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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 13.07.2008

Predigt zu Matthäus 7:22-29, verfasst von Erik Dybdal Møller

Nun haben wir wieder so einen Evangelientext, in dem Jesus spricht, so dass ich als Prediger überlege, ob ich vor euch, der zuhörenden Gemeinde, die Rolle des Lehrers spielen und mit klaren Worten und Anweisungen meine Predigt dazu benutzen soll, die rechte Lehre, die unaufgebbaren Lebensregeln des Felsgrundes und die gesamte christliche Dogmatik darzustellen. Oder ob es nicht besser wäre, wenn ich stattdessen von ganz woanders her beginnen würde, anstatt zu sagen: erstens, zweitens, drittens.

             Ich will woanders beginnen und dann später auf die Probleme eingehen, ob das dann mit Sand oder Felsen zu tun hat. Denn ich meine natürlich, dass das, was Jesus in dem Text sagt, ungeheuer wichtig ist.

             Ich möchte mit der Menschheit beginnen. Mit der Menschheit als solcher, in all ihrer Unterschiedlichkeit und doch auch in ihrer Gleichheit.

             Nun gehöre ich nicht zu jenen, die die Bibel so lesen, dass ich dann auch sagen würde, dass die Erde in sechs Tagen vor einer überschaubaren Anzahl von Jahren geschaffen wurde. Ich bin ganz zufrieden mit der naturwissenschaftlichen Art und Weise, diess auszudrücken, dass wir Millionen von Jahren zurückgehen müssen. Und deshalb meine ich auch, dass das Menschengeschlecht bedeutend älter ist, als dass man Ahnentafeln ableiten könnte, wie sie auch im Alten Testament stehen. Und dennoch bin ich ein christlicher Mensch.

             Forscher erzählen mir, dass das, was wir erst so etwas wie einen eigentlichen Menschen nennen können, also so einen Mann und eine Frau mit aufrechtem Gang, die ihren Kopf nur ein bisschen gebrauchen können, - dass das also vor ca. 75.000 Jahren anfing, von einem Ort in Afrika in die Welt hinauszugehen.

             Einige wanderten hinüber nach Asien, während andere sich nach Norden wandten, nach Europa, und wieder andere blieben zurück in der Savanne Afrikas, und sie entwickelten sich recht verschieden, besonders wenn man an Hautfarbe und dergleichen denkt. Aber sie verblieben doch alle Menschen.

             Viel später wanderten einige dann weiter, vielleicht mit dem Schiff, und sie kamen nach Amerika und Grönland und Australien. Und mit der Zeit konnte sich niemand mehr daran erinnern, dass sie alle von einem Ort in Afrika stammten, sondern sie glaubten, dass sie schon immer dort gewohnt hätten, wo sie jetzt wohnten. Und dieser Ort war für sie der Nabel der Welt.

             Was in Wirklichkeit höchst phantastisch an ihnen allen ist, ganz gleich, wo sie sich niedergelassen und welche Kultur sie nach und nach begründet haben, das war, dass sie im Gegensatz zu allen anderen Lebewesen denken konnten über die Dinge. Nicht immer gleich gut, aber immerhin. Sie konnten sich erinnern, und dann konnten sie, was sie in Erinnerung behielten, anderen weitererzählen, der Vater dem Sohn und die Mutter der Tochter. Ganz im Gegensatz zu Affen und Elefanten und Krokodilen, die in jeder Generation immer von vorn anfangen mussten. Denn der Mensch hatte ein Gehirn entwickelt, eine große Masse, vor allem hinter der Stirn, die es möglich machte, Wörter zu finden. Wörter für Baum und Gras und Stein und Essen und Leben und Tod und Liebe. Es war, wie wenn all der Staub, aus dem das ganze Universum besteht, auch der Mensch, sich plötzlich erhob und sich selbst betrachtete, sich umkehrte und sich zu wundern begann, als immer mehr Wörter hinzukamen. Und das kann nur der Mensch als das einzige Wesen auf Erden tun. Sich wundern. Und versuchen eine Antwort zu finden auf dieses Wundern.

             Etwas von dem, was mich dabei am meisten erstaunt, ist die Tatsache, dass sie, gleichgültig, wo diese Typen sich niederließen und zu Chinesen oder Indern oder Franzosen oder Indianern oder Arabern oder Dänen wurden, - dass sie alle gläubige Menschen waren. Es gibt keine Zivilisation oder Kultur, die gottlos wäre. Nicht vor neuerer Zeit. Was man selbstverständlich so ausgelegt hat, dass die Entwicklung der Menschheit nun eine so hohe Stufe erklommen hat, dass etwas so Primitives wie an einen Gott glauben eben nur Ausdruck von Primitivität ist. Nur Fehlen von Entwicklung. Auf der anderen Seite sollte sicheres Wissen, nachprüfbares Wissen, die einzige Art und Weise sein, die Wirklichkeit zu erfassen. In Wirklichkeit, sagt man dann, gebe es keinen Gott. So einer ist nur in einer Zeit erfunden worden, als man es nicht besser wusste. Und das mag natürlich auch klar und logisch klingen, wenn man die Prämissen akzeptiert. Von solchen Leuten gibt es und gab es sicher so manchen, sie nennen sich Atheisten. Aber wiederum regt es zum Nachdenken an, meine ich, dass es bisher nirgendwo auf der Welt eine Kultur gegeben hat, die atheistisch gewesen wäre. Es hat nur atheistische Gesellschaftssysteme gegeben, und da haben wir inzwischen gelernt, dass das nicht zu allzuviel Gutem geführt hat, obwohl man in einem solchen System überhaupt nicht daran zweifelte, dass man auf dem unerschütterlichen Felsgrund des wahren Wissens stand.

             In dreihundert Jahren, wenn die Globalisierung durchgeführt sein wird, weil die Kommunikation und die Reisemöglichkeiten es ermöglicht haben, und wenn alle diese Völker und Kulturen, die sich seinerzeit von Afrika aus verbreitet haben, dann wieder einigermaßen gleichartig aussehen und auch einigermaßen gleich denken, und wenn so einigermaßen derselbe Lebensstandard in der ganzen Welt herrschen wird, wird es zu dieser Zeit auch Glauben geben? Und welchen Glauben?

             Nun sage ich all dies nicht, um Euch mit meinem spärlichen Wissen über die Entwicklung des Menschen zu langweilen. In Wirklichkeit ist es vielmehr Ausdruck einer tiefen Sorge, die nichts damit zu tun hat, ob die Welt in sechs Tagen geschaffen worden oder Millionen von Jahren unterwegs gewesen ist. Das kann ja im Gunde auch gleichgültig sein. Was für mich dagegen nicht gleichgültig ist, ist die Frage, ob der Glaube verschwinden sollte, der in den letzen 75.000 Jahren die Menschheit ebenso so sehr geprägt hat wie das Bestreben, mehr und mehr zu wissen und zu verstehen. Denn mit dem Glauben würde auch die Liebe verschwinden. So wahrhaftig, wie die Liebe eine Glaubenssache ist.

             Für mich ist es selbstverständlich auch nicht gleichgültig, was man glauben wird auf dieser Erde in hundert oder zweihundert oder dreihundert Jahren, wenn die ganze Menschheit wieder vereint ist, so dass sie wieder, jedenfalls in ihrem Äußeren, ihrem afrikanischen Ursprung von vor Jahrtausenden ähnelt. Natürlich meine ich, es wäre am besten, wenn alle dann Christen wären, weil das doch das im höchsten Maße Wahre für mich ist. Aber man kann das ja nicht wissen.

             Was müssen wir bis dahin durchstehen? Bis die Kommunikations- und Reisemöglichkeiten es möglich machen, wieder eine Monokultur zu sein, grob gesagt, wie der Urstamm, von dem wir alle abstammen, eine einheitliche Kultur war. Und man mag den Stamm Adam und Eva oder etwas Afrikanisches nennen. Aber müssen denn in den nächsten Jahrhunderten von Seiten der verschiedenen Kulturen wahnsinnige Kämpfe ausgefochten werden, weil es darum gehen wird, wer und wessen Kultur und Religion am stärksten ist? Wird es in dreihundert Jahren Hinduismus geben, nicht nur in Indien, sondern in der ganzen Welt? Wird der Islam überall die herrschende Religion sein? Oder wird das Christentum in die abgelegensten Winkel gekommen sein, und wird Jesus der Erlöser aller sein? Oder hat sich der Materialismus so endgültig in den Menschen festgesetzt, dass es für alle völlig gleichgültig sein kann, was es mit Gott und Jesus auf sich hat? Oder gibt es etwas völlig Neues, an das diese weltweite gemeinsame Kultur anknüpen wird? Ich weiß es nicht.

             Nun könnte ich mir sehr wohl denken, ein Prophet zu sein, der zu sagen vermag, wie es gehen wird. Jetzt könnte es eine gute Sache sein, ein für allemal und ohne Umschweife mit der ganzen und vollen Wahrheit über die Zunkunft der Menschheit hervorzutreten, obendrein mit den Vermutungen ernsthafter Forscher. Und vielleicht ein bisschen mehr mit Demut, als christlicher Pfarrer, erzählen zu können, dass es in der Zukunft gar nicht so schlecht stehen wird mit unserer christlichen Art und Weise, zu glauben, denn sie ist ja die einzige und wahre Art. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis alle Menschen auf der ganzen Welt so denken und glauben. Aber so kann niemand reden. Wir können höchstens Hoffnung haben. Vielleicht daran glauben, wenn wir glauben können. Denn, ich meine, wir können es ja überhaupt nicht wissen. Wir wissen nichts.

             Ich bin wirklich ein schlechter Prophet. Um die Wahrheit zu sagen, so stehe ich ganz schlecht auf dem Felsgrund. Vor allem, wie sich zeigt, weil der Grund, auf den ich in Wirklichkeit baue, der reine Sand ist. Es bedarf nicht vieler Sorgen, so dass ich finde, sie gleichen gewaltigen Stürmen und Überschwemmungen, die das armselige kleine Haus meines Lebens erschüttern. Man betrachte nur meine Gedanken über die Zukunft! Wo ist denn die brennende christliche Gewissheit, dass das Christentum im Kampf der Kulturen ums Überleben der Globalisierung natürlich den Sieg erringen wird, so wie es doch wohl immer und vom Anfang aller Zeiten an der Sinn der Sache war? Wenn ich keine Gewissheit habe, dass das Christentum das einzig Richtige ist, warum stehe ich dann hier? Aber ich habe keine, überhaupt keine Gewissheit.

             Als Jesus mit seiner Rede fertig war, wunderten sich alle darüber, mit welcher Vollmacht er geredet hatte. Und nicht wie einer der Schriftgelehrten, wohlgemerkt. Mit einer solchen Vollmacht kann niemand, weder ein Pastor noch ein anderer reden. Denn niemand von uns ist der Herrgott. Wir können ausschließlich von unseren kleinen individuellen Sandbauprojekten aus reden. Wir können nicht das Geringste wissen über irgend etwas, das mit der fernen Zukunft oder mit Gott zu tun hätte. Wir können höchstens glauben. Aber so lass denn den Glauben das Adelszeichen des Menschen sein wie die Tatsache, dass wir hoffen können und uns wundern und lieben können.

             Lasst uns deshalb also glauben. Oder es versuchen. So gut wir es vermögen. Wir wissen doch, so sicher wie das Amen in der Kirche, dass es niemals gut genug sein wird. Wie wir ja auch, jedenfalls die meisten von uns, schlimme Propheten sind. Wir sind ohne wirklichen Einfluss.

             Wie gut ist es, sage ich jetzt, ein christlicher Mensch zu sein!

             Durchaus disqualifiziert auf der prophetischen Arena, und ganz allein und verlassen. Deshalb taufen wir die Kinder. Weil sie Menschen sind, und keine Götter. Weil sie von der Liebe unseres Herrn auch zu den Kleinsten hören sollen. Nicht von gewaltigen Taten für die besonders Gesegneten. Sondern von dem Segen, der im Wagnis des Glaubens daran liegt, dass jedes Menschenleben uendlich wertvoll ist, weil Gott uns liebt als die, die wir sind, und dies in Jesu Leben und Tod und Auferstehung gezeigt hat.

             Kein Wissen. Keine Gewissheit. Für uns. Denn, gibt es einen Felsgrund, dann ist er der Felsgrund unseres Herrn. Nur er kann so sicher bauen. Aber Trost und Hoffnung und Freude und Lebensmut können wohl auch auf den gesegneten, sandigen und sonnenbeschienenen Strand unseres kleinen Glaubens kommen.

Amen

 

 



Pastor Erik Dybdal Møller
Århus (Dänemark)
E-Mail: edm(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier




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