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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 06.07.2008

Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 16:2-3.11-18, verfasst von Peter Taeger

Eine sehr interessante Begebenheit, die uns da erzählt wird im Zusammenhang des Auszuges des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten.

Sie trifft uns auch heute noch bis ins Mark, denn nach wie vor sind wir hin und her gerissen zwischen Sicherheit und Freiheit.

Zunächst aber bleibe ich an den äußeren Umständen des Geschehens hängen.
Was kann das gewesen sein, das den Israeliten in der Wüste zur Speise wurde.
Sie kannten es offensichtlich selbst nicht. Man hu? Was ist das?
Die Fachliteratur verweist uns auf ein Sekret der Tamariskenbäume, wenn sie von einer Schildlaus gestochen werden. Und Wasser sammelt sich tatsächlich in Hohlräumen von Felsen und tritt mitunter zu Tage, wenn daran geschlagen wird.
Desgleichen die Wachteln, wenn sie endlich das Mittelmeer überflogen haben, brauchen sie dringend eine Rast, gegen ihre Erschöpfung.
Also alles ganz natürliche Zusammenhänge?
Sicherlich können wir uns an die hilfreichen Erklärungen halten. Aber ich fürchte, sie bilden nur die Oberfläche für etwas viel tiefer Liegendes, das unsere Existenz bis heute bestimmt. Denn vor allen Dingen transportiert dieser Text eine klassische Lebenssituation, in der sich Menschen oder auch ganze Völker immer wieder befinden.

Das Murren des Volkes ist verständlich. Sollten sie hier in der Wüste vor Hunger verkommen. Waren sie in Ägypten Sklaven gewesen, so hatten sie doch wenigstens das tägliche Brot. Die Fülle war es sicher nicht. Aber die Vergangenheit verklärt sich oft im milden Licht der Erinnerung. Wer kennt das heute nicht.
Den Initiatoren der Befreiung wird geradezu der Vorwurf gemacht, sie hätten in der Absicht gehandelt, das Volk ins Verderben zu führen. Sie hätten vielleicht nur vorgegeben, im Auftrag Gottes zu handeln.

Gerade in den Neuen Bundesländern ist dieses Murren, diese Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens inzwischen ein recht häufiges Phänomen.
Sicherheit und Freiheit werden gegeneinander ausgespielt. Gab es zu DDR-Zeiten den Ruf nach Freiheit, so erhebt sich jetzt der Ruf nach Sicherheit.
Nach dem letzten Thüringen-Monitor, hat sich das Verhältnis der Freiheitsorientierten zu den Sicherheitsorientierten ganz deutlich in Richtung Sicherheitsorientierung verschoben.
Viele Menschen sehnen sich nach der scheinbar zu DDR-Zeiten empfundenen Sicherheit. Nach einer Lebensplanung, die Bestand hatte, nach einem klaren Feindbild also einer klaren Aufteilung in gut und böse und nach einer Einbindung in eine Gemeinschaft. Der Rückblick über nun bald zwanzig Jahre lässt die Nachteile und Bedrängnisse im Dunkel der Geschichte verschwinden. Schon melden sich Stimmen, die Spitzeltätigkeit und Repression als normal und notwendig hinstellen. „Wir sehen ja, wo wir heute hingeraten sind."
Das Vertrauen in Politik und demokratische Strukturen sinkt. Das treibt Menschen zu radikalen Parteien und Lösungen.
Die existentielle Situation, in der sich die Israeliten in der Wüste Sinai befinden ist also geradezu klassisch. Kann man diesem Dilemma entfliehen?

In der Passage, die uns heute interessiert, fällt mir folgendes auf.

1. Das Augenmerk wird auf die kleinen Dinge im unmittelbaren Umfeld gelenkt, durch die Überleben möglich wird. Etwas, das den unmittelbaren Hunger und den unmittelbaren Durst löscht. Es sind Überlebensstrategien im Kleinen , die es zu erkennen und zu erkunden gilt und die unmittelbar als Gottes Möglichkeiten und Wege für uns erkannt werden können.
D. h. es hilft uns kein nostalgisch verklärter Blick nach hinten, sondern es gilt die momentane Situation von ihren Möglichkeiten und nicht von ihren Defiziten her zu begreifen. Diese Möglichkeiten sind da und an sie kann angeknüpft werden.

2. Aufgespartes Manna verdirbt. Auch das ist offenbar nicht nur Grund Erfahrung des Volkes Israel. Sicherheit lässt sich nicht auf Vorrat erlangen.
Die auf ein Gleichgewicht des Schreckens gegründete Sicherheit war natürlich nicht sicher. Sie barg in sich die allergrößte Unsicherheit.
Und wer nur ein wenig hinter die Kulissen geschaut hat, weiß, dass die wirtschaftliche Sicherheit zu DDR-Zeiten eine Illusion war. Sie war schon lange vor 89 in zunehmende Schieflage geraten.
Aber wie wir zu DDR-Zeiten unser Manna gesammelt und unser Wasser aus den Felsen geschlagen haben, entgegen aller Wüsten Erfahrung, so ist das zu allen Zeiten und auch heute möglich.
Vertrauen und Sicherheit muss immer wieder neu erworben und erfahren werden. Oder um es noch einmal zuzuspitzen. Unsere Sicherheit ist Vertrauen. Das ist natürlich leicht gesagt, wenn man nicht mit Hartz IV auskommen muss. Aber außer der Notwendigkeit, durch geübte Solidarität die Sicherheit aller zu erhöhen, bleibt die Notwendigkeit, das Mögliche in Freiheit zu ergreifen.
Glaube ist also so etwas wie ein Grundgefühl der Sicherheit, welches es uns ermöglicht, fröhlich unseres Weges zu ziehen.

3. In Vers 18 heißt es: Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.
Es gibt also ein genügendes Maß. Darüber hinaus beginnt die Vergeblichkeit.
In diesem äußerlichen Sinn gibt es nur ein bestimmtes Maß an Glück. Dieses Maß durch ein mehr an Masse oder durch ständige Wiederholung zu steigern, ist zum Scheitern verurteilt. Wir erfüllen uns sozusagen unsere Wünsche zu Tode und schauen mit leeren Augen in die Welt.

4. In Bezug auf das Neue Testament wissen wir, dass Christus selbst das wahre Brot vom Himmel ist, das uns geschenkt wird. Er ist es, der uns an Leib und Seele sättigt, der unser Leben voll und erfüllt macht, auf unserer Lebenswanderung, die uns wie das Volk Israel durch fruchtbare Gegenden und auch durch Wüstenlandschaften führt. Wo aber die Versuchungen größer sind, ist schwer zu sagen. Wir gehen nicht nur in der Not in die Irre, sondern gerade auch in der Fülle.

Wir brauchen wie das Volk Israel die Erfahrung dass Gott mit uns, seinem wandernden Gottesvolk unterwegs ist und uns nährt von einem Tag zum anderen und uns letztendlich zum Ziel führt. Wir aber sollen in der Freiheit bestehen, in die er uns führt und das Mögliche ergreifen.




Peter Taeger
Superintendent
Rudolstadt-Saalfeld
E-Mail: Peter_Taeger@gmx.de

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