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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Ein neuer Himmel und eine neue Erde, 2007

Predigt zu Apk 16,1-5.8.10a.12a.17-19, verfasst von Erhard Bechtold

Text: Apk 16,1-5.8.10a.12a.17-19

Dann hörte ich, wie eine laute Stimme aus dem Tempel den sieben Engeln zurief: Geht und gießt die sieben Schalen mit dem Zorn Gottes über die Erde!

Der erste ging und goss seine Schale über das Land. Da bildete sich ein böses und schlimmes Geschwür an den Menschen, die das Kennzeichen des Tieres trugen und sein Standbild anbeteten.

Der zweite Engel goss seine Schale über das Meer. Da wurde es zu Blut, das aussah wie das Blut eines Toten; und alle Lebewesen im Meer starben.

Der dritte (Engel) goss seine Schale über die Flüsse und Quellen. Da wurde alles zu Blut. Und ich hörte den Engel, der die Macht über das Wasser hat, sagen: Gerecht bist du, der du bist und der du warst, du Heiliger; denn damit hast du ein gerechtes Urteil gefällt.

Der vierte Engel goss seine Schale über die Sonne. Da wurde ihr Macht gegeben, mit ihrem Feuer die Menschen zu verbrennen.

Der fünfte Engel goss seine Schale über den Thron des Tieres. Da kam Finsternis über das Reich des Tieres.

Der sechste Engel goss seine Schale über den großen Strom, den Eufrat. Da trocknete sein Wasser aus.

Und der siebte Engel goss seine Schale über die Luft. Da kam eine laute Stimme aus dem Tempel, die vom Thron her rief: Es ist geschehen. Und es folgten Blitze, Stimmen und Donner; es entstand ein gewaltiges Erdbeben, wie noch keines gewesen war, seitdem es Menschen auf der Erde gibt. So gewaltig war dieses Beben. Die große Stadt brach in drei Teile auseinander und die Städte der Völker stürzten ein. Gott hatte sich an Babylon, die Große, erinnert und reichte ihr den Becher mit dem Wein seines rächenden Zornes.

 

Dies irae - Gottes Zorn ist seine Liebe

 

Dies irae - Tag des Zorns; wer kennt nicht die gewaltige Musik eines Mozart oder eines Verdi-Requiems, bei dem das dies irae zu Beginn des Trauergottesdienstes erklingt. Und tatsächlich kann und soll es da doch wohl dem Menschen ein wenig in die Glieder fahren - denen die da sitzen, wenn sie an ihr eigenes jüngstes Gericht denken und für den Verstorbenen da nun beten. Gottes Zorn wird die Menschen ob ihrer Verfehlungen schon erreichen, wenn es nicht hier auf der Erde geschehen ist, dann doch drüben in der Ewigkeit. Gottes Zorn und seiner Gerechtigkeit entgeht keiner!

Dies irae - diese Vorstellung von Gottes Zorn der über die Erde und die Menschheit kommt und kommen wird, diese Vorstellung scheint auch den Schreiber der Apokalypse umgetrieben zu haben, liebe Schwestern und Brüder.

In sich immer mehr steigernde Bilder werden dem Leser vor Augen geführt - wie es mit der Welt zuende geht. Nicht von ungefähr ist bis heute dieses letzte Buch der Bibel die ideale Fundgrube für Sektenführer, Horrorkünstler und anderer Verführer, die mit der Angst der Menschen Kasse machen. Und dennoch: auch wenn wir uns da nicht von selbsternannten Unheilspropheten ins Boxhorn jagen lassen - auch wir kommen nicht drum herum  auf unsere Welt und die Situation, in der wir leben, zu schauen - auf den Zustand, in der sich eben die Welt und unsere Gesellschaft befinden.

Nichts anderes hat auch der Schreiber auf den Insel Patmos - er ist uns nicht näher bekannt, er nennt sich selbst schlicht: Knecht Johannes - hat dieser Schreiber gemacht. Da standen damals tatsächlich schwere Zeiten bevor: der Kaiser in Rom verlangt als Gott verehrt zu werden und ein Kaiserkult fordert unter Todesstrafe dem christlichen Glauben, dem Glauben an Jesus Christus abzuschwören. In einer Bildersprache, nicht Begriffssprache, baut Johannes eine Szenerie auf - wie in einem großen Theaterstück mit verschiedenen Akten. Wer meint da würde eine chronologische Abfolge der Endgeschichte der Menschheit aufgezeigt, der versteht dieses Buch nicht.

Deutlich wird aber eines: Christsein gibt es nicht ohne Auseinandersetzung und Kampf. Es war das erste Büchlein, das ich von Frére Roger aus Taizé als Theologiestudent in die Hand bekam und las - mit dem Titel: Kampf und Kontemplation. Ich meine, so wie der persönliche Kampf mit mir selbst nicht erspart bleibt, wenn ich mich Jesus Christus zuwende - oder besser gesagt: wenn ich zulasse, dass Jesus Christus sich mir zuwendet - so wie mir also dieser persönliche Kampf nicht erspart bleibt, so bleibt auch der Kirche Jesu Christi der Kampf in dieser Welt und mit dieser Welt nicht erspart. Und ich spreche nicht von Waffengewalt, ich spreche nicht von sog. heiligen Kriegen (das war eine große Verirrung unserer Kirche) ich spreche von der geistigen und geistlichen Auseinandersetzung mit Ideologien, oder mit einem verhängnisvollen Zeitgeist etwa, oder auch mit unmenschlichen politischen oder wirtschaftlichen Systemen. Kämpfe gehören also zum Leben dazu. Wer wüsste es nicht - manchmal auch sehr schmerzlich aus der eigenen Erfahrung! Und so können wir auch auf die Bilder schauen, die uns hier in der Apokalypse heute vor Augen gestellt werden - von den sieben Schalen des Zornes Gottes ist da die Rede.

Der siebte Posaunenstoß - so lesen wir kurz vorher - ist schon erfolgt und das letzte „Wehe" hat schon seinen Anfang genommen. Von den Geschehnissen selbst war noch nichts gesagt. Nun kommt sie: die Schalenvision. Gott selbst gibt den Befehl zum Leeren der Schalen. Das Wort des Schöpfers läutet den Endprozess ein - für die Verwandlung seiner Schöpfung zur vollendeten Gestalt.

Von der ersten Schale, die geleert wird, heißt es, dass sie die Menschen trifft, die das Kennzeichen des Tieres tragen und sein Standbild anbeten. Für diese erste Schale, wie für alle Ereignisse, in denen das Böse sich austobt: Gott muss nicht das Böse und die Vernichtung bringen - das ist bereits im Gang und kommt jetzt nur zur Erscheinung. Es ist im Alten Testament der Pharao, der das Volk Israel vernichten will - und die Bibel drückt es aus, dass Gott das Herz des Pharao verhärtet. Selbst wenn das Böse meint, aus eigener Machtfülle das alles zu bewirken, so kann Gott auch noch dieses in seinen ewigen Heilsplan zum Guten wenden. Ja, Gott benützt es sogar, um das Böse selbst zum Ende zu bringen und das Gute mächtig werden zu lassen. Die bösartigen Geschwüre, die die erste Schale mit sich bringt, sind nichts anderes als dass die innere Verkommenheit nun nach außen in Erscheinung tritt.

Die zweite Schale betrifft das Meer, in dem alle Lebewesen sterben. Natürlich hatte ein Schreiber der Apokalypse keine Vorstellung davon, dass es dem Menschen jemals gelingen könnte, die Natur zu zerstören oder das ökologische System der Erde zu erschüttern. Dennoch ist es erstaunlich, dass er in seine Bilder die ganze Schöpfung mit einbezogen hat. Das gilt auch für eine weitere Schale: Das Süßwasser wird ungenießbar. Sicherlich gilt weiterhin, dass hier nicht eine konkrete Weltsituation beschrieben wird - wir haben hier Bilder - dennoch wird für den heutigen Leser und Hörer unsere ökologische Katastrophe beim Lesen und Hören mitschwingen. Und auch da muss Gott nicht strafend seinen Zorn walten lassen; wir Menschen haben das auszutragen, was wir selbst angerichtet haben. Und nur so ist es zu verstehen, dass an dieser Stelle die Engel die Gerechtigkeit Gottes preisen.

Und da kommt die vierte Schale: die Sonne wird so heiß, dass sie die Menschen verbrennt. Die UV-Strahlung im Süden von Chile ist so stark, dass die Schafe, die dort weiden, blind werden - und wer nicht einen zig-fachen Lichtschutzfaktor in Australien auf seine Haut aufträgt, der kommt dem schwarzen Hautkrebs nahe. Und von CO 2 - Ausstoss und Treibhauseffekt haben wir noch gar nicht geredet.  Wir scheinen im Umgang mit unserer Erde das rechte Maß verloren zu haben - die Gier nach Geld und Gewinnmaximierung macht uns blind - und wir sehen nicht mehr, dass wir Geschöpfe, zusammen mit unseren Mitgeschöpfen sind; wir scheinen vergessen zu haben, dass uns Gott, der Schöpfer, Verantwortung übertragen hat.

Aber nicht nur die Erde, sondern auch die politische Welt erscheint von einer solchen Haltung betroffen - die fünfte und die sechste Schale werden geleert. Gott entlarvt die falsche Macht, die sich nur selbst sieht und die nicht versteht, dass Macht nur gegeben ist, um Wohlfahrt der Menschen zu sichern. Aber immer wieder ist die Macht missbraucht worden - und wird auch heute an vielen Orten missbraucht - und Menschen leiden und werden unterdrückt - ob in Birma oder dem Sudan - wir könnten noch viele Staaten dieser Welt nennen. Es sei hier auch an die Verfolgung der Christen gedacht, die in Ländern islamistischer Prägung bedrückt, zum Abfall vom Glauben oder zur Flucht gezwungen werden.

Es folgt die siebte Schale. Sie wird  über die Luft gegossen. Die Luft ist das, was uns umgibt und unsere Lebensermöglichung überhaupt ausmacht - unsere Atmosphäre. Offenbar scheint uns die Lebensgrundlage entzogen zu werden. Es ist wohl nicht nur die Luft zum Atmen gemeint. Die Luft - im übertragenen Sinne - kann einem wegbleiben, wenn Menschen keinen Platz mehr haben sollen in unserer Gesellschaft; wenn uns unsere Beziehungen zerbrechen und wir nicht mehr sein dürfen.

Nun ist das Ende der sieben Schalenvisionen gekommen. Womit endet das Ganze? Die große Stadt bricht in drei Teile auseinander. Was sich bisweilen so groß gebärdet, was so mächtig und unbezwingbar erschien, das bricht in sich zusammen. Anders gesagt: Was nicht aus der Wahrheit ist, das hat keinen Bestand. Alle Zeitgeschichte hat nämlich ihren Sinn und empfängt ihre Klärung von ihrem endgültigen Ausgang und Ziel her. Das Endgültige aber macht zuversichtlich, stark und bereit, das Vorläufige recht zu bestehen.

Weltuntergangsängste - ob vor der Erderwärmung, einer Grippeepedemie oder vor atomarem Terrorismus - die werden ja eben als Apokalypsen bezeichnet. Manche zitieren da eben diese Katastrophenbilder. Sie lassen aber die Bilder von der Überwindung der Katastrophe weg. Man macht aus der ganzen Apokalypse eine halbe. So verkehrt man sie aber ins Gegenteil. So möchte ich auch meine Worte hier nicht schließen mit Untergangs-szenarien. Nehmen wir die Botschaft von den sieben Schalen anders an:

Wenn Not und Gefahr noch so groß sind, wenn das Böse noch so tobt, so sind sie doch nicht das letzte Wort. Am Ende steht Gottes Welt. Und nicht einmal erst am Ende: auch jetzt in unserer Welt und unserer Zeit ist Gottes Liebe am Werk, weil Christus am Werk ist. Die Macht des Bösen ist bereits gebrochen; es sind da nur die letzten Widerstände der widergöttlichen Macht zu gange.

Gottes Zorn das sind nicht die Katastrophen und das Wüten des Bösen; Gottes Zorn ist seine Liebe, die uns trägt und hält in all den Umbrüchen, in all den Wirrnissen dieser Zeit; seine Liebe, die uns tröstet und ermutigt.

Dies irae - ich höre Mozarts und Verdis Requiem gerne - den Tag des Zorns dürfen wir voll Zuversicht erwarten. Denn nichts anderem werden wir begegnen als ihr: der Liebe Gottes. Amen

 



Pfarrer Erhard Bechtold

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