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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 15.06.2008

Predigt zu Römer 12:17-21, verfasst von Manfred Wussow

17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
18 Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22).
21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.



Im Netz

Ausnahmsweise beginnt die Predigt heute einmal im Internet. Auf gut deutsch: im weltweiten Netz. Unter der Anschrift: meinerache.de wird ein Angebot unterbreitet: "Ruiniere Deine Feinde!" Untertitel: "Wie Du Feinde ausspionierst, mit der passenden Rache Deine Feinde ruinierst & 100-fach genießen kannst". Ganz locker fängt es an:

Du hast die Schnauze voll vom Ex, Nachbarn, Chef, Arbeitskollegen oder Mitschüler?

Wenn ja, dann ist hier ein kleines Quiz, das eine große Wirkung auf Deinen Rachedurst haben wird. Beantworte einfach diese Fragen:

Willst Du einen geballten Rache-Ideenreichtum kennen lernen, keine „Dumme-Jungen-Streiche", sondern realitätserprobte Racherezepte, so dass Du es jeden Tag genießen kannst, wie sich der von Dir ausgewählte Zeitgenosse dank Dir nun mit den kleinen, nervigen Dingen des Lebens rumplagen muss?

Hast Du es satt, immer das Opfer irgendwelcher Mitmenschen zu werden, die ihren Spaß auf Deine Kosten haben?

Willst Du Deine bisherigen Widersacher mit einigen Tricks fantasievoll erniedrigen, sie bestrafen, ohne ihnen jemals ein Haar zu krümmen?

Wärst Du gerne in den Augen vieler Menschen ein Experte, der großen Ideenreichtum besitzt, um seine unangenehmen Zeitgenossen mit den nötigen Tipps und Tricks in die Schranken zu weisen?

Wenn Du einige oder alle dieser Fragen mit JA beantwortet hast, dann habe ich gute Neuigkeiten für Dich:

Du kannst all diese Dinge erreichen: mit dem speziellen Wissen, das ich Dir hier in diesem Artikel enthülle. Egal, ob Du eine völlig verschüchterte Frau bist oder schon ein Schlitzohr, dieser Artikel wird Deinen Ideenreichtum auf ein absolut neues Level heben.

Ich selbst habe meine Feinde seid Jahren fertig gemacht, ich hatte die Schnauze von einigen Personen gestrichen voll und wollte nur eins: Es diesen Menschen heimzahlen, und das tat gut, sehr gut!
(http://www.meinerache.de/index2.htm)

Der Autor -„ herzlichst Ihr Axel" - führt sich als "Freund im Kampf für mehr Gerechtigkeit" ein - und für nur € 9,99 - Einführungspreis! - verspricht er nicht nur einen „echten Racheplan", sondern auch den gelingenden Rachefeldzug. Das gute Gefühl, die Genugtuung, soll wohl kostenlos sein...

Zugegeben: die Gefühle tiefer Erniedrigung, Einschüchterung und Angst sind schlimm. Aber führt die Rache hinaus - oder tiefer, weiter, hinein? Was ist, wenn Rache zu einem Netz wird, das das Herz, den Kopf, alles, gefangen nimmt? Eine Spirale in Gang setzt, die immer nur neuen Hass frei setzen kann?
Meine Rache - mein Netz.

(Denkpause)

Lebenserfahrung

Ich denke an einen Menschen, der auch auf einem Rachefeldzug war und von Hass aufgefressen wurde. Saulus von Tarsus. Er hatte sogar offizielle Freibriefe in der Tasche und Abgründe in der Seele - ein unheilvolles Gemisch. Vor Damaskus macht er eine umwerfende Erfahrung. Ihm begegnet Christus. Der Auferstandene. Saul, Saul! Was verfolgst du m i c h ? Der blindwütige Saul - wie geblendet. Er muss einhalten! Er muss aufhören! Die Bekehrung hinterlässt dann tiefe Spuren in seinem Leben, von denen wir bis heute zehren. Als Paulus kennen wir ihn jetzt. Wie oft er uns in unseren Gottesdiensten begegnet!
Der Gemeinde in Rom schreibt er:

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«.
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Paulus kennt die Gefühle, die böse sind und böse machen. Er ist auch so weit in der Welt herumgekommen, dass ihm das Menschliche nicht fremd ist. In seinen Briefen, in denen er leidenschaftlich das Evangelium auslegt, begegnen wir nicht der heilen Welt, sondern der gebrochenen.
Es gibt Anfeindungen, Niedertracht, Auseinandersetzungen selbst in den eigenen Reihen. Paulus macht sogar die Erfahrung, dass Menschen sich auch an ihm rächen wollen. Mit allen Mitteln. Über und unter der Gürtellinie. Sogar mit frommen Augenaufschlag. Im Dienst der Wahrheit. Suchte er Gründe, sich zu rächen - er hätte sie auf dem Silbertablett gefunden. Aber um welchen Preis! Rache gebiert Rache, Böses gebiert Böses, Hölle bleibt Hölle.

„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem! Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem."
Griffig formuliert. Nicht Vergeltung nimmt dem Bösen die Kraft, sondern die - Überwindung. Die Alternative wird auf einmal so klar: Wird das Böse nicht überwunden, überwindet das Böse - uns. In den Klauen des Bösen läuft dann ein Programm ab, das folgerichtig - fast schon mit mathematischer Stringenz - im Kreise läuft. Irgendwann kennt kein Mensch mehr den Anfang - und verträgt kein Ende. Kreisläufer weiden sich aus. Schwächen sind tödlich. Aber außer Sterben ist in diesem Kreis auch nichts vorgesehen.

Nein, es ist der Weisheit letzter Schluss:
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem"

(Denkpause)

Vorbild

Der Weisheit letzter Schluss? Es hört sich nach Quintessenz an, beschreibt aber einen Anfang. Den Anfang, aus einem Teufelskreislauf auszubrechen - und ihm nicht auf den Leim zu gehen. Gute Gründe hin, Denkzettel her.

Paulus schöpft seine Kraft, aber auch die Gewissheit, aus der Begegnung mit Jesus.
Von ihm haben sich die Menschen schon früh erzählt, dass er dem Bösen nicht auswich, sondern sich ihm stellte, entgegenstellte, sogar mit seinem Leben ein stand. Auf sein Wort hin mussten die bösen Geister aufgeben. Wurden Köpfe und Herzen frei. Konnte ein Leben neu begonnen werden. Am Kreuz versprach Jesus dem Mörder neben sich das Paradies, wollte und konnte es mit ihm - teilen. Das Kreuz steht deshalb nicht mehr für das Böse, sondern für das Leben. Paulus erzählt begeistert und ergriffen davon, wie das Kreuz als Ort der Schande zu einem Zeichen des Sieges wird. Zwar Torheit und Ärgernis in vielen Augen (hochgezogene Augenbrauen inklusive), aber Evangelium aus der Hand Gottes. Nur in der Liebe, die auch dem Tod zu trotzen vermag, wird die Hölle überwunden. Und erst, wenn sie überwunden ist, die Hölle, sehen wir den Himmel. Die neue Erde - eingeschlossen.

In seiner Feldrede - wie Lukas sie überliefert - hat Jesus gelehrt:

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen. Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? Der Jünger steht nicht über dem Meister; wenn er vollkommen ist, so ist er wie sein Meister" (Lk. 6,36ff.)

(Denkpause)

Meine Rache.de

Axel - Sie erinnern sich noch an ihn? - hat sich „herzlichst" als Freund im Kampf für mehr Gerechtigkeit empfohlen. Dass er den Nagel auf den Kopf und eine Sehnsucht trifft, offenbaren nicht nur Fernsehsendungen zur besten Sendezeit, sondern auch Seiten im Internet. Eine Probe aufs Exempel: OnlineRache.de - Das Portal für deine Rache (www.onlinerache.de)

Bunt ist sie - die Seite im Internet. Aber schrecklich einfarbig. Es werden Geschichten erzählt. Sogar mit einer Hitliste für die „beliebtesten storys". Die Rache wird öffentlich zelebriert und taumelt in einem Kreis von Vorurteilen, Schuldvorwürfen und - Niedrigkeiten. Dass es dann auch noch „die besten Bewertungen" gibt, wird zwar im Fachjargon „interaktiv" genannt, ist aber nur das dumpfe Gefallen an der viel (und gern!) beschworenen Schlechtigkeit der Welt.

Schon viele Rächer sind aufgestanden, mit der Welt aufzuräumen, sie zu ordnen, sie zu reinigen. Sie haben immer nur den Tod gebracht. Als sie das Böse ausrotteten, vervielfältigten sie es. Als sie die Welt erlösten, brachten sie sie um. Als sie der Schlange den Kopf abschlugen, wuchsen sieben neue.

Paulus zitierte einen alten „Spruch" aus der Spruchsammlung der hebräischen Bibel:
»wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«

Was mit dem ersten Auge befremdet: dein Feind soll leben (!), ist auf dem zweiten Auge Höhepunkt der Lebenskunst:
Du entscheidest, wer Feind ist - und wer nicht.
Wenn du nicht Getriebener bist - bist du Treibender.
Du entscheidest, wer du bist - und wer nicht.
Das ist ein tolles Bild: Die Rache wird ausgetrocknet. Jeder Feind, der nicht ausgehungert wird oder verdurstet, bezeugt den Sieg des Lebens. Nimmt das Leben aus der Hand eines anderen Menschen. Teilt das Leben mit ihm.

Francis Bacon hat auf den Punkt gebracht, was Rache ist:
„Wer nach Rache strebt, hält seine eigenen Wunden offen."

(Denkpause)

Im Netz

Im weltweiten Netz suchen viele Geschichten, manchmal sogar verzweifelt, Gehör, mehr noch: Verständnis. Dass hinter jeder Geschichte auch ein Gesicht steckt, wird nicht verborgen. Viele Menschen sind mit ihren Gefühlen und Erfahrungen allein gelassen. Viele wissen sich wohl auch nicht anders zu helfen, als im vermeintlichen Schutz der Anonymität andere Menschen auf ihre Seite zu holen.
Ob das Medium Internet dafür aber der richtige Ort ist?
Ob Menschen sich nicht einer hungrigen Meute ausliefern?
Sich kommerziellen Interessen und einer schier endlosen Unterhaltung opfern?

Die Sehnsucht, aus dem Schatten herauszutreten, ins „Reine" zu kommen, sich gut zu fühlen, ist keinem von uns fremd. Paulus hat einen guten Weg für uns. Er führt aus dem Gefängnis der Rache hinaus - und sieht die Rache bei Gott gut aufgehoben.

„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem! Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem."

Das ist ein Netz. Ein Netz, das hält und trägt. Ein Netz, diskret, menschlich. Ein Netz für Geschichten und Erfahrungen. Ein Netz auch für Verbitterungen und Enttäuschungen. Um Gottes willen: Schenken wir einander dieses Netz!

Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.



Manfred Wussow
Aachen
E-Mail: M.Wussow@gmx.de

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