Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Göttinger Predigten im Internet, 2007

Predigt zum Anfang über Matthäus 4:17, verfasst von Klaus Schwarzwäller

Matthäus 4, 17: Von der Zeit an fing Jesus an zu predigen und zu sagen: Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!

Die Göttinger Predigten im Internet werden nunmehr seit zehn Jahren Woche für Woche veröffentlicht - Anlaß zum Rückblick. Und damit dieser Rückblick weder in ein „sich-Rühmen" noch in allerlei Betrachtungen ausarte, hat er die dem Ganzen angemessene Form: die der Predigt. Damit ist zugleich ausgesagt - ich spreche es bewußt an - , daß dieses „Jubiläum" uns Grund und Ermutigung ist, um so stärker uns auf das zu konzentrieren, was zu sagen uns aufgegeben ist. Das aber finden wir in der Heiligen Schrift, die, obgleich bloßes Bibelbuch und mittlerweile kaum mehr gekannt, nicht allein voller Reichtümer steckt, sondern uns in einmaliger Weise vor Gott führt und sein Wort und seinen Willen uns zu erkennen gibt.

 

Weil vor zehn Jahren mit den Predigten im Internet begonnen wurde, fragen wir heute zu Eingang danach, was es mit einem Beginn auf sich hat. Natürlich kann man hierüber endlos philosophieren und sich mit klugen Betrachtungen spreizen. Dem allen jedoch wird hier im Ansatz das Wort abgeschnitten: Jesus fing an zu predigen. Er setzt einen Anfang. Er beginnt etwas Neues.

 

Ich hole ein wenig aus: Zu Weihnachten feiert die Christenheit: „Christ, der Retter, ist da", feiert sie: „Christ ist erschienen, uns zu versühnen", feiert sie: „Der Sohn des Vaters, Gott von Art, ein Gast in der Welt hier ward". Sie feiert das aus gutem Grund und mit großem Überschwang. Denn daß Gott selbst in die Zeit kam und als Kind geboren wurde - dieses Wunder ist kaum zu fassen. Es markiert einen tiefen Einschnitt in den gesamten Weltablauf, ja geradezu eine Revolution. Daß hier etwas völlig Neues, etwas Umwälzendes geschah, hat man dann realisiert durch die Zeitrechnung, und man tat und tut gut daran.

 

Doch sieht man näher hin, dann zeigt sich: Gottes Kommen zu uns als Mensch hat eine zeitliche Erstreckung: die Erstreckung eines Menschenlebens. Da ist eben nicht alles gleich von Anfang an da, wie's vielleicht die Glaubensbekenntnisse nahelegen, indem sie's in wenige Worte zusammenraffen. Sondern Stück um Stück kommt es hervor mit dem Wachsen und Reifen des Kindes zum Mann. Und dann ist irgendwann der Zeitpunkt gekommen, wo in diesem Leben Neues anhebt: Jesus beginnt zu predigen. Später wird es dann heißen, daß das Volk sich ob seiner Rede „entsetzte", denn er predigte anders, als man's gewohnt war von den sonstigen Predigern, den Schriftgelehrten: „Er predigte gewaltig". Um es zur Verdeutlichung einmal im slang zu sagen: „Es sitzt was dahinter", oder auch, er predigt so, daß „es einen vom Hocker haut". Wenn er predigt, „hört die Gemütlichkeit auf". Da wird's nicht nur ernst, da ist Ernst. Da ist der Ernstfall. Verstehen wir:

Jesu Predigt schafft den Ernstfall, sie ist der Ernstfall.

 

Was ist der Ernstfall? Er ist dann eingetreten, wenn es kein Ausweichen mehr gibt, wenn wir uns stellen müssen und wenn jetzt eine Entscheidung von großer, ja von höchster Tragweite fällt.

Jesu Predigt schafft den Ernstfall, sie ist der Ernstfall.

 

Seine Predigt zeigt: Jesus ist sich dessen bewußt. Denn sie faßt sich in diese zwei Sätze zusammen: Tut Buße! Und: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!

 

Ein unbeteiligter Hörer oder Leser und zumal ein von christlichen Voten Übersättigter mag mit den Schultern zucken: Natürlich, zur Buße zu mahnen, dazu gibt es seit Adam und Eva immer allen Grund. Dazu wurde immer schon gemahnt und wird auch weiterhin zu mahnen sein; selbst Jesus tut's hier. Nur, was ist denn von Jesus mit Buße gemeint? Herzensbuße? Buße der Gesinnung? der Tat? des allgemeinen Verhaltens? oder - ? Und das Gottesreich - die Erfahrung lehrt, daß man es regelmäßig mit zusammengebissenen Zähnen heraufführte, und dann floß Blut, und es floß reichlich... Indem man auf diese Weisen nach Antworten sucht, wird Jesu Predigt teils plausibel, denn es ist natürlich gut und wichtig, daß auch er zur Buße rief. Teils aber wird sie endgültig zur Vergangenheit: Damals mag das noch so gedacht und gesagt werden können. Heute jedoch, heute steht anderes an! Da müssen wir achten auf... Folgt eine ganze Liste des aktuell Wichtigen.

 

So wird unter guten Argumenten und Beobachtungen Jesu Bußruf um seine Wucht und um seinen Ernst gebracht und damit letztlich zu einem bloßen Anstoß fürs Feuilleton. Aus dem Ernstfall ist dabei etwas geworden, worüber man reden, schreiben, forschen, streiten, sich auslassen mag. Ist ja schön und gut - jetzt steht Anderes, Wichtigeres an; das dürfen wir nicht verpassen, sondern müssen dafür die Ärmel aufkrempeln. Und ich weiß als Predigthörer, daß es viele Predigten gibt, die genau diese Linie zeichnen. Und niemand ist davor sicher, es selber nicht ebenso zu halten - bewußt oder, schlimmer noch, unbewußt.

 

Aber Jesu Bußruf bleibt stehen, bleibt bestehen. Mit ihm begann er das Predigen. Sein Kreuz beweist: Man hat ihn weithin entweder nicht gehört bzw. nicht hören wollen, nicht verstanden oder ist ihm ausgewichen. Am Ende hat man diesen so unbequemen und beharrlichen Bußprediger liquidiert. Nur, sein Bußruf hat Bestand! Daß man einen Zeugen nicht hören will, gar beseitigt, entkräftet sein Zeugnis nicht und schafft es nicht aus der Welt. Jesu Bußruf ist, einmal von ihm erhoben, nicht mehr zum Schweigen zu bringen.

 

Jesu Bußruf ist der Beginn der christlichen Verkündigung. Indem wir uns dessen erinnern, wie Jesu Predigen und also die evangelische Predigt angefangen hat, erschrecken wir und - ja, „entsetzen" wir uns möglicherweise. Denn: Was sind unsere Predigten, die wir Woche für Woche ins Internet stellen? Was legitimiert sie? Und sind am Ende auch sie Weisen, wortreich Jesu Bußruf zu entschärfen und zu relativieren? Indem wir unser „Jubiläum" zum Anlaß nehmen, uns den Beginn von Jesu Predigt in Erinnerung zu rufen, haben wir - um wenig zu sagen - allen Grund, bußfertig nach dem zu fragen, was wir da eigentlich Woche um Woche tun. Bußfertig - nicht zweifelnd oder zerknirscht. Bußfertig, weil wir wissen, daß wir immer wieder in der Gefahr stehen, das uns Anvertraute und Aufgegebene faktisch einschränken oder auch in Frage stellen. Doch dabei nicht zweifelnd oder zerknirscht, sondern in der Gewißheit, daß wir's weder aus eigenem Gutdünken tun noch, soviel uns bewußt ist, anderes sagen als das, was uns zu sagen aufgegeben ist. Es gibt einen sehr steilen Satz von Martin Luther, der mir dabei in den Sinn kommt: Ein Prediger müsse von seiner Predigt sagen: „Das hat Gott selbst gesagt." Er fährt fort, wer dies von seiner Predigt nicht „rühmen" könne, der lüge gewiß und lästere Gott. Das können und, wie ich meine, sollen auch wir aufnehmen: Wir reden nicht daher oder über dieses und jenes und auch nicht das, was uns besonders behagt oder am Herzen liegt; sondern wir sagen bzw. schreiben das, was wir nach bestem Wissen und Gewissen als Gottes Wort erfaßt haben und demgemäß auslegen. Verhielte es sich anders, unser Predigen erbrächte keinen Ernstfall mehr. Und die Frage an uns selber bleibt und nagt und beunruhigt: Bringen unsere Predigten Ernstfall - nicht zuletzt auch, weil sie aus einem Ernstfall erwachsen sind?

 

Daß Jesu Predigt Ernstfall ist und bringt, hat einen klaren inhaltlichen Grund: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Dabei steht „Himmelreich" als anderes Wort für „Gottesreich" bzw. „Reich Gottes". Ist das tatsächlich nahe herbeigekommen, so verschieben sich Wertigkeiten und Prioritäten, Gewichtungen und Ziele, so steht unser gesamtes Leben mit allen seinen Inhalten und Bahnen und Absichten zur Disposition. Denn ist das Gottesreich oder das Reich der Himmel nahe herbeigekommen, so heißt das: Reich und Regiment unseres Schöpfers und Erhalters und Erlösers und Erweckers; Reich und Regiment also dieses unseres Gottes stehen vor der Tür und damit eine endgültige Scheidung der Menschheit! Wehe uns, wenn wir's verpassen, versäumen, verschlafen oder womöglich einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Gott ist kein zahnloser Tiger. Er wird uns unsere Mißachtung oder Schläfrigkeit oder Interesselosigkeit, oder was es denn sei; er wird es uns nicht einfach durchgehen lassen. Er wird uns strafen, indem er uns - abgestuft - mehr oder weniger oder auch ganz uns selbst überläßt: unseren Einfällen, unseren Launen, unseren Egoismen, unserer Brutalität, unserer Gedankenlosigkeit, unserem freien Umgang mit Macht... David wußte, warum er, einst vor die Wahl gestellt, die Pest - immerhin! - menschlichem Walten vorzog! Und die in Guantanamo im Namen der Freiheit und Menschlichkeit oder in den Kerkern Teherans im Namen Allahs, des Allgnädigen, schmachten, sie erfahren am eigenen Leibe, was es heißt, in die Hände von Menschen zu fallen, von Menschen, die das Gottesreich nicht interessiert oder aber die es nach ihren eigenen Maßstäben auslegen und biegen!

 

Buße also ist angesagt: Das Himmelreich und mit diesem Gott selber ist nahe herbeigekommen. Und darum hat dieser Bußruf letzten Ernst, denn noch, noch ertönt er! Irgendwann ergeht er nämlich nicht mehr. Irgendwann erscheinen wir Gott dessen nicht mehr wert. Dann bleiben wir abschließend uns selbst überlassen, und wehe uns, wenn das geschieht! Ich persönlich habe Angst, tiefe Angst, daß Gott längst dabei ist, uns uns selbst, unseren Einfällen und Zielen, unserem Unglauben und unserer Blindheit zu überlassen; habe Angst, daß dieser Bußruf womöglich nicht mehr erklingt noch gehört werde.

 

Wieso auch? Er erklingt seit zweitausend Jahren; doch das Reich der Himmel bzw. Gottes ist nirgendwo ausgebrochen. Es lebt sich gut ohne Gott und seinen Willen; wir kommen bestens ohne ihn aus. Ja, wenn man zu Spott werden will oder einen Lacherfolg sucht, dann hält man etwa einem Finanzinvestor oder einem Großmanager vor, er solle Buße tun, denn das Himmelreich sei nahe herbeigekommen. Was sollte der, selbst wenn er aufmerksam zuhörte, damit schon anfangen? Das ist's ja doch, und hier können wir als Kirche uns nur an die eigene Brust schlagen, daß die wahre Buße und das Reich Gottes längst zu frommen Vokabeln entleerten, die mit der Alltagsrealität und - um beim Beispiel zu bleiben - mit den harten Fakten des globalen Wirtschaftslebens offenbar nichts zu tun haben. Das gilt nachgerade als ausgemacht.

 

Exakt das! Exakt das schürt meine Angst. Es ist uns selbstverständlich geworden, allenthalben so zu tun und zu handeln, als ob wir sozusagen in einem gottfreien Raum lebten. Um noch einmal auf das Beispiel zurückzugreifen: Wem kommt schon bei, wer verfällt überhaupt auf den Gedanken, daß etwa der Erwerb von Aktien oder die Investition von Finanzmitteln von Gottes wegen zuerst und vor allem bedeutet: Eintreten in die Verantwortung für Menschen, die von diesem Kapital abhängig sind, also Übernahme von sozialer Verpflichtung? Also wenn Gott denn unsern „Stand sichtbar gesegnet" hat, so daß wir wirtschaftlich potent sind, daß dann unser erstes und selbstverständliches Ziel sei, damit umzugehen „zum Lobe dein, zu Nutz und Dienst des Nächsten mein"? Und das über die Lehren und Einsichten der Betriebswirtschaftslehre zu stellen und über die politische Opportunität und über die Richtlinien und Ziele des eigenen Interessenverbandes; - wem kommt da schon in den Sinn, danach sein Handeln und Wirtschaften und seine Zielsetzung auszurichten, wem? Das, das wäre wahre Buße, jene Buße, deren Freude einst der unvergeßliche Julius Schniewind so beredt uns einprägte, eine Buße nicht in Sack und Asche, sondern eine Buße der Hinkehr zu einem Verhalten, das bestimmt ist von der Nähe des Himmelreiches, d.h. des Reiches Gottes.

 

Von der Zeit an fing Jesus an zu predigen und zu sagen: Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!

 

Vor zehn Jahren haben wir versucht, auf eine neue Weise an diesen alten Anfang anzuknüpfen und die Buße hin zum nahen Himmelreiche zu predigen - so gut wir's vermochten, selber begriffen und auszudrücken in der Lage waren. Unsere „Predigten im Internet" haben Zukunft so weit und so lange, als es uns hierum geht, nur hierum, doch mit Ernst und mit aller Schärfe unserer Vernunft: den Anfang, den Jesus gemacht hat, aufzunehmen, weiterzutragen und zur Geltung zu bringen. Das und nur das allein. Dazu möge der Herr uns verhelfen und mit seinem Geist erleuchten.

 

Amen.



Prof. Dr. Klaus Schwarzwäller

E-Mail: hweissenfeldt@foni.net

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