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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Paul Gerhardt, 2007

Fröhlich soll mein Herze springen" (EG 36) - Weihnachten 2007, verfasst von Christoph Dinkel

Lied: EG 36,1+7+8, Fröhlich soll mein Herze springen 

Liebe Gemeinde!

Weihnachten hat zwei Seiten. Offen vor Augen liegt die fröhliche, festliche Seite von Weihnachten: Fröhlich soll mein Herze springen - so lässt deshalb auch Paul Gerhardt sein Weihnachtslied beginnen. Die weihnachtliche Luft ist voll fröhlicher Engelsmusik. Dazu gesellt sich der Duft feinen Gebäcks, das muntere Gedränge auf dem Weihnachtsmarkt, die große Geschäftigkeit, das Wünschen und Besorgen, das Schmücken und Vorbereiten. Weihnachten ist ein fröhliches Fest. Aber das ist eben nur die eine Seite von Weihnachten.

 

Die andere Seite von Weihnachten spüren besonders jene Menschen, die am allgemeinen Trubel und der verbreiteten Heiterkeit nicht so leicht oder gar nicht teilnehmen können: weil es ihnen an Kaufkraft mangelt und das fehlende Geld angesichts des allgemeinen Kaufrauschs besonders bitter spürbar ist; weil es ihnen an Gesundheit fehlt und ihnen nach Fröhlichkeit nicht zu Mute ist; weil sie einsam sind und es ihnen an Mitfeiernden fehlt. Weihnachten hat neben der fröhlichen auch eine finstere Seite. Eine ganze Mensche Menschen sitzen in diesen Tagen im Dunkel und die im Dunkeln sieht man nicht, wie schon die Moritat von Macky Messer weiß, jedenfalls sieht man die im Dunkeln nicht so leicht. Auf die dunkle Seite von Weihnachten macht uns mit ziemlichem Nachdruck unser Weihnachtlied aufmerksam. So fröhlich es anfängt, so klar benennt es das, was an Weihnachten im Argen liegt und schmerzt. Die Strophen 7-9 unseres Liedes führen jene auf, denen die Dunkelheit gerade an Weihnachten besonders schmerzlich auffällt: Strophe 7 wendet sich an „Die ihr schwebt in großen Leide", Strophe 8 an „Wer sich fühlt beschwert im Herzen" und die Strophe 9 richtet sich an: „Die ihr arm seid und elende". Ganz gezielt werden von Paul Gerhardt jene angesprochen, für die Weihnachten zunächst einmal kein Freudenfest ist. Am Ende von Strophe 8 ist sogar von „vergift'ten Wunden" die Rede - mag sich jeder selbst ausmalen, was das bedeuten könnte. Mag jeder selbst überlegen, welche vergiftete Wunde ihn oder die Nachbarin in der Kirchenbank heute Abend schmerzt.

 

Weihnachten hat auch eine dunkle Seite und diese dunkle Seite wird angesichts der Weihnachtslichter und der allseits zur Schau gestellten Weihnachtsfröhlichkeit umso auffälliger. Die im Dunkeln sieht man zwar nicht, aber sehr wohl kennen die im Dunkeln ihre Situation und nehmen sie gerade an Weihnachten besonders schmerzhaft und deutlich wahr. Paul Gerhardt denkt in seinem Weihnachtslied ganz ausdrücklich an jene im Dunkel. Und auch die Weihnachtsgeschichte, die uns Lukas überliefert, hat viel Gespür für die Dunkelheit der Welt: Kein Raum in der Herberge - das ist die erste Erfahrung, die Gottes Kind in der Welt machen muss. Eine Futterkrippe als Kinderwiege - das Kind Gottes teilt das Schicksal der Armen und Flüchtlinge dieser Welt. Kein Elend, keine Dunkelheit ist ihm fremd. Nur die Hirten, die selbst im Dunkeln leben, nehmen wahr, was in dieser Nacht geschieht. Gerade ihnen erscheint der Engel und verkündet große Freude.

 

Wer im Glanz des hellen Tages lebt, wem es an Licht und an Freude nicht mangelt, der wird nur schwer wahrnehmen können, was mit der Geburt des Gotteskindes Wunderbares geschieht. Aber all jene, die das Dunkel kennen, wissen, welch große Kraft in diesem kleinen Licht verborgen ist. „Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute", so dichtet Paul Gerhardt in Strophe 2 - der ewige Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden nimmt Wohnung in einem irdischen Menschen, in einem Kind, klein und verletzlich, in einem Kind, das keinen Platz als den in der Krippe findet, in einem Kind, das später am Schandpfahl des Kreuzes endet, in einem Kind, das verwundbar ist wie jedes andere Menschenkind auch und dem die Häscher des Königs Herodes, so erzählt Matthäus, nach dem Leben trachten.

 

„Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute, " - folgen wir dem Johannesevangelium, folgen wir dem Apostel Paulus, folgen wir den Geburtsgeschichten des Lukas- und des Matthäusevangeliums, dann ist nicht der Tod Jesu auf Golgatha, sondern die Menschwerdung Gottes das eigentliche Heilsereignis, auf dem der christliche Glauben gründet. Entscheidend ist die Menschwerdung Gottes, entscheidend ist, dass in einem irdisch-konkreten Menschen Gottes Liebe und Hingabe Gestalt gewinnt. Gott gibt sich dem Leben, gibt sich der Welt, gibt sich den Menschen hin ohne Vorbehalt, ohne Reserve, ohne alle Grenzen, bis zum Letzten. Der Tod am Kreuz ist die Konsequenz der Menschwerdung Gottes. Indem er den Menschen gleich wird will der ewige Schöpfer die Menschen für sich, für seine Schöpfung, für sein Werk der Liebe gewinnen. Im Angesicht Christi - so sagt es Paulus - erkennen wir Gott. Gott nimmt in Kauf, von den Menschen verfolgt und getötet zu werden. Er brennt vor Liebe, wie Paul Gerhardt in Strophe 6 dichtet. Er will mit seiner göttlichen Liebe unsere menschliche Liebe entflammen, will uns anstecken mit seiner Macht, will uns gewinnen für das Licht, will uns herausreißen aus dem Dunkeln und uns zu Kindern des Lichtes machen. Und so mündet Gerhardts Lied in Strophe 6 in den Appell: „Liebt den, der vor Liebe brennet, schaut den Stern, der euch gern, Licht und Labsal gönnet."

 

Wer das Dunkel kennt, weiß, welch unglaubliche Kraft die Liebe hat. Mitten in der Finsternis von Krankheit, von Verfolgung, von Armut und Einsamkeit kann die Liebe ein Licht anzünden. Jede Geste der Zuwendung, der Hilfe, der Fürsorge drängt die Dunkelheit zurück. Jedes gute Wort, jede Tat der Nächstenliebe, jede Aufmerksamkeit für das Ergehen des anderen macht die Welt heller, breitet Licht und Freundlichkeit aus. An Weihnachten feiern wir diese wunderbare Macht der Liebe. An Weihnachten öffnen wir uns für ihr Wirken, lassen uns anstecken und verwandeln von dem, der vor Liebe brennt.

 

Weihnachten hat zwei Seiten, eine helle und fröhliche und eine dunkle. Aber alles an diesem Fest ist darauf ausgerichtet, dass das Licht die Dunkelheit überwindet, dass Gottes Liebe auch zu denen im Dunkel kommt, dass wir uns aus der Finsternis ins Licht ziehen lassen, weg von unserem Schmerz und den vergifteten Wunden, mitten hinein in Gottes helles Licht. Alles an Weihnachten ist darauf ausgerichtet, dass wir uns anstecken lassen von Gottes brennender Liebe und Gottes Liebe weitergeben. - Amen.

 

Heute geht aus seiner Kammer / Gottes Held, der die Welt / reißt aus allem Jammer - lassen Sie uns gemeinsam unser Lied weitersingen.

 

Lied: EG 36, 2+3+5+6, Fröhlich soll mein Herze springen




Prof. Dr. Christoph Dinkel

E-Mail: dinkel@email.uni-kiel.de

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