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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 29.06.2008

Predigt zu Matthäus 19:16-26, verfasst von Ulla Morre Bistrup

(dänische Perikopenordnung)

Wenn man in einem Chor singt, gibt es einige Kniffe, die man beherrschen muss. Jedenfalls, wenn es sich einigermaßen ordentlich anhören soll. Erstens muss man die Konsonanten unglaublich genau singen, sonst kann man den Text nicht hören, und zweitens muss man die Vokale mit derselben Intonation singen, und hier ist es entscheidend, dass man jedem einzelnen Vokal denselben Klang gibt, der nicht zu flach sein darf. Z.B. lernt man, dass der Vokal ö fast wie ein y zu singen ist. Wenn man Kirchenlieder singt, kann es recht dumme Assoziationen hervorrufen, wenn man an Stelle von "död" (Tod) "dyd" (Tugend) singen muss, damit "Tod" verstanden wird. In dem Lied "Sieh, nun steigt die Sonne" wird man also singen "aus dem Netz der Tugend er (Gott) reißt sein Kind", was man sich unmittelbar nicht von Unserem Herrgott vorstellt. Oder wenn man von all denen singt, "die nach ihrem Streit von der Tugend befreit" - anstatt vom Tode befreit - sind.

             Aber in Wirklichkeit ist es auch wieder gar nicht so dumm, was man auf diese Art und Weise zu singen hat. Denn ist es im Grunde nicht das Anliegen, das Jesus im heutigen Text hat: Uns aus dem Netz der Tugend herauszureißen, in dem wir gestritten und gelitten haben...?

             Jedenfalls ist es ein sehr tugendhafter junger Mann, der im Text von heute zu Jesus kommt. Und hier denke ich selbstverständlich nicht an das Wort Tugend in der Bedeutung von sexueller Enthaltsamkeit, die es allmählich bekommen hat. Nein, der junge Mann ist tugendhaft in dem Sinne, dass er ganz allgemein in seinen Taten und vermutlich auch in seinen Gedanken gesetzestreu und moralisch ist. Er kann ohne mit der Wimper zu zucken sagen, er habe alle Zehn Gebote gehalten, und fragt voller Eifer, was er noch tun könne. Und jetzt reißt Jesus ihn aus dem Netz der Tugend, indem er zu ihm sagt: Geh hin und verkaufe, was du hast, und komme und folge mir nach. Ja, zunächst einmal kann der junge Mann selbstverständlich gute Werke tun und seine Tugend demonstrieren, indem er den Armen alles gibt, was er durch den Verkauf seines Eigentums erwirbt. Aber was geschieht danach? Ja, dann ist er also völlig abgebrannt. Ruiniert. Ganz und gar preisgegeben.

             Und bald wird klar, hier geht es wahrlich nicht bloß um Geld. Wenn Jesus sagt, dass es für einen Reichen schwerer ist, ins Reich Gottes zu kommen als ein Kamel durch ein Nadelöhr zu bekommen, dann geht es hier nicht um einen Ausfall gegen die ungleiche Verteilung irdischer Güter, auch wenn ein solcher Ausfall wohl berechtigt sein könnte. Nein, der Reichtum, der uns hindert ins Reich Gottes zu gelangen, hat damit zu tun, dass man sich in sich selbst reich genug fühlt. Dass man sich so reich an guten Werken, an Tugend fühlt, dass man es nicht im Ernst nötig hat, die Gnade Gottes zu empfangen. Denn dann müsste man ja all das aufgeben, was man getan hat um des Zugangs zum Heil willen. Und genau dies will der junge Mann nicht tun.

             Nun ist "tugendhaft" kein Wort, an das man im Zusammenhang mit unserer Zeit unmittelbar denken würde.

             Aber faktisch muss man lange suchen nach einem besseren Vertreter für unseren Zeitgeist und für uns als gerade diesem reichen, tugendhaften jungen Mann. Wir mögen es nämlich sehr, wenn wir unter Kontrolle haben, was wir selbst tun können, um etwas Bestimmtes zu erreichen. "Was soll ich tun, um das ewige Leben zu ererben?", fragen wir unablässig. Und wir beginnen damit, uns zum Leben diesseits des Todes so zu verhalten, dass wir alles tun, um es so ewig wie möglich zu machen. Die meisten von uns beschäftigen sich in diesem Zusammenhang mit ihren Körper. Gesundheit, Bewegung und physische Jugendlichkeit füllen zahllose Seiten in einer jeden Zeitschrift über Lebensstil ebenso wie massenweise Waldpfade mit pustenden Joggern; einige Zeitschriften - weitaus weniger, muss man wohl sagen - gehen noch den Schritt weiter zu der geistigen Dimension und stellen auch die Frage, was man denn in religiöser Beziehung tun soll, um das ewige Leben zu ererben. Es gibt viele Antworten, und sie haben eine Spannweite, die sich von der Ausfüllung seines Karmas bis hin zu richtigen numerologischen Buchstabenkombinationen in seinem Namen erstreckt.

             Das alles ist recht anspruchsvoll, ja vielleicht sogar ziemlich ermüdend, ist aber doch dadurch gekennzeichnet, dass es uns nicht völlig unmöglich ist. Es geht um Tugend, das dänische Wort dafür ("dyd") ist mit (dem dänischen Wort für) Tat verwandt. Erwache zur Tat! D.h. reiß dich zusammen, sagen wir uns selbst und machen noch eine Runde im Fitnesscenter oder suchen den Hellseher auf, um etwas zu tun, damit wir das ewige Leben ererben können.

             Aber nun sagt Jesus zu dem reichen, tugendhaften jungen Mann und zu uns, dass wir alles verkaufen und ihm nachfolgen sollen - arm, nackt und preisgegeben. Weil dass Ererben des ewigen Lebens nichts zu tun hat mit Tudend und Tat und all dem, was wir tun können.

             Und dann stehen wir da - wir, die wir den lieben langen Tag die Ohren voll geblasen bekommen, dass man ein Selv-made-Mann und eine Selv-made-Frau zu sein habe - wir stehen da wie gelähmt und verwirrt und lassen die Hände sinken. Nahezu entsetzt, wie es auch die Jünger waren, - und wir fragen mit ihnen, wie man dann selig werden kann.

             Und die Antwort lautet: "Bei den Menschen ist es unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich." Bei Gott sind alle Dinge möglich. Und vielleicht denken wir dann daran, dass die Augenblicke, in denen wir uns dem ewigen Leben am nächsten gefühlt oder wenigstens einen Schimmer der Ewigkeit emfpunden haben, fast immer Augenblicke gewesen sind, in denen wir die Hände sinken ließen.

             Z.B. wenn wir erlebt haben, wie ein Kind zur Welt kommt. Wer von uns könnte danach auf den Gedanken verfallen, Familie und Freunde anzurufen und zu sagen: Jetzt will ich euch sagen, was ich getan habe, um das ewige Leben zu ererben. Ich habe ein Kind gemacht!

             Nein, ein Kind haben wir bekommen - vielleicht sogar geschenkt bekommen.

             Oder man denke an die Liebe zwischen uns. Entdecken wir im Ernst, dass jemand uns liebt, während wir zugleich wissen, dass wir schön, tüchtig, gefragt und erfolgreich sind? Nein, das entdecken wir an dem Tag, an dem wir es gerade nicht sind und unsere Angehörigen und Nächsten trotzdem bei uns bleiben - nicht auf Grund dessen, was wir tun oder auf Grund all der Liebe, die wir dadurch verdient zu haben glauben, sondern einfach nur, weil wir zusammengehören.

             Oder die Freude. Man denke an die Freude. Ich las einmal in der Zeitung, wie ein Hirnforscher erklärte, dass die Freude an einer bestimmten Stelle im Gehirn sitze und dass ein amerikanisches Experiment gezeigt habe, dass der Zustand der Freude durch mangelnde Aktivität ebenda charakterisiert sei. Das ist wohlgemerkt die Stelle, wo wir sonst Probleme lösen, Handlungen und Verhalten planen. Freude ist demnach grob gesagt dasselbe wie, wenn man es unterlässt, etwas zu tun - ein leeres Starren auf einen Sonnenuntergang oder in ein Feuer z.B. Das ist doch mal eine Einsicht, die uns nur lieb sein kann.

             Wenn wir aufgehört haben zu fragen, was wir tun können, wenn wir alles verkauft haben, was wir an Verdiensten haben und nun nackt dastehen und dem preisgegeben sind, was Gott kann, was wir aber nicht können, dann haben wir das ewige Leben ererbt, dann sind wir erlöst.

             Oder mit den Worten des Paulus aus dem Brief an die Römer: "Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke."

             Erst im Glauben an ihn und im Vertrauen auf ihn und nicht auf uns selbst und unsere Verdienste können wir im Ernst empfangen, was er uns geben will. Das Leben, die Liebe und die Freude. Und die Hoffnung, die weiter reicht, als wir mit unseren Werken reichen können. Die bis dahin reicht, wo uns die Worte fehlen. Wo es um einen Sinn geht und wo es um Fürsorge geht, nicht nur in diesem Leben, sondern auch in dem unbekannten ewigen.

             Deshalb sollen wir es hin und wieder wagen, die Hände sinken zu lassen. Vielleicht sogar, sie zu falten. Aus Freude und Dankbarkeit dafür, dass Gott, dem alles möglich ist, seinen Sohn zur Erde gesandt hat. Wo seine Hand mich auch aus dem Netz der Tugend reißt.

Amen

 



Lektor Ulla Morre Bistrup
Rønde, Dänemark
E-Mail: umb(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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