Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 22.06.2008

Predigt zu Matthäus 16:13-26, verfasst von Bent Arendt

Ein Prophet ist ein Mensch, der eine Botschaft zu verkünden hat, die sich von anderer menschlicher Rede unterscheidet. Die Worte des Propheten erheben den Anspruch, eine ewig gültige Wahrheit zu enthalten, die mit göttlicher Autorität für alle Menschen gelten soll. Das Alte Testament ist voll von Propheten, die auf unterschiedliche Weise eine wahre Gottesanbetung verkünden wollen. Auch andere Religionen haben Propheten, nicht zuletzt der Islam, der Jesus als Propheten betrachtet, aber doch Mohammed für den endgültigen Propheten hält, der die vollständige Offenbarung Gottes empfangen hat.

Auch außerhalb der Religionen kann man indessen Leute finden, denen prophetische Autorität zuerkannt worden ist. Der Wissenschaftler Charles Darwin, der Psychologe Sigmund Freud, der Politiker Karl Marx: sie alle sind als Propheten aufgefasst worden, die eine Botschaft für die gesamte Menschheit hatten, die obendrein im Stande sein würde, alle Religion und alle anderen Propheten mit Hilfe von vernünftigen Erklärungen abzuschaffen. Um welche Art von Prophet es sich auch immer gehandelt haben mag, ob er religiös oder nicht-religiös war, so sind sie doch alle davon ausgegangen, dass es die Wahrheit gibt und dass sie ihrer Botschaft Mündigkeit gibt. Und wir sind der Wahrheit verpflichtet, die eine Wahrheit ist nicht genauso gut wie die andere. - Deshalb haben es Propheten heutzutage schwer. Oder vielleicht besser: Sie besitzen nur für eine kurze Zeit Autorität, in der sie dann aber auch desto intensiver verehrt werden können. Denn in unserer Zeit ist die Wahrheit auf mancherlei Weise demokratisiert und herabgeschraubt worden auf "das zur Zeit Gültige", das die größte Wirkung und Zustimmung erfährt, wo die eine Wahrheit genauso gut wie die andere sein kann und wo große Freiheit besteht, diejenige Wahrheit zu wählen, die mir am besten passt. Medien, Reklamen und Politiker können sehr wohl lügen und ihre eigene Wirklichkeit schaffen, wenn sie nur "wirkt" oder wenigsten, solange sie wirkt. Die Wirkung ist wichtiger als die Wirklichkeit, und die Wahrheit ist ein Wirkungsmittel, das wir für unsere Zwecke ausnutzen können, und nicht so sehr eine Wirklichkeit, der wir alle verpflichtet wären. Das verführt manchmal Menschen dazu, auf immer stärkere und andersartige "Wirkungen" aus zu sein, weil wir selbst die Schlagkraft in unserer Wahrheit beweisen müssen. Wie es der Terrorist zu tun versucht. Insofern ist Terrorismus kein veraltetes, fundamentalistisches Phänomen, sondern eher ein genauso modernes Unterfangen wie die Gesellschaften, die er bekämpfen will.

Nun besteht kein Zweifel, dass Jesus als ein Prophet im alten Sinne verstanden wurde, als einer, der mit göttlicher Autorität ein wahres Wort sagt - so wie wir es im Evangelium gehört haben: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten, wie die Jünger sagten. Und so müssen auch wir noch immer seine Verkündigung hören, auch wenn es in unseren Tagen schwer sein mag, eine göttliche Wahrheit zu behaupten. Aber das auffallend Moderne an Jesus ist doch, dass er seinen Jüngern nicht die Antwort gab: Ja, so ist es, ich verkünde die Wahrheit mit göttlicher Autorität, ungeachtet, ob ihr sie annehmen wollt oder nicht. Nein, Jesus stellte vielmehr die Frage: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? "Ihr", sagte er - die Worte der Jünger erhielten also entscheidendes Gewicht. Ja, mehr noch: Jesus erkannte den Worten des Jüngers Simon Petrus göttliche Autorität zu, indem er sagte: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes." - "Selig bist du, Simon, denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel... Du sollst Petrus heißen, der Fels, auf den ich meine Kirche bauen will. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; und was du auf Erden bindest und löst, soll auch im Himmel gebunden und gelöst sein." Derselbe Petrus, der eine Minute später Satan genannt wird: "Satan - du willst mich zu Fall bringen, denn du willst nicht, was Gott will, sondern was Menschen wollen" - und der dann Jesus bei der Kreuzigung total verleugnete.

So ist Jesus also Prophet mit göttlicher Autorität: Nicht indem er sich da hinstellt und an der Wahrheit festhält, sondern indem er die Wahrheit von sich gibt - sie den Jüngern anvertraut, sie Petrus gibt, der nicht wollte, was Gott will, und allen möglichen Menschen, die Jesus umgaben, Verrätern, Prostituierten, Sündern, Gegnern, Soldaten der Besatzungsmacht, Verfolgern usw.

Manche mögen daraus vielleicht den Schluss ziehen, Jesus sei ein moderner Demokrat gewesen, fast genauso gut wie ein Däne, wie manche Dänen sich vorstellen, die Demokratie sei dem Christentum zu verdanken. Aber dann sind wir nicht besser als diejenigen, die Jesus hingerichtet haben, denn dann sehen wir ihn nur in unserem eigenen Bild, ebenso wie sie in Jesus nur das sahen, was sie von einem Propheten erwarteten, und nicht hörten, dass hier mehr war als ein Prophet und irgendeine beliebige menschliche Vorstellung. Ein Prophet muss an der Wahrheit festhalten; aber imstande zu sein, Menschen die Wahrheit zu überlassen, wie Jesus es tat, und damit ihrem Leben und ihrem Bekenntnis so große Bedeutung zu geben, dass sie für die Erfüllung der Wahrheit entscheidend werden - das übersteigt alle Prophetie und moderne Demokratie. Man kann es nur,wenn man selbst Gott ist, wenn man selbst derjenige ist, der Menschen die Wahrheit gibt und für das Leben von Menschen "die Tagesordnung festlegt", ungeachtet, zu welcher Wahrheit sie sich bekennen mögen. Das ist der springende Punkt in der Verkündigung Jesu. Wenn Jesus nur ein Prophet ist, dann müssen wir die Wahrheit, die er uns in unserem Leben überlässt, wie so viele andere Wahrheiten nehmen und danach beurteilen, ob sie eine Wirkung hat. Ist aber Jesus auch Gott - "der Sohn des lebendigen Gottes", wie es im Bekenntnis des Petrus hieß, - dann dreht sich das Bild um. Dann haben wir nicht nur eine göttliche Wahrheit, zu der wir uns zu verhalten und von der wir auszugehen haben, sondern dann wird uns die Wahrheit überlassen, so dass unser Leben, und die Wahrheit in dem Leben, das wir leben, unendliche, ewige, ja "göttliche" Bedeutung bekommt, insofern Gott nun mit uns rechnet. Es ist eine Bedeutung, die wir nie werden begreifen, sondern nur entgegennehmen können, da wir doch Gott nicht begreifen, sondern nur empfangen können, was von IHM kommt. Wenn ER, der für unser Leben "die Tagesordnung festlegt", uns so die Wahrheit überlässt, dann ist es entscheidend für uns, wie wir uns -jeder mit seinem Leben für sich - zu der Wahrheit verhalten, ungeachtet, wie die anderen, damals wie heute, sich dazu verhalten mögen. Streben wir danach, "Wirkung" zu erzielen, um uns zu beweisen? Denn dann reicht das Leben, wie es für uns geschieht und uns zur Wahrung überlassen ist, für uns nicht aus und wir müssen immer mehr haben; vielleicht ist es das, "was Menschen wollen", wie auch Petrus es wollte. Streben wir nach Wahrheit, indem wir uns unseres begrenzten Verstandes und unserer begrenzten Möglichkeiten und unseres Versagens bewusst sind, aber doch auf dem Boden eines Glaubens daran, dass die Wahrheit uns anvertraut ist? Denn dann ist das Leben reichlich für uns, wie es für uns geschieht und uns zur Wahrung überlassen ist, da ja gerade unser Leben und Glaube entscheidende Bedeutung für Gott erhält. Das ist es vielleicht, "was Gott will": zuerst uns als die Menschen zu akzeptieren, die wir sind, und uns die Wahrheit zu überlassen; und dann unserem Leben eine solche Bedeutung zuzuerkennen, dass selbst das vielleicht wirkungsloseste Leben, die vielleicht am allermeisten übersehene und benachteiligte, für eine jede menschliche Betrachtung vielleicht in höchstem Maße gleichgültige und verachtenswerte Person, sehr wohl derjenige sein kann, der für Gott entscheidende Bedeutung für die Erfüllung des Lebens hat. "Denn wer sein Leben zu erhalten sucht (um eine Wirkung zu haben), der wird es verlieren; aber wer es um meinetwillen verlieren wird (in ständigem Glauben und Hoffnung auf die Erfüllung der Wahrheit), der wird es finden, wie Jesus sagte. Hält dich das Leben auf und musst du fragen: "Was will ich? Was tue ich hier? Was glaube ich eigentlich? Worauf hoffe ich? Was ist die Wahrheit? Was ist das Leben? - dann höre nicht darauf wie auf Fragen der Verzweiflung, wie wir vielleicht in einem vorwärts stürmenden Dasein meinen würden - sondern höre darauf, ob es nicht solche Augenblicke sind, in denen Jesus, als Menschensohn und als Sohn Gottes, dich fragt: "Aber du, wer sagst denn du, dass ich bin" - um auf uns bauen und uns die Schlüssel zum Himmelreich überreichen zu können, sowohl in diesem Leben, dass wir jetzt leben müssen, und in dem Leben, das kommen wird . Amen.



Pastor Bent Arendt
Århus (Dänemark)
E-Mail: brar(a)os.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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