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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Paul Gerhardt, 2007

Predigt zu Paul Gerhards Wiegenlied: „Ich steh an deiner Krippen hier"., verfasst von Wilfried Behr

Liebe Gemeinde,
wir haben in diesem Jahr den 400. Geburtstag Paul Gerhardts gefeiert. Ich möchte dieses Jubiläum noch einmal aufgreifen und heute mit ihnen gemeinsam das Weihnachtslied von Paul Gerhard „Ich steh an deiner Krippen hier" betrachten.
Gleich zu Beginn wird der Blick auf das gezimmerte Ruhelager des neugeborenen Kindes gelenkt. Die Krippe ist ein einfacher Futtertrog für Tiere. Gleich drei Mal wird in der Weihnachtsgeschichte darauf hingewiesen, dass der verheißene Messias, der wahre König der Menschen in einer Krippe geboren wurde. Die Engel sagen in Ihrer Botschaft an die Hirten ausdrücklich, dies und die ärmlichen Windeln sind das Erkennungszeichen für den, auf den sie so sehr warten. Der Evangelist Lukas unterstreicht mit diesem dreimaligen Hinweis, dass Gott unscheinbar und in Armut zu uns Menschen kommt.

Martin Luther hat dies in seiner Auslegung des Weihnachtsevangliums neu zur Geltung gebracht und deshalb in einem eigenen Weihnachtslied so gedichtet: „Des ew´gen Vaters einig Kind jetzt man in der Krippen findt´; in unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut" (EG 23,2). Paul Gerhardt hat diesen Gedanken aufgegriffen und daraus ein ganzes Lied gemacht. Ja, er hat gewissermaßen selbst eine Krippe mit seinem Lied gebaut und daran so viel Fleiß und Kunstfertigkeit verwandt, dass aus der einfachen Futterkrippe eine wunderschöne Wiege geworden ist. Und er sagt selber, die hätte dieses Kind eigentlich verdient: „O dass doch so ein lieber Stern soll in der Krippe liegen! Für edle Kinder großer Herrn gehören güldene Wiegen" (Vers 6).
Eine Wiege steht nicht auf festen Füssen, sondern auf einem Bogen aus Holz, so dass man das kleine Kinderbett leicht hin- und herschaukeln kann. Von dem Hin- und Her zweier Seiten, von dem Wechsel der Perspektive lebt auch dieses Lied und auch darin bringt Paul Gerhard das tiefe Geheimnis von Weihnachten zum Ausdruck, so wie es von seinem Zeitgenossen Nicolaus Herrmann eindrücklich formuliert wurde: „Er wird ein Knecht und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein! ( EG 27, Vers 5 ).
Um diese beständige Änderung der Perspektive geht es in diesem Lied und das kann man schon an seinem Aufbau erkennen, erst recht wenn man die Strophen so anordnet, wie es sich von ihrem Inhalt her anbietet:
In den ersten vier Strophen steht immer das „Ich" des Sängers am Anfang. Ab Strophe 5 rückt dann das Kind, tritt Jesus Christus, in den Vordergrund. Am Anfang sehen wir den Menschen an der Krippe stehen. Er schaut nach unten und sieht - wie in Vers 4 gesagt - das Kind „mit Freuden an". Der Mensch steht, aber das Kind liegt ohnmächtig vor ihm. In dieser Situation geht es dem Menschen gut. Das war aber nicht immer so. So wie es um ihn herum dunkel war, als er „noch nicht geboren war" (Vers 2), so „lag er in tiefster Todesnacht" (Vers 3) und war ganz unten. Das Kind aber, auf das er natürlicherweise herab sieht, ist eigentlich gar nicht ohnmächtig und klein. Wenn man Paul Gerhards Wiegenlied ein wenig zur Seite neigt (siehe Liederzettel), dann stehen den beiden Strophen, die von der Ohnmacht des Menschen sprechen (Vers 2.3) zwei andere gegenüber (6.7). Hier macht Paul Gerhard deutlich: das arme Kind ist nicht arm. Es ist der kommende König: „Ach Heu und Stroh ist viel zu schlecht, Samt, Seide; Purpur wären recht, dies Kindlein drauf zu legen" (Vers 6). Auf einem Blumenbeet, auf „lieblichen Violen" soll dieses Kind eigentlich gebettet sein. Dieses Kind ist in Wahrheit reich. Es bringt den Menschen Gottes Vergebung, es gibt uns Frieden und Freude. Es macht sich auf den Weg, um mich aus seelischer Not zu befreien, ja es „such(s)t meiner Seelen Herrlichkeit" (Vers 8).
Deshalb wird der Anblick gerade dieses Kindes zu einem ergreifenden Erlebnis:
„Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen;
und weil ich nun nicht weiter kann, bleib ich anbetend stehen.
O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel´ ein weites Meer,
dass ich dich möchte fassen" (Vers 4).
Die beglückende Erfahrung, ein kleines Kind in seiner Unschuld zu betrachten, wird zum Bild für das Glück, das wir in der Begegnung mit Christus erfahren. Hier stehen wir dem unendlichen Reichtum Gottes gegenüber, der größer und tiefer ist als das weite Meer.

Unsere menschliche Erfahrung zeigt aber auch, dass der Anblick eines unschuldig schlafenden Kindes nur etwas Vorübergehendes ist. Kinder werden größer, sie entwickeln einen eigenen Willen. Das Miteinander kann auch zum Gegeneinander werden. Das menschliche Leben ist nicht ohne Schuld. Und Versöhnung geschieht nicht stumm, sondern nur durch das vergebende Wort. So ist es auch hier: Dem Menschen, der trostlos über seine Schuld verzweifelt ist, ruft Christus zu: „Du sollst ja guter Dinge sein, ich tilge deine Sünden" (Vers 5). Erst dieses erlösende Gespräch bildet die eigentliche Mitte des Liedes. Und in dieser Strophe zeigt sich noch einmal der für den Menschen verheißungsvolle Wechsel. Das „Ich" des Menschen ist verstummt, jetzt spricht Christus in tröstlicher und ermutigender Klarheit: „Ich bin dein Freund" (Vers 5).
Noch an manchen Einzelheiten dieses Liedes könnte man zeigen und deutlich machen, wie Paul Gerhard nicht nur im ganzen Lied, sondern in jeder Strophe den armen Menschen und das göttliche Kind gegenüberstellt und zusammenbindet. Wer mag, kann für sich selber auf weitere Spurensuche gehen.
Ich möchte mit einem letzten Hinweis auf den kunstvollen Aufbau dieses Liedes schließen, der noch einmal zeigt, wie sorgfältig Paul Gerhard seine Wiege gebaut hat.
Wenn die Strophe 5 das Scharnier dieses Liedes bildet, dann stehen sich auch Strophe 1 und 9 spiegelbildlich gegenüber. Tatsächlich zeigen gerade diese beiden Strophen etwas von der großen Veränderung, von dem glücklichen Wechsel, der sich an Weihnachten ereignet hat.
Die meisten Menschen tragen in sich den Wunsch, etwas zu tun, dem anderen etwas zu geben und ihnen etwas zu schenken. Ich weiß von vielen, die sich gerade in dieser Weihnachtszeit sagen: Ich möchte jemanden besuchen, etwas mitbringen und ihm vor allem etwas von meiner Zeit schenken. Oft, wenn sie dann nach Hause kommen, stellen sie fest: Ich war es ja nicht allein, der etwas gegeben hat. Wir sind so wunderbar miteinander ins Gespräch gekommen, es war so eine erfüllte Stunde, dass ich selber als Beschenkter nach Hause gegangen bin.
Paul Gerhard sagt: Der Mensch, der sich dem Kind in der Krippe nähert, der macht dieselbe Erfahrung. Ja, von diesem Wechsel leben wir, dass wir nicht die Gebenden sind, sondern die Beschenkten. Gewiss, ich kann und darf zu Christus kommen, ich darf ihm etwas bringen und schenken (vgl. Vers 1). Doch bei allem, was ich geben darf, ja, was ich im Leben „bringen" und manchmal auch schenken muss, am Anfang steht etwas anderes: In der Begegnung mit Christus, mit diesem göttlichen Kind, ist es schon immer umgekehrt. Ich gebe doch nur weiter, was „du mir hast gegeben" (Vers 1). Zu Beginn des Liedes legt der Mensch sein Geschenk in die Krippe. Am Ende aber bittet er, er selber möge der Beschenkte sein: „So lass mich doch dein Kripplein sein; komm, komm und lege bei mir ein dich und all deine Freuden" (Vers 9). Amen



Pastor Dr. Wilfried Behr
Hemmoor-Basbeck
E-Mail: KG.Basbeck@evlka.de

Zusätzliche Medien:
wiegenlied.pdf
wiegenlied2.pdf


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