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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 15.06.2008

Predigt zu Römer 12:(1-2) 17-21, verfasst von Jasper Burmester

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.

Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«

Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Liebe Gemeinde -

so viele Anweisungen auf einmal - wer kann das fassen und mehr noch: Wer kann das leben? Klar, das klingt erstmal alles gut: Nicht vergelten, auf Gutes bedacht sein, Frieden haben, sich nicht rächen, gut zu Feinden sein. Wer wollte da wiedersprechen. Aber ebenso: Wer kann danach leben? Schafft man das, ohne eine Heilige, ohne ein Heiliger zu sein? Aber wer sagt denn, dass wir keine Heiligen sind? Nein, ich meine jetzt nicht jene Christinnen und Christen, die sich durch beispielhaft vorbildliches Handeln und Leben bei der römischen Schwesterkirche diese Bezeichnung verdient haben. Wir sind aber alle von Gott geheiligt, und zwar durch die Taufe. Durch unsere Taufe sind wir Söhne und Töchter Gottes und Geschwister Jesu. Und das, was Paulus uns hier als Handlungsmöglichkeiten vorschlägt, beschreibt, wie das Leben als Söhne und Töchter Gottes, als Geschwister Jesu aussehen könnte, ja, vielleicht auch sollte, wie also unsere Antwort auf Gottes Liebe aussehen könnte und sollte.

Aber dennoch, auch wenn wir von Gott Geheiligte sind: Sind diese Handlungsvorschläge des Paulus nicht entweder total idealistisch gedacht und gehen an unserer Lebenswirklichkeit vorbei oder sind eine totale Überforderung, an der wir nur scheitern können? Sind wir als Christen wirklich so viel bessere Menschen?

Ist das denn überhaupt realistisch? Ich muss gar nicht erst an die großen und kleinen politischen oder religiösen Konflikte dieser Welt denken, es reicht, wenn ich mir an die eigene Nase fasse: Ich weiß von mir selbst, wie zornig ich werden kann und welch kleiner Anstoß, manchmal ausreicht, um einen Wutanfall zu bekommen und etwas von mir als böse Empfundenes durchaus mit gleicher Münze heimzuzahlen. Wie du mir so ich dir - das scheint oft viel einfacher zu sein als eine liebevolle oder nachsichtige Reaktion, die dem Gegenüber Zeit zur Veränderung lässt.

Nicht vergelten, auf Gutes bedacht sein, Frieden haben, sich nicht rächen, gut zu Feinden sein. Das wäre für unsere Welt wohl gut und heilsam, befreiend und rettend, aber zur Wirklichkeit dieser Welt will diese Haltung einfach nicht passen.

Doch wer sagt denn, daß sie hineinpassen müsste? Ist es nicht vielmehr so, daß die Bergpredigt und die daraus abgeleiteten Gedanken des Apostels ein Gegenmodell zu dieser Welt und ihrer grausamen Wirklichkeit sind? Wer sagt denn, daß es Gottes Wille ist, daß diese Welt bleibt, wie sie ist? Gott will, so die durchgehende Aussage der Bibel, Gott will doch diese Welt verwandeln, nicht einfach ein bißchen hier und ein wenig da verbessern, sondern radikal, von der Wurzel her verändern, ja am Ende geradezu neu schaffen. Und die Jüngerinnen und Jünger Jesu, die Christen also, wir: Wir sind die, die mitten in dieser Welt eben dieses demonstrieren sollen: Das weltfremde Element der Liebe. „Stellt euch nicht dieser Welt gleich" mahnt Paulus zu Beginn des Kapitels, „sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes". Weltfremd sollen wir sein.

Weltfremd: Das ist ein Wort, dem wir nicht viel Positives abgewinnen können. Weltfremd, das klingt nach "ewig von gestern", unbrauchbar, naiv, dumm. Weltfremdheit wird belächelt, ausgelacht, niedergemacht. Und doch und gerade: Seid weltfremd, bringt das der Welt fremde Element der Liebe in diese Welt ein. Nicht ewiggestrig, sondern zukunftsorientiert ist diese Weltfremdheit, auf die Zukunft Gottes ausgerichtet.

Seid weltfremd, indem ihr mit allen Menschen Frieden haltet: Frieden halten besagt mehr, als daß man sich gegenseitig in Ruhe läßt und nicht stört oder gar umbringt. Frieden, shalom, das ist das geordnete, gerechte, heile und einvernehmliche Verhältnis zwischen Menschen und Völkern. Das Ziel ist wahnsinnig hoch gesteckt: Mit allen Menschen, denn zu „allen" Menschen gehören ja auch die schwierigen, unzugänglichen, hasserfüllten, gewalttätigen. An einem solchen Ziel müssen wir doch scheitern! Gut das Paulus das auch so sieht und eine entlastende Einschränkung nennt: Soweit es möglich ist haltet Frieden, um sogleich noch eine andere Einschränkung hinzuzufügen: Soviel an Euch liegt. Er weiß, daß die allzu glatten Forderungen nicht aufgehen. Denn zum Frieden gehören immer beide Seiten, der Fried-Liebende braucht ein Gegenüber, das sich ebenfalls in diese Richtung bewegen kann, aber er braucht vor allem die Geduld, den längeren Atem, die größere Stärke, eben die Liebe, von der Paulus an die Korinther schrieb, daß sie alles erdulde, alles ertrage, alles hoffe und nicht aufgebe und nicht vor der Lieblosigkeit kapituliere. Diese Haltung erzeugt bei dem unfriedlichen Gegenüber selten Achtung, gelegentlich Nachdenklichkeit, oft aber zuerst Unsicherheit und dadurch noch größere Feindseligkeit: Da ist einer, der läßt sich nicht auf die gewohnten, eingeübten Spielregeln der Feindschaft ein, vergilt nicht Gleiches mit Gleichem. Die Wut, die die Gegner Jesu auf ihn hatten, die Agressionen, die ein Ghandi bei den englischen Kolonialherren weckte erklären sich aus dieser Unsicherheit, die entsteht, wenn einer die Spielregeln der Vergeltung durchbricht. Die Einschränkung „Soviel an euch liegt" ist dabei auch eine Verschärfung: Komme, was da wolle: An euch soll der Unfrieden nicht liegen.

Seid weltfremd: Rächt euch nicht, zahlt nicht das Böse mit Bösem heim. So will ich es gerne tun. Doch wie oft stelle ich fest: Es ist wieder einmal ganz anders gelaufen: Dem werd' ich's zeigen! Der hat's doch nicht anders verdient! Die ist doch selber schuld!... und so weiter. Wenn wir das bei uns entdecken, dann entdecken wir zugleich, wie unfrei wir sind. Es ist zum Heulen: Der andere hat uns das Gesetz des Handelns aufgezwungen, wir handeln nicht mehr, sondern reagieren nur noch. Rache, Vergeltung: Das ist eigentlich eine Haltung der Unfreiheit. Die Initiative liegt nicht bei uns, sondern beim anderen. Darum ist es wichtig, den Satz unseres Predigttextes im Blick zu haben: Seid auf Gutes bedacht. Ihr sollt das Vorzeichen bestimmen, unter dem eine Auseinandersetzung stattfindet. Schon die hebräische Bibel spricht vom Verbot der Rache, weil wir nicht das Recht auf ein damit verbundenes endgültiges Urteil haben. Mit der Rache versuche ich doch, mein Recht, oder das, was ich dafür halte, selbst in die Hand und damit aus Gottes Hand zu nehmen. Dieser Vorbehalt gilt für unser persönliches Verhalten, aber ebenso für unseren Staat, der -stellvertretend für den Einzelnen- auf Rechtsverletzungen mit Strafen antwortet: Seine Urteile dürfen nicht endgültig und unumkehrbar sein. Denn nicht Rache und Vergeltung sollen das staatliche Richten leiten, sondern der Gedanke des Schutzes der Mehrheit vor Übergriffen Weniger und -wenn es denn gelingt- der Versuch eine Besserung derer, die der Besserung bedürfen. Schon von daher ist die Todesstrafe, die ja immer noch vielerorts vollzogen wird, ein Eingriff in einen Gott allein vorbehaltenen Bereich.

Seid weltfremd, heißt es drittens, und setzt dem Bösen, das euch begegnet, das Gute entgegen. Wenn der, der mit feindlichen Absichten kommt, Durst hat, braucht er etwas zu trinken: Also geben wir es ihm. Ebenso geben wir ihm zu essen. Es geht bei solchem Handeln, das den Feind überrascht, weil er mit allem rechnet, nur nicht mit dem Gegenteil seiner eigenen Absichten, um eine Veränderung zum Guten. Den ewigen Teufelskreis der Vergeltung unterbrechen: Das ist das Ziel. Wenn uns das auch vielleicht nur selten, vielleicht nur im kleinen und im Ansatz und immer wieder scheiternd einfällt, dann ist es wenigstens der richtige Weg.

Sind wir Christen die besseren Menschen? Nein, das sind wir nicht. Aber wir müssen ja nicht so bleiben, wie wir sind. Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, sagt Paulus und verschweigt nicht, daß dieses nicht der leichtere, sondern der schwerere Weg ist. Es ist aber zugleich der einzige wirklich sinnvolle und rettende Weg, um die Teufelskreise des Bösen zu unterbrechen.

Der Weg als Christin und Christ ist nicht unbedingt der leichtere. Christen sollen und dürfen eben im beschriebenen Sinn „weltfremd" sein, und stehen damit auch einmal quer zum Zeitgeist. Und weil auch Paulus weiß, wie schwer es ist, diesen Weg zu gehen, in dieser Weise "weltfremd" zu sein, nennt er die römischen Christinnen und Christen und uns: Geliebte. Von Gott geliebte. In dem er uns in Jesus nahegekommen ist und in seinem Handeln und Reden liebend begegnet. Zu ihm gehören wir als Getaufte. Als solchermaßen Geliebte können sich unsere zaghaften Versuche, Liebende und darin weltfremd zu sein, aus seiner Liebe speisen. Amen

 

Literatur: GPM 38/3 (1984) S.297ff - G.Voigt, Die lebendigen Steine, S.294ff - U.Wilkens, EKK VI/3

 

 



Pastor Jasper Burmester
Hamburg-Volksdorf
E-Mail: jasperbu@aol.com

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