Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 01.06.2008

Predigt zu Lukas 14:25-35, verfasst von Johannes Værge

Es sind raue Bibeltexte, die wir heute hören. In der alttestamentlichen Lesung (Jeremia 15,10-21) beschrieb der Prophet Jeremia, wie er im Dienst Gottes des Herrn in so großer Bedrängnis war, dass er ausrief: "Weh mir, meine Mutter, dass du mich geboren hast!" Aber damit endete es glücklicherweise dann doch nicht; der Prophet sagt selbst, das Wort des Herrn gefunden und in sich aufgenommen zu haben, es "ist meines Herzens Freude und Trost" geworden, und der Herr hat ihm dann verheißen, dass der Prophet, wenn er "recht redet und nicht leichtfertig", dann der Mund des Herrn sein werde - und dass diejenigen, die ihn angreifen, ihm nichts würden anhaben können.

             Aber von Angriff, Konflikt ist die Rede. Entsprechend in den beiden anderen Texten, die ich vorgelesen habe, aus der Offenbarung des Johannes (3,14-22) und aus dem Lukasevangelium.

             Es ergibt sich, auf unterschiedliche Weise formuliert, ein Gegensatz zwischen dem, was wir mit einem biblischen Ausdruck Welt nennen könnten, und dem, was der Wille Gottes ist. Ein Konflikt und eine Berufung zum Leben unter anderen Voraussetzungen, eine Berufung, "einen Weg, den die Welt nicht kennt", zu gehen.

 

Im Text aus dem Lukasevangelium wird das noch zugespitzt; der Konflikt wird hier in das Verhältnis zu unseren Allernächsten hineingetragen: Wenn du deine Nächsten nicht zurückstellen kannst - das liegt hier in dem Wort 'hassen' des biblischen Textes - wenn du deine Eltern, deinen Ehepartner und deine Kinder und Geschwister nicht zurückstellen kannst, kannst du nicht Jünger Jesu sein.

             Ich benutze hier also das Wort 'zurückstellen' anstelle von 'hassen'. Das Wort 'hassen' ist heutzutage belastet mit Gefühl, starkem, negativem Gefühl. Das biblische Wort dagegen ist nicht emotional geladen, anstelle von etwas Gefühlsmäßigem bezeichnet es eher eine Handlung, ein aktives Abstandnehmen, einen Willen, aktiv und unzweideutig eine Absage zu erteilen. Zurückstellung. An dieser Übersetzung hätten wir, die wir seinerzeit an der heute gültigen Bibelübersetzung mitgearbeitet haben,   stärker festhalten sollen, als sie zur Diskussion stand. Aber es siegte die Auffassung, dass man im Verhältnis zu dänischer Bibeltradition nicht einfach nur ausgleichen wolle; es solle auch etwas für diejenigen zu tun geben, die den Text auszulegen hätten! Die schwedische Übersetzung, die kurz vor der jüngsten dänischen erschienen ist, hat auch das Wort 'hassen' beibehalten, während die norwegische es so formuliert: Wir dürfen das Verhältnis zu den Nächsten nicht höher stellen als das Jüngersein. Das ist dafür vielleicht ein wenig zu zahm. Mit der Übersetzung 'zurückstellen' wird eine gewisse Schärfe in dem Konflikt ausgedrückt.

             Und ein verständlicher Protest mag lauten: Die eigenen Nächsten zurückzustellen ist doch nicht schön. Und das sollen wir uns in einem Gottesdienst mit zwei Taufen in derselben Familie anhören, Taufen von Kindern zweier Schwestern am selben Tag als Ausdruck von Familienzusammengehörigkeit! Und wir hören doch immer wieder, wie die "Werte der Familie" als christliche Werte dargestellt werden! Die menschliche Nähe in der Familie, zusammenhalten und sich gegenseitig helfen zu können, wenn sich Verlust und Sorge melden - und in Freude zusammenzustehen: Geburten von Kindern, Taufen!

             Aber wenn wir dem Evangelientext Glauben schenken sollen, dann sind die familiären Verhältnisse nicht das absolute Verhältnis in unserem Leben, nicht die entscheidende Grundlage. Es gibt etwas, was mehr bedeutet. Ja, auch unser eigenes Leben, unsere eigenen Lebensumstände, sollen wir zurückstellen können. Wir sollen auf all unser Eigenes verzichten können.

             Es gibt etwas, was mehr bedeutet.

             Was kann das sein?

             Ja, wir könnten es doch Gott nennen!

             Du sollst keine anderen Götter haben, lautet das erste von den Zehn Geboten. Genau darum geht es hier im Grunde. Niemanden von deinen Mitmenschen darfst du vergöttern. Davon hast weder du etwas noch der Betreffende. Kein Mensch kann die Erwartung und Belastung aushalten, an die Stelle Gottes gestellt zu sein.

             Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, aber das bedeutet nicht, dass du als erwachsener Mensch ihnen untergeben sein sollst. Du trägst die Verantwortung für dein Leben. Entsprechend sollst du deinen Ehepartner ehren, wie es im Ritual heißt. Ehren, aber nicht vergöttern!

             Vergötterung - wer immer ihr Gegenstand sein mag - kann sich entschieden in den Weg stellen für das, was der Wille des lebendigen, heiligen Gottes mit dir ist. Sie kann dich in eine Abhängigkeit, eine Unfreiheit führen. Sie kann dir eine Grundlage verschaffen, die auf die Dauer nicht hält. Kann dich unecht machen. Du bist auch Kind Gottes, dazu geschaffen, du zu sein. Es hat seinen Sinn, dass du du bist, mit der Verantwortung, auf das Leben mit deiner Stimme zu antworten, nicht mit Antworten, die andere mit mehr oder weniger Götterstatus in dir sprechen.

             Ehren, aber nicht vergöttern. Diese Unterscheidung ist wichtig. Nur Gott vermag Gott zu sein. Der Gott, der beruft und Forderungen stellt - aber auch Kraft hat, uns wieder aufzurichten, wenn wir mit dem Kreuz, das das unsrige ist, fallen, der Kraft hat, uns zu tragen, wenn unsere eigenen Fähigkeiten endgültig zuende gehen. Diese ultimative Macht hat niemand sonst als Gott. Es gehört göttliche Liebe dazu, dies zu vermögen.

 

Es liegt jedoch unter allen Umständen eine Härte und Strenge in den Jesusworten, die der Evangelist hier wiedergegeben hat.

             Aber liest man, was unmittelbar vor dem Stück, das wir gehört haben, steht, und das, was unmittelbar danach kommt, dann bekommen die rauen Jesusworte einen Rahmen: Davor gibt der Evangelist das Gleichnis vom großen Abendmahl wieder, das Gleichnis, in dem Jesus davon erzählt, dass einige mit ihren eigenen Dingen zu beschäftigt sind, als dass sie die Einladung Gottes annehmen könnten, und dass daher die Einladung großzügig an alle auf den Straßen und Gassen der Stadt ergehen solle, auch an die, die selbst Grund hatten zu meinen, sie seien aus guten Gründen ausgeschlassen - ja, "geh hinuas auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde".

             Und gleich nach unserem rauen und harten Textstück kommt das Gleichnis vom Hirten und dem verlorenen Schaf, das Bild, wie Jesus gesandt ist, denjenigen zu suchen, der sich verirrt hat und nicht von selbst dahin zurückfinden kann, wo er Speise und Geborgenheit findet - nicht ohne dass er auf den Schultern des Hirten getragen wird. - Eingeladen werden, gesucht werden, getragen werden.

             Also am Anfang wie am Ende diese göttliche Macht, hinausgehen zu können, einladen, umfassen, tragen zu können - sie umrahmt das Harte, das wir dann auch hörten und das dazugehört: Auch die göttliche Macht, hart und streng zu sein.

             Eine Macht, die zugleich milde und streng ist.

 

Eine Macht über die Macht hinaus, die selbst starke und gute Familienbande haben.

             Ich musste an eine andere Stelle im Buch des Propheten Jeremia denken als die, die ich heute las. Eine Stelle, an der der Prophet einen neuen Pakt mit Gott weissagt, in dem die Bindungen, die traditionell in der Stammesgesellschaft, in der an die Geschlechter gebundenen Gesellschaft gelten, keine Gültigkeit besitzen: "Zu derselben Zeit wird man nicht mehr sagen: 'die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden.' Nein, ein jeder wird um seiner eigenen Schuld willen sterben; und wer saure Trauben gegessen hat, dem sollen seine Zähne selbst stumpf werden" (31,29-30). Also eine neue Zeit mit Aufhebung des Sachverhalts, dass das Geschlecht so entscheidend ist, dass die Nachkommen für die Sünden der Väter bestraft werden sollen. Jeder hat sich für sein eigenes Leben zu verantworten. Eine Provokation zur Zeit des Propheten, in der das Geschlecht noch immer als das tragende Element galt - ein Widerspruch gegen die Kreise auch in unseren Tagen, die zu Ehrenmord greifen, weil das Geschlecht, die Familie das entscheidende ist. Die Ehre der Familie.

             Einen neuen Pakt kündigte also der Prophet an, in dem derlei nicht gilt.

             Und ich musste an die Einleitung des Johannesevangeliums denken, an den Prolog über das WORT, das am Anfang war und durch das alle Dinge gemacht sind, das WORT, das Fleisch wurde und unter uns wohnte.

             Dieses Allergöttlichste wird auch als das Licht bezeichnet, als das wahre Licht; als es Mensch wurde, erkannte die Welt ihn nicht, obgleich die Welt durch ihn gemacht ist. "Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Aber allen, die ihn aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben; sie sind nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes sondern von Gott geboren."

             Offenbarung eines neuen Pakts, in dem die Macht des Geistes noch stärker ist als das Band des Blutes. Stellt den Menschen in eine Wirklichkeit, die von Gott ist, nicht von Menschen. Eine lichterfüllte Wirklichkeit, die ewig ist.

 

Jesus hatte selbst erfahren, erzählen die Evangelisten, wie seine Mutter und Geschwister einmal versuchten, ihn von dem Weg abzubringen, den zu gehen er im Begriff war. Und er war jetzt, da die Worte aus dem Lukasevangelium fallen, auf dem Weg nach Jerusalem, wo die maßgebenden Kreise kein Hehl daraus gemacht hatten, dass sie ihn als einen gefährlichen Störenfried betrachteten und ihn aufhalten, beseitigen wollten.

             Sollte Jesus sich seiner Familie unterwerfen, sollte er sich der Furcht, sein eigenes Leben zu verlieren, unterwerfen? Sollten seine Jünger? Es zeigte sich bei den Ereignisse an dem Osterfest in Jerusalem, dass Jesus die Macht hatte, sich frei zu halten von der Unterwerfung unter andere als Gott. Die Jünger vermochten das nicht auf dieselbe Art und Weise. Sie bekamen Angst, als es eng wurde. Das heißt: Jesus fand keine wahren, großen, unbescholtenen Jünger, niemanden, der ihm auf dem ganzen Weg Folge leisten konnte. Aber als der Auferstandene erschien er ihnen, trat in ihr Leben - als Ausdruck der Vergebung. Sie hatten keinerlei Grund, mit Stolz ihr Haupt zu erheben, aber er sah sie fortgesetzt als seine Jünger an.

              Es scheint also noch immer Hoffnung zu geben für unvollkommene Jünger! Die Macht in Jesus hat fortgesetzt diese Spannweite: Er lädt ein, er stellt Forderungen, er trägt auf seinen Schultern, wenn das nötig ist. Amen.



Pastor Johannes Værge
Hellerup (Dänemark)
E-Mail: johs.v(a)mail.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


(zurück zum Seitenanfang)