die heutigen komplizierten Bücher sollen ja nicht nur unnötige Geldausgaben vermeiden, sondern auch vielen Ärger und Fehler. Und dennoch muss hier zum Buch der Bibel ein gewichtiger Unterschied auffallen, den der Kämmerer offenbar irgendwie ahnt, nämlich dass das Heilige Buch der Bücher mit dem unserem ganzen Leben zu tun hat. Und deshalb hat er ja auch diesen langen und beschwerlichen Weg nach Jerusalem auf sich genommen hatte, um dort anzubeten.

In unserer Zeit fragt man natürlich sofort nach, wieso denn ein so altes Buch mit unserem ganzen heutigen Leben zu tun haben kann. Findet man darin etwa in diesem Heiligen Buch die ersehnte Zauberformel, mit der man alle Macht und Gewalt dieser Welt endlich in die Hand bekommen könnte, mit der man endlich alle seine Feinde vernichten, oder zumindest allen, die einen demütigen, verachten und verhöhnen endlich alles auf Heller und Pfennig heimzahlen könnte?

Ja, so etwas wäre zweifelsohne auch für moderne Menschen spannend. Aber in dem Bibel-Abschnitt beim Propheten Jesaja, den der Kämmerer auf seiner Rückfahrt aus Jerusalem gerade liest, da ist alles ganz anders. Wie anders? Ja, eben von Gott her anders! Allerdings, wen interessiert heute schon, wie etwas von Gott her aussieht, wenn man in Glanz und Gloria lebt, wenn alles in unserem Leben gut geht.

Jedoch, wenn es einmal so sein sollte, dass unser Leben durch Schmerz und Erniedrigung durcheinander gebracht wird, dann beginnt es in uns auf einmal zu rumoren, dann beginnen wir auf einmal zu fragen und zu klagen. Und wissen wir dann nicht meist auch sehr schnell, wen wir verantwortlich zu machen haben, an wem wir uns zu rächen haben, an wem wir Vergeltung zu üben haben und sei es an Gott selbst?

Wie häufig spielen solche Rache- und Vergeltungsgefühle ein Rolle, etwa in eindrucksvollen Filmen, wo sich dann lang angestaute Ohnmachts-, Wut- und Rachegefühle, explosionsartig in einem gewaltigen Amoklauf entladen und Schuldige und Unschuldige mit sich reißen. Oder beinahe ähnlich gewalttätig kann auch alles Leiden und Gedemütigt werden, wenn es nach innen schlägt und sich in selbstzerstörerischer Krankheit entlädt, in Depression oder in einem - Verstummen.

Moment, ist das nun etwa gemeint mit dem Verstummen des Lammes, das zur Schlachtung geführt wird, so wie wir es hier der Kämmerer laut vorliest? Aber was könnte dann da wohl in der Bibel gefunden werden, was einen vor Freude zum Hüpfen bringen könnte? Nein, das ist nicht zu verstehen! Und deshalb kam ja dieser Kämmerer nicht weiter. Und vielleicht kommen wir heute genauso wenig weiter, die Passion zu verstehen. Ja, hier muss alles ganz anders und von einem Anderen erschlossen werden. Und deshalb ist ja der Apostel Philippus unterwegs, um dem Kämmerer und uns in Gottes Namen alles zu erklären. Und wie tut er das? Indem er eben von Jesus Christus erzählt! Ja, von Jesus Christus her ist alles in Wirklichkeit ganz anders! Und übrigens genau dieses Andere ist es ja auch, was die christliche Gemeinde, was Eltern und Paten, Großmütter und Großväter, was die Onkel und Tanten und nicht zuletzt auch die großen Geschwister allen Täuflingen immer und immer wieder erzählen dürfen und vorleben dürfen:

Mit dem Gottes-Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, ist ja eben der Sohn Gottes gemeint, der Erlöser der Welt, nämlich Jesus Christus. Aber dieses Gottes-Lamm, dieser Jesus Christus, der ist nicht aus Ohnmacht oder Hilflosigkeit stumm! Das sieht nur so aus! Aber weshalb ist er dann stumm? Doch weil er ohne Protest und ohne Klagen nach dem Willen des Vaters im Himmel unsere Lebenslast und unsere Schuld trägt, weil er sie uns damit ganz bewusst abnimmt. Aber wieso kann er das? Doch weil er dabei selbst tief erfüllt und getragen ist von dem Vertrauen auf den einen lebendigen Gott. Weil er tief erfüllt und getragen ist von dem Wissen, dass der lebendige Gott dieses Lamm, seinen Sohn Jesus Christus und auch jeden, der zu ihm gehört, niemals fallen lässt. Ja, noch nicht einmal durch den Tod lässt sich Gott Jesus Christus aus seiner guten Hand reißen, sondern er reißt ihn selbst heraus und lässt ihn auferstehen.

Denn wer in Gottes ganz andere Lebenswelt durch Glaube und Taufe lebendig hineingenommen ist - das hat Gott bei sich selbst geschworen und das ist auch völlig logisch -, der lebt ewig, selbst wenn alles Körperliche, selbst wenn alles, was zu dieser vergänglichen Welt gehört, auch vergehen muss. Der lebt ewig. Und das gilt eben nicht nur für das Gottes-Lamm, für Jesus Christus selber, sondern wirklich für einen jeden, der ihm glaubt.

Und genau das war es, ja, genau das musste es sein, was Philippus dem Kämmerer mit einem Male in Gottes Namen klarmachen konnte. Dabei weiß ich gar nicht, ob das in der Passionszeit war oder nicht. Darauf kommt es auch gar nicht an. Nein, es kommt gar nicht darauf an, zu welcher Zeit und Gelegenheit, diese Erkenntnis uns einleuchten will. Auf jeden Fall konnte der Kämmerer dann gar nicht mehr anders, als zu bekennen: „Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist“. Dann konnte ihn Philippus taufen und damit wurde ihm die entscheidende Tür seines Lebens mit Macht aufgestoßen. Darum würde es mich wirklich nicht wundern, wenn der würdige Herr dann tatsächlich neben seinem Wagen vor Freude nebenher hüpfen würde. Denn, wenn er mit seinem ganzen Leben, mit ganzem Herzen und allen Sinnen so zu Jesus Christus gehört, was sollte ihn denn noch auf dieser Welt vernichtend drücken oder verletzen können? Wenn jeder, der durch die Taufe schon jetzt ganz fest und in Ewigkeit zu Gott gehört, was sollte ihm denn dann auf seinem Lebensweg eigentlich noch zustoßen können? Denn alle dunkle Leidenserfahrung, alle Trauer, Schmerzen und Erniedrigungen haben doch jetzt ihre übermächtige teuflische Kraft verloren, weil in Glauben und Taufe die eigentliche Rettung und Heilung, Stärkung und Ermutigung schon wirksam ist! – Ja, der Weg Jesu zum Kreuz, den wir jetzt in der Passionszeit bedenken, der führt nach Gottes Willen zur Auferstehung.

Sollte es daher für Christenmenschen tatsächlich nichts Dunkles mehr im Leben geben? Nun keine Schönrederei! Natürlich haben wir auch als Getaufte noch manches Dunkle zu durchschreiten. Aber vielleicht ist das ja ähnlich, wie nach einem Unfall in einem dunklen Tunnel: Wenn ich dann nur glaubte und fühlte, als wäre mir nun ein für allemal die Sonne untergegangen, wie erbärmlich hoffnungslos wäre das. Aber müsste nicht alles vollkommen anders sein, wenn ich in dem gleichen dunklen Tunnel weiß und fest darauf vertrauen kann, dass sich die Retter langsam und beharrlich zu mir durcharbeiten, oder wenn ich sogar schon Licht sehen oder erahnen darf? Kann ich dann nicht trotz mancher Last oder Schmerzen ganz getrost sein und sogar anderen Mitverunglückten helfen und sie stärken?

Ja, weil dem Kämmerer in der Taufe dieses rettende Licht im Namen Jesu Christi aufgegangen ist, deshalb zog er seine Straße fröhlich. Und weil wir als Getaufte genauso bereits in das Licht des Reiches Gottes gehören, deshalb dürfen wir alle - ob nun in der Passionszeit oder zu anderen Zeiten - ebenfalls unsere Straße fröhlich ziehen, hüpfend oder schreitend, tanzend oder kräftig ausschreitend von jetzt bis in Ewigkeit. Amen.

 

[1]
               [1] Vgl. F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin/ New York 197521, S. 220 u. S. 221



Pfrrer Dr. Andreas Pawlas
25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop
E-Mail: Andreas.Pawlas@web.de

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