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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 06.07.2008

Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 16:2-3.11-18, verfasst von Inke Raabe

(Ich habe für jeden Besucher einen Eßlöffel Haferflecks (Kölln) in ein Stück Alufolie eingepackt und verteile die kleinen Päckchen im Lied vor der Predigt)

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt. Amen

Liebe Gemeinde, Sie haben gerade diese kleinen Päckchen bekommen und sich bestimmt schon gefragt, was da drin ist. Ich bin ganz gespannt, wie Sie darauf reagieren, wenn Sie sie jetzt gleich mal aufmachen.

(Reaktionen abwarten und aufgreifen)

„Was ist das denn?" habe ich gedacht, als ich diese Körner zum ersten Mal sah. Ich habe eines zwischen Daumen und Zeigefinger genommen, es mir erst einmal genau angeguckt und zwischen den Fingern gedreht, weil ich wissen wollte, wie es sich anfühlt. Dann habe ich daran geschnuppert. Zuletzt habe ich es mir ganz vorsichtig in den Mund geschoben, dieses Wasistdasdenn. Es sind Haferflecks, man isst sie mit Milch zum Frühstück - und ich finde, sie schmecken gar nicht mal schlecht.

Um diese Wasistdasdenns geht es in unserem Predigttext. Es geht um Skepsis und Misstrauen, um Genügsamkeit und Dankbarkeit, um Staunen und Freude. Und es geht darum, wie Gott uns begegnet: nämlich genau so.

Ich lese den Predigttext für den 7. Sonntag nach Trinitatis. Er steht im zweiten Buch Mose im 16. Kapitel:

Die ganze Gemeinde der Israeliten murrte in der Wüste gegen Mose und Aaron.

Die Israeliten sagten zu ihnen: Wären wir doch in Ägypten durch die Hand des Herrn gestorben, als wir an den Fleischtöpfen saßen und Brot genug zu essen hatten. Ihr habt uns nur deshalb in diese Wüste geführt, um alle, die hier versammelt sind, an Hunger sterben zu lassen.

Der Herr sprach zu Mose: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sag ihnen: Am Abend werdet ihr Fleisch zu essen haben, am Morgen werdet ihr satt sein von Brot und ihr werdet erkennen, dass ich der Herr, euer Gott, bin.

Am Abend kamen die Wachteln und bedeckten das Lager. Am Morgen lag eine Schicht von Tau rings um das Lager.

Als sich die Tauschicht gehoben hatte, lag auf dem Wüstenboden etwas Feines, Knuspriges, fein wie Reif, auf der Erde.

Als das die Israeliten sahen, sagten sie zueinander: Man-hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Da sagte Mose zu ihnen: Das ist das Brot, das der Herr euch zu essen gibt.

Das ordnet der Herr an: Sammelt davon so viel, wie jeder zum Essen braucht, ein Krug je Kopf. Jeder darf so viel Krüge holen, wie Personen im Zelt sind.

Die Israeliten taten es und sammelten ein, der eine viel, der andere wenig.

Als sie die Krüge zählten, hatte keiner, der viel gesammelt hatte, zu viel und keiner, der wenig gesammelt hatte, zu wenig. Jeder hatte so viel gesammelt, wie er zum Essen brauchte.

Die Israeliten wie sie hier beschrieben werden sind wie kleine Kinder, die ein Eis haben wollen: Kaum aus der Sklaverei in Ägypten befreit, fangen sie an zu nörgeln und zu meckern. Sie sind aber zugleich wie dumme Erwachsene, diese Israeliten: Jetzt geben sie Mose und Aaron die Schuld, das sind Die-da-oben, die alles falsch machen und das Volk in den Ruin treiben. Und sie sind wie alte Leute: Früher war alles besser, sagen sie, als wir noch bei den Fleischtöpfen Ägyptens saßen. Sie sind so menschlich, diese Israeliten, sie sind uns so ähnlich. All das gibt es bei uns auch: Dieses „Murren", wie Luther das Genörgele übersetzt, höre ich täglich und oft auch aus eigenem Mund.

Was mich am meisten an dieser Geschichte wundert ist, dass Gott sich mit dem Nörgeln seines Volkes abgibt. Er sagt nicht: Jetzt reicht es mir aber. Er sagt auch nicht: Ihr seid alt genug, ihr müsst für euch selber sorgen. Und er sagt auch nicht: Leute, spinnt ihr eigentlich? Ihr wart Sklaven in Ägypten, habt ihr das vergessen? Er sagt: Ich habe das Murren der Israeliten gehört.

Und dann gibt er ihnen: Am Abend lagern sich Wachtelschwärme. Die Israeliten können die Tiere mit bloßen Händen greifen und werden satt. Am Morgen: Brot. Oder etwas ähnliches. „Manhu?", sagen die Israeliten, „was ist das denn?" So kam das Brot zu seinem Namen: Manna.

Was ist das denn? Diese Erfahrung wollte ich Ihnen mit meinen Haferflecks vermitteln. Denn wenn uns etwas Fremdes begegnet, sind wir wie Kinder: Neugierig und haptisch. Wir sind wie Erwachsene, voller Skepsis und Misstrauen, drehen das Ding zwischen Daumen und Zeigefinger und schnuppern daran, ob es auch ja nicht vergiftet sei. Und wir sind wie die Alten: „Wat de Buer nich kennt, dat fritt he nich" und beargwöhnen den neumodischen Kram - wir sind so menschlich, so normal. Wir sind keine Helden. Wir sind, was wir sind. Und Gott sieht uns an und hat uns lieb.

Manna - das ist das Wasistdasdenn Gottes. Und bis heute begegnen Menschen dem Himmelsbrot wie die Israeliten in der Wüste.

Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, die ich beim Kirchentag in Frankfurt erlebt habe: In der Einkaufsstraße saß ein Mann, vielleicht Mitte dreißig. Vor sich hatte er einen Hut aufgestellt, in dem einige Münzen lagen und in der Hand hielt er ein großes Schild aus Pappe. Ich ging vorbei, ich bin dieser Geschichten müde. Aber aus den Augenwinkeln las ich doch einige Worte von seinem Schild. „..... bitte bedienen Sie sich." Da hielt ích abrupt an und kehrte um. Tatsächlich, da stand auf dem Schild: „Ich bin reich beschenkt, bitte bedienen Sie sich." Was ist das denn? Habe ich mich gefragt. Und er erzählte mir seine Schicksal. Er war Trinker gewesen, stand unmittelbar vor dem Abgrund, hatte den Arbeitsplatz verloren und seine Familie drohte zu zerbrechen. Seine Option war genau diese: Er wäre ein obdachloser Säufer geworden und hätte seine Tage, mit einem Hut vor sich, in der Frankfurter Innenstadt verbracht, ohne Hoffung und ohne Freude. „Ich bin reich beschenkt", sagte er. „Ich habe mit Gottes Hilfe gerade noch rechtzeitig den Absprung geschafft." Er fand Arbeit, konnte seine Ehe retten. Davon wollte er erzählen. Er wollte sein Glück teilen. „....bitte bedienen Sie sich."

Mich hat diese Geschichte so fasziniert, dass ich sie als Experiment für einen Erntedankgottesdienst wiederholt habe. Wir sind reich beschenkt, wir können teilen, sollte der Inhalt meiner Predigt sein. Einen Denkanstoß wollte ich geben, die Gemeinde ein wenig erleben lassen, was ich erlebt hatte. Und so bat ich einen Konfirmanden, sich vor die Kirchentür zu setzen, mit einem Hut vor sich, in dem einige Münzen lagen. „Ich bin reich beschenkt, bitte bedienen Sie sich", stand auf dem Pappschild, das ich ihm gab. Aber die Gemeinde ging einfach an ihm vorbei, teilweise richtig verärgert Was ist das denn? Was soll das? Sie fühlten sich provoziert. „Manhu?" so fragten auch die Israeliten. „Wat de Buer nich kennt, dat fritt he nich", ist ein Motto der Friesen. Wenn die Israeliten Friesen gewesen wären, wären sie in der Wüste verhungert.

Die biblische Erfahrung zeigt, dass Gott oft ungewohnte und neue Wege geht, um seine Menschenkinder zu retten. Manhu? Da steckt auch eine Portion Befremden drin, Skepsis, Unsicherheit und Angst. Wir brauchen nicht erwarten, dass Gott uns Lebensbrot in Form von Eisbein und Sauerkraut schickt, so läuft das nicht. Wir müssen damit rechnen, dass er uns zunächst fremd oder gar befremdlich scheint. Mir sind zum Beispiel zunächst völlig unsympathische Menschen begegnet, die mich beim näher hinsehen das Staunen lehrten. Ein unfreiwilliger Arbeitsplatzwechsel, eine seltsame Begegnung - Himmelsbrot gibt Gott oft und gern, wo wir am wenigsten damit rechnen. Sogar schwere und verletzende Einschnitte können, aus der Rückschau betracht, Manna sein. Was ist das? Was soll das? Warum ich? - Das war Brot, das vom Himmel kam, zeigt manchmal der Blick zurück, das hat meinem Leben die richtige Wendung gegeben, das hat mich nachhaltig froh und innerlich reich gemacht.

Die Geschichte der Israeliten zeigt, dass Gott für seine Menschenkinder sorgt. Unser Teil ist, uns auf ihn einzulassen und ihm ganz zu vertrauen. Dem dient nämlich die Anweisung, die die Israeliten erhielten: Sie durften das Manna nicht horten. Jeder durfte nur so viel einsammeln, wie er brauchte. Über Nacht verdarb das Zeug und verfaulte. So lebten Gottes Kinder von der Hand in den Mund und mussten sich ganz auf Gott verlassen.

Manhu? Was ist das denn? So kam das Manna zu seinem Namen. Das ist Brot, das Gott euch zu essen gibt, Himmelsbrot.„Was ist das denn für einer?" so begegneten die Menschen auch Jesus von Nazareth. Ein gewöhnlicher Zimmermann, der auf Märkten und Plätzen Geschichten vom Himmelreich erzählt? Einer, der mit Huren und Zöllnern verkehrt? Was ist das denn für einer, gekreuzigt wie ein Verbrecher, angespuckt von Soldaten und bittet noch im Sterben Gott um Vergebung für seine Feinde? „Ich bin das Brot des Lebens", sagt er von sich. Er ist das wahre Himmelsbrot.

Es ist bestimmt kein Zufall, dass Konfirmanden auf die erste Abendmahlsoblate oft befremdet reagieren: „Manhu? Was ist das?", sagen ihre Augen, wenn wir das Abendmahl im Unterricht zum ersten Mal üben. Sie drehen die kleine, dünne Scheibe zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Und ich kann ihnen ansehen, dass sie am liebsten daran schnuppern würden. „Es ist Esspapier, nur Mehl und Wasser", erkläre ich ihnen. „Es klebt ein bisschen und ist fast geschmacksneutral." Die Kinder sind skeptisch, aber auch neugierig. Dann schieben sie sich die Oblate vorsichtig in den Mund. Meistens mögen sie sie nicht. Dass das Himmelsbrot sein soll, ahnen sie erst, wenn wir richtig miteinander Abendmahl feiern. Dann verändert sich etwas. Da gibt es mehr zwischen Himmel und Erde, spüren die Kinder oft. Und dieses Mehr, das ist das Brot, das vom Himmel kommt.

Manhu? Vorsicht also, wenn Ihnen Neues und Fremdes begegnet. Prüfen Sie es genau, Sie dürfen skeptisch sein! Das hat Gott in seiner Schöpfung so eingerichtet. Ich möchte Sie aber einladen zur Wachsamkeit: Wenn Ihre Seele Manhu fragt, wenn Sie nicht wissen, was das ist und wofür das gut sein soll, dann könnte Gott näher sein als Sie es vermuten.

Amen

Freuden dauern wie das Manna selten über Nacht. Es gilt, den Augenblick zu ergreifen, die Minute zu genießen.

Wem das Manna nicht schmeckt, dem setzt Gott Holzäpfel vor.



Pastorin Inke Raabe

E-Mail: inkeraabe@web.de

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