Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 13.07.2008

Predigt zu Römer 6:19-23, verfasst von Claudia Bruweleit

Anlass: Begrüßung der neuen Konfirmandinnen und Konfirmanden

 

Liebe Gemeinde, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden![1]

Manchmal klappt es nicht, wie es soll - in der Schule oder in einer partnerschaftlichen Beziehung. Wie es dazu kommt, ist bei jedem und jeder verschieden: die eine kapiert Mathe einfach nicht so gut. Obwohl sie geübt hat, ist sie nervös vor der Klassenarbeit -sie bekommt schon vor dem Austeilen der Aufgabenzettel feuchte Hände und ein komisches Gefühl in der Magengegend. Die Aufgaben liest sie hektisch durch, verrechnet sich an den einfachsten Stellen. Sie ahnt, als Ergebnis wird wieder eine Vier oder gar eine Fünf darunter stehen. Schwach. Sie fühlt sich schwach.

 

Der andere geht jede Woche mit seiner Frau zur Eheberatung, weil beide spüren, dass ihre Beziehung gefährdet ist. Sie reden. Wollen lernen, wieder freundlich miteinander umzugehen. Und doch - schon wenn sie gemeinsam in der Küche ein Essen vorbereiten, reicht ihm eine Bemerkung, die sie über die Größe der Tomatenscheiben macht, um ihn auf die Palme zu bringen. „Schon wieder kritisiert sie mich", denkt er, knallt das Messer auf den Tisch und stürmt aus der Küche. Stundenlang verschanzt er sich in seinem Zimmer am Computer, hat keine Lust mehr auf gemeinsame Unternehmungen. Er hatte doch den guten Willen. Und nun ist wieder eine Chance vertan. Er fühlt sich gefangen in alten Strukturen. „Hört das denn nie auf?" stöhnt er.

 

Zwei Situationen, die für viele andere stehen. Immer wieder versuchen wir einen Neuanfang. Und scheitern. Wir werden schwach. Fühlen uns bestimmt von etwas, das wir nicht benennen können. Benehmen uns anders, als wir wollen.[2]

 

Das geht nicht nur uns so. Auch die Menschen aus der Zeit der Bibel kannten so etwas. Paulus, einer der ganz frühen Gemeindepastoren, hat viel über dieses Problem nachgedacht. Er lebte etwa hundert Jahre nach Christus und seine Worte sind entsprechend alt und klingen zunächst fremd für Eure Ohren, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden. Doch im Grunde beschreibt er das, was Ihr auch kennt. Er schreibt:
Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden.

20 Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit.

21 Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod.

22 Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben.

23 Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.

 

Paulus schreibt an Menschen, die genau wie wir heute immer wieder an ihre Grenzen stoßen: an die „Schwachheit des Fleisches", wie er es nennt. Er vergleicht es mit einem Dienstverhältnis - wie ein Knecht seinem Herrn gehorcht, so gehorcht das Wesen der Menschen oft bedingungslos immer wieder den selben krank und schwach machenden Mächten: der Angst vor dem Versagen - zum Beispiel in Mathe. Sie macht nervös, so dass schon die einfachsten Rechenaufgaben undurchdringlich wirken. Der Furcht davor, nicht geliebt zu werden und sich klein zu fühlen - wütend die Aufgabe hinschmeißen und hinaus rennen, anstatt stehen zu bleiben und freundlich zu antworten: „Ich finde, so sind die Tomaten gerade richtig für unseren Salat, Schatz!"

Solange die Angst uns beherrscht, sind wir Knechte und gehorchen bedingungslos ihren zerstörerischen Strukturen. Was dabei herauskommt, ist nur immer mehr Zerstörung: Die Unsicherheit wächst mit jeder verhauenen Klassenarbeit. Die Wut reibt sich an jeder harmlosen Bemerkung und steigert sich ins Unermessliche.

 

„Was hattet ihr nun damals für Frucht?", fragt Paulus und antwortet sogleich: „Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod."

Da ist er wieder bei einem der großen Begriffe, von denen ihr in der Kirche noch häufiger hören werdet: Der Tod. Hier meint Tod: Das Ende von Beziehung. Beziehung unter den Menschen und Beziehung der Menschen zu Gott - wenn sie von Angst bestimmt ist, dann ist sie eigentlich schon tot.

Man kann auch sagen: „Nichts geht mehr." Wo die Angst regiert, ist irgendwann alles aus. Kein klarer Gedanke, keine Chance für wirkliche Beziehung.

 

Paulus nennt das „Nichts geht mehr" Sünde. Und er hat kein Patentrezept dagegen. Er schreibt an ganz normale Menschen in Rom. Er denkt zugleich über sich selbst nach. Und weiß: immer und immer wieder gibt es Situationen, in denen wir schwach werden. In denen wir der Angst in uns Raum geben und uns hinterher schämen über das, was herausgekommen ist. Doch er will den Menschen in Rom keine Alltagsweisheit über das Wesen der Menschen erzählen. Er will ihnen die Angst nehmen. Er will, dass sie erkennen, dass die Schwäche, die sie immer wieder erleben, nicht alles ist. Sie sagt nur einen Teil der Wahrheit über sie aus. Die andere Wahrheit ist dies: Sie sind getauft. Wie Jesus selbst gestorben ist und auferstanden ist und lebt, so sind sie durch die Taufe für die Sünde und ihre Macht gestorben. Den Spruch kennt ihr, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, sicher: der ist für mich gestorben - soll heißen: mit dem habe ich nichts mehr zu tun. So soll das auch für die Christen und die Sünde sein: mit ihr haben sie nichts mehr zu tun. Darum redet Paulus strikt in der Vergangenheitsform vom Leben unter der Sünde. Die Angst hat keine Chance, ihre Beziehung zu Gott kaputt zu machen. Gott sieht in ihnen Menschen, die wie Jesus Christus selbst auferstanden sind - zu einem neuen Leben. Einem Leben, das so ist, wie Gott es will: Die Gabe Gottes ist Leben, sagt Paulus. Darauf können sie sich verlassen. Und jeden Tag neu anfangen. Können probieren, mit diesem Selbstbewusstsein auch mit anderen Menschen besser klar zu kommen.

 

Denn die andere Seite unserer Wirklichkeit ist, dass Gott uns zutraut, gut zu sein. Und Gutes zu tun. Nicht unbedingt alle im selben Bereich, nicht alle in Mathe, aber auf jeden Fall alle in unseren Beziehungen. Da traut er uns zu, dass wir uns in einen anderen hinein versetzen. Dass wir ihm nicht von vornherein Böses zutrauen, sondern gut von einander denken. Und selbst zuvorkommend handeln. Respektvoll. In dem Bewusstsein, dass auch andere Angst kennen. Und dass wir die unsere überwinden können. Das können wir schaffen. Gott steht auf unserer Seite und ermutigt uns.

 

2007 wurde Deutschland gegen alle Erwartungen Weltmeister im Handball - als Außenseiter und obgleich die Deutsche Mannschaft ihr drittes WM-Spiel gegen Polen verloren hatte. Der Dokumentarfilm „Projekt Gold" gewährt Einblicke in die Gemütsverfassung der Mannschaft in jenen Tagen. Eine Szene zeigt, wie ein Motivationstrainer den Sportlern mit einem Experiment Mut macht, an ihre Fähigkeiten zu glauben: Einem Spieler wurden die Augen verbunden und er sollten mit ausgestrecktem Arm die Hand eines anderen wegdrücken. Die Mannschaftskameraden hatten die Aufgabe, ihn in Gedanken zu unterstützen und auf ein verabredetes Zeichen entweder fest daran zu glauben, dass er es schafft, oder ein anderes Mal ihn aufzugeben. Es gelang dem Spieler nur in den Spielphasen, den Arm wegzudrücken, in denen er die mentale Unterstützung seiner Mitspieler hatte.

 

Wie auch immer das Resultat dieses Experiments zustande kam - für mich ist es eine Schlüsselszene dieses Films. Sie demonstriert, wie wichtig es für jeden einzelnen ist, vermittelt zu bekommen: wir glauben an dich. Gemeinsam schaffen wir es. So ist ein Neuanfang möglich. Jeder Spieler musste für sich allein den Schritt machen, im Spiel das Lampenfieber, die Nervosität zu überwinden und darauf zu vertrauen, dass die Mannschaft zusammensteht und die Fans sie unterstützen. Und sein Bestes zu geben.

 

Gott traut uns zu, neu anzufangen. Das, was wir falsch gemacht haben, liegt hinter uns. Wenn ich es gestern zum hundertsten Mal nicht geschafft habe, so kann ich heute doch wieder neu versuchen, es richtig zu machen. Versuchen, mich zu ändern. Die Sünde, das „Nichts geht mehr", hat keine Macht über uns. In der Taufe sind wir ihr gestorben. Und haben ein neues Leben bekommen. Das allein ermöglicht uns, selbst schlimme Erfahrungen oder Schuld in unserem Leben zu ertragen. Sie gehören zu uns, aber sie haben keine Macht über uns. Ein für alle Mal gilt: nichts und niemand kann Gott davon abbringen, zu uns zu halten. Wie ein liebevoller Vater kommt er uns mit ausgebreiteten Armen entgegen. Wenn wir meinen, über uns selbst verzweifeln zu müssen, dürfen wir uns zu ihm flüchten. Er ermutigt uns, neu anzufangen. Unser Bestes zu geben.


Menschen, die Schlimmes erlebt haben, erzählen davon. Ein solcher Mensch ist George Togba. Er lebt im afrikanischen Staat Liberia. Dort hat er während des Bürgerkrieges auf Seiten der Rebellen gekämpft, um seine Familie zu schützen.

Heute schneidet er 3-8 cm hohe Kreuze aus Metallhülsen. In einem Traum kam ihm die Idee, aus leeren Patronen- und Granathülsen Symbole des Friedens zu machen. Er tut dies gemeinsam mit etwa dreißig Landsleuten, die als Kinder gezwungen wurden, Soldaten zu werden und zu töten. Mit Hilfe des Weltdienstes des Lutherischen Weltbundes werden diese Kreuze in Europa und

Amerika verkauft und helfen ihm und seinen Landsleuten zu einem bescheidenen Einkommen. George Togba ist heute Friedensaktivist und ernährt seine Familie auf gewaltlose Weise.[3]

Die Gabe Gottes ist Leben - wer darauf vertraut, dass Gott zu ihm steht, kann zu jeder Zeit neu anfangen.

 



[1] Im Gottesdienst am 13.7.2008 werden unsere neuen Konfirmandinnen und Konfirmanden begrüßt und der Gemeinde namentlich bekannt gemacht. Zudem werden einige Familien anwesend sein, die ihre Kinder im Anschluß an den Gottesdienst zur Konfirmation 2010 anmelden.

[2] Die Idee für den Aufbau der Predigt und wertvolle exegetische Erkenntnisse verdanke ich dem Beitrag von Notger Slenczka in GPM 91. Jg 2002/5, S. 336-345.

[3] Diese Informationen sind einem Beiblatt des Werbedienst-Vertriebes entnommen, über den unsere Gemeinde die sogenannten Liberia-Kreuze bezieht. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden erhalten je solch ein Kreuz und eine Blume als Begrüßungsgeschenk.



Pastorin Claudia Bruweleit
Ev. - Luth. Kirchengemeinde Heiligengeist in Kiel
E-Mail: bruweleit@heiligengeist-kiel.de

(zurück zum Seitenanfang)