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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 13.07.2008

Predigt zu Römer 6:17-23, verfasst von Gabriele Arnold

Wieder einmal geht es in diesem Predigttext ums Ganze. Keine leichte Kost an einem Sonntagvormittag. Leben und Tod.

Und in diesen Tagen hat unser Predigttext eine merkwürdige Brisanz bekommen von der sich Paulus damals gar nichts denken konnte.

Leben und Tod liegen in Gottes Hand, so hat es der Bischof der württembergischen Kirche in seiner Internetbotschaft klar und eindeutig formuliert.

Aus aktuellem Anlass. Gott sei Dank haben die zuständigen staatlichen Stellen gewerbsmäßige Sterbehilfe scharf unterbunden. Es ist zum Fürchten was da alles gedacht und gebaut wird. Tötungsapparate, die ein sauberes, angeblich selbstbestimmtes Sterben versprechen. Wäre es nicht viel besser Sterbende zu begleiten, die Schmerzen zu nehmen und für Seelsorge und Nähe zu sorgen.

Sterben gehört zum Leben, so sagen wir heute und das ist natürlich richtig. Jedes Leben trägt von Anfang an die Endlichkeit in sich. Und doch wissen wir alle, wie qualvoll und elend ein Menschenleben zu Ende gehen kann. Und dann kommt uns das Leben vor wie der letzte und größte Feind.

 

Sterben gehört zum Leben. Paulus hätte dem gewiss nicht zugestimmt, jedenfalls nicht in seinem theologischen Denken. Für ihn ist der Tod der Feind des Menschen. Scharf unterschieden hat er Leben und Tod. Der Tod, sagt er, ist der Sünde Sold. Wir bekommen ihn ausgezahlt, wie eine Entlohnung. Nicht erst am Ende, sondern jeden Tag. Wir tragen den Tod in uns. Altern und Krankheit sind so etwas wie eine tägliche Auszahlung.

Der Tod ist der Sünde Lohn. Was bedeutet das? Sind wir etwa selber schuld daran, dass wir sterben müssen?

Nein, so schlicht ist es zum Glück nicht. Das klingt ja wie Todesstrafe. So als säße Gott im Gericht und würde all unser Verfehlen vor seinem inneren Auge vorbei ziehen lassen und dann das gleiche Urteil für alle fällen: Tod durch Sterben.

 

Ich weiß, die Vorstellung von dem richtenden gnadenlosen Gott, der über uns urteilt und uns dann verurteilt, ist noch immer verbreitet. In vielen Facetten durchzieht sie unser Denken, unsere Kultur, ja sogar unseren Alltag. Gott, der belohnt und bestraft. Er taucht sogar in abgemilderter Form in der Weihnachtszeit auf: Wenn du nicht lieb bist, bringt dir das Christkind nichts. Lohn und Strafe, so funktioniert Erziehung und Schule, so läuft's im Beruf und im Privatleben: Das hast du jetzt davon. Oder noch schlimmer: Du wirst schon sehen, was du davon hast.

Sätze, die wir gehört haben und die wir sicher auch schon so gesagt haben. Du wirst schon sehen was du davon hast. Das haben wir davon.

Der Tod ist der Sünde Sold. Was meint denn nur das Wort Sünde? Ich habe gesündigt, das ist die Sahne auf der Torte oder das dritte Glas Wein.

Verkehrssünder werden bestraft oder kommen davon. Steuersünden fallen mir ein, Umweltsünden. Ich denke wir brächten noch viel zusammen.

 

Aber das alles trifft nicht das, was Paulus meint. Paulus, der große Denker und Querdenker, bohrt tiefer. Er sieht was los ist auf der Welt und er zieht seinen Schlüsse.

Die antike Welt war sicher in vieler Hinsicht noch grausamer als die unsere. Paulus erlebt täglich auf seinen Wanderungen die Blutspur der Kriege. Zerstörte Dörfer, geplünderte Felder, geschändete Frauen. Aber auch ohne Krieg und Zerstörung war das Leben von Unsicherheit gezeichnet: die Frauen, die früh an den Geburten starben; Kinder, die auf den Straßen verhungerten; das Heer der Landlosen und die Super-Reichen in den Metropolen Rom und Alexandria; die Heerscharen von Sklaven und Sklavinnen, deren Leben nichts galt, die sexuell missbraucht oder durch Arbeit zu Tode geschunden wurden. Ungerechtigkeit nennt Paulus das. Und er prangert es an. Wieder und wieder. Und er fordert die Christen auf da nicht mitzumachen. Und doch weiß er: keiner kann sich dem ganz entziehen. Die Welt und jede und jeder Einzelne ist in dieses Unrechtssystem verwickelt, schuldig oder schuldlos, Täter oder Opfer.

Und das können wir heute doch wirklich verstehen. Mein Kaffee wird produziert von Menschen, die nicht genug zum Leben haben, die Baumwolle für meine T-Shirts wird geerntet von Frauen, die an den Pestiziden erkranken, mein Kurztrip mit dem Billigflieger nach Wien bringt unser ökologisches Gleichgewicht aus dem Rahmen. Das wissen wir alles und wir können es nicht ändern.

Selbst wenn wir an einzelnen Punkten Zeichen setzen. Niemals wird das System heil. Die Verhältnisse stimmen nicht: die Verhältnisse von uns zur Natur, von uns zu den anderen, von uns zu Gott. Und weil das so ist, ist die Welt wie sie ist, sind wir, wie wir sind. Nichts zu machen jedenfalls nicht von uns aus. Das haben wir davon. Das nennt Paulus Sünde. Dass es einfach nicht stimmt in der Welt. Paulus meint nicht unsere kleinen Fehler, unsere sicher manchmal große Schuld, das ist Folge dieser Grundungerechtigkeit der Welt.

 

Eigentlich müsste uns das alles ja in ein großes andauerndes Entsetzen stürzen. In den Tod. Den leiblichen Tod und den Tod der Verzweiflung, der Einsamkeit, der Weltverfluchung und der Selbstverachtung.

Das hast du nun davon. Die Gabe des ewigen Lebens.

Denn das ist der alles entscheidende Einspruch. Die Gabe Gottes ist das ewige Leben.

Wir kommen aus der Falle nicht heraus. Müssen wir auch nicht. Können wir nicht. Wir werden rausgeholt. Wir werden belohnt. Wir bekommen etwas geschenkt. Wir müssen nicht den müden Tod der Verzweiflung sterben oder den langsamen Tod der Selbstverachtung. Wir müssen sterben. Denn alles was lebt stirbt. Aber wir werden sogar unseren Tod überleben.

Von Gott kommt etwas Neues. Es ist schon da. Es liegt in jedem von uns verborgen, es liegt in der ganzen Welt verborgen. Es ist nur noch nicht offensichtlich. Unter dem großen Geschrei, hinter der ganzen Ungerechtigkeit, hinter all den Schuldgeschichten wartet eine ganz andere Geschichte. Es ist Gottes Geschichte mit uns. Ihr habt die Rechnung ohne den Wirt gemacht, sagt Gott. Ihr bekommt alles geschenkt.

Ihr sollt und dürft euch freuen an eurem Leben, ihr dürft euer Leben genießen. Ihr dürft das Schöne sehen und atmen und lachen und lieben. Ihr dürft Kinder in diese Welt setzen, denn nicht der Tod ist das Letzte, sondern die Gnade.

Umsonst. Geschenkt. Gabe Gottes. Nicht die Ungerechtigkeit behält das Wort in meinem Leben und im Leben dieser Erde, sondern die Versöhnung. Dafür hat Gott gesorgt.

Tod und Leben sind keine gleichberechtigten Gegenspieler. Auch ist der Tod keine Strafaktion Gottes. Selbst er kann uns nicht aus der Hand Gottes reißen und deshalb hat er auch genau da seinen Platz in der Hand Gottes.

Gott ist Herr über Leben und Tod und darin ein Liebhaber des Lebens.

 

Das alles klingt, ich gebe es zu, reichlich paradox und es mutet uns einiges an Denkarbeit zu. Aber das Leben, die Praxis ist dafür ganz einfach. Es heißt ganz schlicht. Du brauchst Dich nicht zu fürchten, du musst nicht verzweifeln, du darfst leben. In der Taufe wurde uns das zum ersten Mal gesagt: In Gottes Namen: Du darfst leben.

Da, im Wasser und dem Kreuz auf meiner Stirn, liegt die Liebe Gottes zeichenhaft auf mir verborgen. Da hat Gott gesagt: Du gehörst mir gegen allen Anschein und die Welt gehört mir. Und obwohl diese Welt so ist wie sie ist, ist sie nicht einen Moment Gottverlassen, bist du keinen Moment Gottverlassen.

Martin Luther hat nicht umsonst gesagt, dass wir jeden Morgen neu aus der Taufe kriechen sollen. Wir vergessen nämlich sonst so leicht, dass wir getauft sind und mein Leben ein wunderbares Geschenk Gottes ist und wunderbar bleibt auch in alle Ewigkeit. Jeden Morgen neu aus der Taufe kriechen. Vielleicht würde Luther heute sagen: Jeden Morgen das Geschenk Gottes neu auspacken und dann leben.

Die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus unserem Herrn. Amen



Pfarrerin Gabriele Arnold
Evang. Kirchengemeinde Stuttgart Heslach
E-Mail: matthaeus@ev-kirchengemeinde-heslach.de

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