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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 15.06.2008

Predigt zu Römer 12:17-21, verfasst von Eberhard Busch

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem; seid auf das Gute bedacht vor allen Menschen! Ist es möglich, soviel an euch liegt, haltet mit allen Menschen Frieden! Rächet euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: „Mir gehört die Rache, ich will vergelten", spricht der Herr. Vielmehr, „wenn dein Feind hungert, so speise ihn; wenn er dürstet, so tränke ihn. Denn wenn du dies tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln." Lass dich vom Bösen nicht überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute! (nach Zürcher Übersetzung)

 

An unserem Haus führt eine schmale Straße vorbei, wie Sie sicher auch solche kennen, so schmal, dass es keine Bürgersteige gibt. Auf einer Reihe von Schildern steht zu lesen, dass hier nur Höchsttempo 30 erlaubt ist. Das tönt gut und hilfreich, namentlich für die Fußgänger. Nur halten sich Autofahrer kaum an diese Vorschrift, sondern rasen meist erheblich schneller. Das ist nicht in Ordnung so. Viel weniger gut ist es, wenn man auch bei diesen Bibelversen so denkt: „Schön und hilfreich! Nur hält sich leider kaum jemand daran." Es ist ja wohl wahr, dass das Leben, wie wir es kennen, sich meist nach anderen Regeln abspielt. Und dann tun wir leicht so, als sei das, was da geschrieben steht, ein unerreichbares Ideal, oder als sei gar das Gegenteil davon geschrieben. „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem!", heißt es. Niemandem? Ach, bei allem guten Willen, aber verfahren wir nicht besser so: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil!"?

Liebe Gemeinde, bevor unsere Gedanken jetzt in eine verkehrte Richtung davonlaufen, sollten wir doch erst einmal auf unseren Bibelabschnitt hören. Der will uns nämlich in eine andere Richtung mitnehmen. Das wird uns ziemlich sicher gut tun. Wir haben dazu freilich zunächst den Anfang des Kapitels zu uns reden zu lassen, an dessen Ende die Verse für unsere Predigt stehen. Am Anfang ist die Rede von der „Barmherzigkeit Gottes", der uns bittet: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes." Es ist klar, es geht hier um einen tiefen Eingriff in unser Leben und um seine neue Ausrichtung. Aber wir verstehen auch, dass das doch nur die Folge des unerhörten Widerfahrnisses ist, das mit den zwei Worten ausgesprochen ist: „Barmherzigkeit Gottes".

Diese zwei Worte sind randvoll gefüllt: sie sind es mit dem, was Gott in seinem heiligen Erbarmen an uns tut. Er ist in diesem Erbarmen schon zu uns hin aufgebrochen, bevor wir auch nur daran denken konnten, das zu tun, was in unserem Bibeltext von uns erwartet ist. Er, der allein das Recht hat, seinen Zorn walten und seiner Rache freien Lauf zu lassen, er, der nämlich darüber erbittert ist, wie wir Böses mit Bösem vergelten, wie wir heillos im Unfrieden leben mit so vielen Nahen und Fernen, wie wir unsere Feinde nicht speisen und nicht tränken - er macht vielmehr gut, was wir verwirren. Er tut eben das an uns, was er bereits nach dem Spruch des Propheten Hosea erklärt hat (11,8f.): „Mein Herz kehrt sich um in mir, all mein Mitleid ist entbrannt. Ich will meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken. Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte." Von ihm sagt Jesus: „Er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechten und Ungerechten" (Mt. 5,45). „Er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen" (Lk. 6,35).

*

Uns, die das dankbar zur Kenntnis nehmen können, uns, die wir in der guten Luft dieser frohen Botschaft frei aufatmen dürfen, uns sind nun die Aufforderungen unseres Bibeltextes gesagt. Nicht so, dass wir seufzend sagen: Müssen wir das denn tun? Oder: Können wir das denn? Sondern so, dass wir begreifen: Damit ist uns ein schöner Weg gezeigt. Auf dem will ich gern gehen. Es ist zwar nicht unbedingt ein bequemer Weg, vielleicht zuweilen ein steiler und mühsamer, aber jedenfalls ein spannender Pfad, auf dem wir unsere Überraschungen erleben werden. Auf diesem Weg geht Jesus uns voran. Wir haben diesen Weg nicht zu finden noch uns auszusuchen. Aber wir sind eingeladen, diesem Herrn nachzufolgen. Wir können nicht tun, was er an uns getan hat - er, der uns die Botschaft gebracht hat von dem, der gütig ist zu uns Undankbaren. Wir können und sollen ihm aber für dieses Gute danken. Und im Dank dafür fangen wir an, nun auch selber Böses nicht mit Bösem zu vergelten. Gewöhnlich liegt es uns wohl im Blut, anders zu verfahren: Wir reden dann unsere eigenen Versäumnisse klein und malen dafür die Fehler Anderer umso größer aus. Ja, damit unsere eigenen Sünden überhaupt in Vergessenheit geraten, beschäftigen wir uns in eifriger Sorgfalt mit den Sünden Anderer. Auch das heißt: Böses mit Bösem vergelten!

Aber eben, nun sind wir zum Umdenken eingeladen. Bitte, lernt jetzt vielmehr vom Erbarmen Gottes und redet zum Guten! Paulus sagt es noch stärker: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde du das Böse mit Gutem. Das Wort „überwinden", nämlich das Überwinden des Bösen, ist hier zu unterstreichen. So verstehen wir erst recht, was Paulus meint mit seinem anderen Satz: „Soviel an euch liegt, haltet mit allen Menschen Frieden." Es gibt doch auch einen faulen und morschen Frieden. Das ist ein Frieden, in dem das Böse nicht überwunden wird mit dem Guten, sondern in dem das Böse böse bleibt. Der Genfer Reformator Johannes Calvin, der vor fast 500 Jahren geboren wurde, spricht in der Auslegung dieser Bibelstelle davon: Es gebe Menschen, die um des lieben Friedens willen Anderen schmeicheln, und solche, die sich beliebt machen wollen und darum nach der Zustimmung möglichst aller handeln. Es muss klar sein, dass das mit Frieden schließen nicht gemeint sein darf. Denn so würde ja das Böse nicht überwunden mit Gutem, sondern auf Dauer gesetzt. Das Überwinden des Bösen mit Gutem besteht nicht in einer schwächlichen Nettigkeit zu jedermann, in der man als Spielball von allen Seiten benutzt wird. Das Überwinden des Bösen mit Gutem wird sich in einem ernsten Kampf vollziehen. Es erfordert einen mutigen Einsatz, und das umso mehr, als das Böse sich nicht ohne weiteres geschlagen gibt. Und dessen schlimmster Sieg wäre, wenn es uns in die Irre lenkt, so dass wir Böses zu überwinden suchen mit selbst bösen Mitteln. Wir sagen dann wohl: Ich habe es ja gut gemeint, aber haben es nicht gut gemacht. Davor bewahre uns der liebe Gott!

Anstößig ist in dem Text sodann auch die Grundsätzlichkeit, in der er uns sagt: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösen!" Ausnahmslos niemandem! Wenn wir uns das näher überlegen, so werden wir leicht zweifeln: Nun ja, im Privaten mag man das probieren. Aber im Öffentlichen kann man doch nicht mit dieser Regel gegenüber realen Feinden verfahren. Da werden uns bald eine Reihe von Menschengruppen, ja, ganze Nationen einfallen, bei denen das nicht anwendbar ist. Wenn wir da nicht bereit sind, mit gleicher Münze heimzuzahlen, dann wird das Böse auf der anderen Seite immer böser und wird uns eines Tages wohl noch ganz ausrotten. Aber nun nimmt uns das Bibelwort an der Hand und sagt: Denkt doch einmal nach! Wenn ihr so verfahrt, dann verwandelt ihr euch selbst in das Bild von eurem Gegner. Dann macht ihr euch selbst zu Bösen. Das Bibelwort leitet euch an, vielmehr umgekehrt zu denken. Gewiss, wer euch Böses tun will, ist euer Feind. Und es ist recht, wenn ihr seiner Bosheit widersteht und sie nicht gutheißt. Aber die Frage ist, wie ihr das in rechter Weise tut, ohne dabei selbst von seiner Bosheit angesteckt zu werden. Unser Bibelwort gibt die Antwort: Vergeltet so das Böse und bekämpft und überwindet so euren Feind, dass ihr ihn als Feind „einfach nicht gelten lasst" (Karl Barth). Gönnt ihm nicht diesen Triumph, dass er euch überwindet mit seiner Bosheit! Besiegt vielmehr ihn, indem ihr ihm Gutes tut.

*

Paulus fährt in unserem Text fort und sagt: „Rächt euch nicht selbst, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (in 5. Mose 31): ‚Mir gehört die Rache, ich will vergelten.'" Das tönt verwunderlich. Aber machen wir uns zunächst klar: Damit ist uns ganz und gar und restlos ein Amt sozusagen als Racheengel entzogen. Wir müssten ja selbst aus der Gnade fallen, die uns zuteil wurde, wenn wir daraufhin nicht sie in Wort und Tat bezeugen, sondern Zornesgedanken und Rachetaten vollziehen. In der Nazi-Zeit, als auch so viele Christen vom antisemitischen Geist angesteckt waren, machte eine Anekdote die Runde. Ein evangelischer Pastor begegnete einem Rabbiner und fragte ihn: „Glaubt ihr Juden immer noch an den Gott der Rache?" Der Jude antwortete: „O ja, wir glauben noch immer an ihn. Aber während wir diese Aufgabe ihm überlassen, suchen wir auf Erde Gutes zu tun - hingegen scheint ihr Christen umgekehrt zu verfahren." Lernen wir Christen von diesem Juden, das, was ja auch unser Bibelwort sagt! Und Calvin sagt zu diesem Wort von der Rache: „Bei denen, die (hier) selbst zufahren, ist kein Platz mehr für Gottes Hilfe (!)". Das öffnet uns die Augen für die Erkenntnis: Wir dürfen nicht etwa dieselbe Rache, die wir gern selber täten, nun von Gott erwarten. Als könnten wir Gott zum gefügigen Helfershelfer für unsere bösen Wünsche machen1 Nein! Gott will wohl alles Böse abschaffen - das ist sein Zorn und seine Rache. Aber eben, sein Zorn und seine Rache gehören ganz hinein in den Vollzug seiner vollkommenen Güte und seiner starken Hilfe für alle Menschen.

Darum entspricht es dem Willen Gottes, wenn uns geboten ist: „Rächt euch nicht!" Ja, darum entspricht es dem gütigen Willen Gottes, wenn uns statt dessen geboten wird: „Wenn dein Feind hungert, so speise ihn; wenn er dürstet, so tränke ihn. Denn wenn du dies tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln." Die seltsame Rede von einem Sammeln feuriger Kohlen auf ein Haupt verstehen wir am besten so: Diesen euren Feind schafft ihr einfach so auf die Seite, dass ihr auch ihn genau so behandelt, wie ihr Christen überhaupt Bedürftige, Kranke, Notleidende zu behandeln habt. Also, bekämpft ihn nicht, aber versucht auch nicht, ihn zu bekehren oder ihm sonst eine anständige Gesinnung beizubringen. Sondern seht, dass er in all seiner für euch unerfreulichen oder gefährlichen Haltung jedenfalls ein Mensch ist: einer, der dran ist wie ein Armer und Bettler, wie ein Hungernder und Dürstender. Gebt ihm, was er braucht! Speist ihn, tränkt ihn! Gebt ihm das, ohne die Bedingung seiner Besserung zu stellen! Setzt einen neuen Anfang in der Beziehung zu ihm, indem ihr ihn einfach als einen Menschen wie du und ich behandelt. So seid ihr brauchbare Boten und Botinnen des Erbarmens Gottes mit ihnen und uns und mit allen. Gott segne dazu unser Hören, Reden und Tun! Amen.



Prof. Dr. Eberhard Busch
Universität Göttingen
E-Mail: eberhard.busch@theologie.uni-goettingen.de

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