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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 17.08.2008

Predigt zu Matthäus 20:20-28, verfasst von Hanne Drejer

Es ist wahrlich eine ehrgeizige Mutter, von der wir hier hören.

             Die Mutter der Zebedäussöhne hat ja doch den Ehrgeiz, nicht weniger zu erreichen, als dass ihre Söhne die Ehrenplätze an der Seite Jesu im Himmel bekommen.

             Nun ist Ehrgeiz nicht zu verachten, wenn er begründet ist. Denn man ärgert sich doch, wenn man gute Talente bei einem Menschen aus missverstandener Bescheidenheit oder aus fehlendem Ehrgeiz verkümmern sieht. - Aber auf der anderen Seite hat es eine Spur von Lächerlichkeit, wenn Menschen ehrgeizig sind, ohne einen angemessenen Grund dazu zu haben.

             Ehrgeiz und innerer Antrieb, der Wille, Macht und Einfluss zu gewinnen und sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, haben offensichtlich schon immer das Menschsein geprägt.

             Nun waren da zwei Jünger Jesu. Sie hießen Jakob und Johannes, wurden aber nach ihrem Vater die Zebedäussöhne genannt.

             Und man versteht doch eigentlich die Reaktion ihrer Mutter ganz gut. Als vernünftige Mutter hat sie einfach das Gefühl, dass die beiden jungen Menschen fast drei Jahre damit vergeudet haben, hinter dem armen Straßenprediger Jesus von Nazareth herzulaufen. Sie erinnert sich deutlich daran, wie Jesus in ihre Gegend kam und predigte und Menschen an sich zog. Keine zehn Pferde hätten damals ihre beiden Söhne Jakob und Johannes aufhalten können, und sie gingen einfach fort - ließen alles hinter sich und folgten Jesus. Die Mutter hatte gehofft, dass sie bald zur Vernunft kommen und wieder nach Hause kommen würden, aber inzwischen waren jetzt fast drei Jahre vergangen.

             Und so fühlte die Mutter nicht nur, dass ihre beiden Söhne alle ihre guten Pläne und Aussichten für die Zukunft aufgegeben hätten - sondern, was noch schlimmer war, sie fürchtete, dass sie selbst und der Vater ihrer Kinder drauf und dran waren, auf das geborgene Alter, auf das sie sich gefreut hatten, verzichten zu müssen; hatten sie doch damit gerechnet, von den beiden tüchtigen Söhnen versorgt zu werden, von denen alle Leute sagten: die beiden werden es noch zu etwas bringen! Aber ebenso wie die Jünger Jesu befürchtete sie, dass es wohl nicht recht dazu kommen würde.

             Diese Mutter war also um ihrer Söhne willen besorgt und wütend auf Jesus wegen der Macht, die er über sie besaß. Jetzt war sie ihnen also nachgereist und hatte Jesus und seine Jünger auch gefunden. Und während sie der Schar um Jesus auf deren Wanderung folgte, wurde ihr klar, dass er nun auf dem Wege nach Jerusalem, der heiligen Stadt, war.

             "Herrlich," dachte sie zuerst! Denn wenn es etwas auf sich hatte mit ihm, wenn er tatsächlich der Prophet war, von dem alle redeten, der Messias, den alle erwarteten, dann würde es ja eben auch in Jerusalem geschehen, dass er Ernst machen würde mit all dem, was er über das Kommen des Reiches Gottes gesagt hatte - dachte sie.

 

Und was war dann heute geschehen? Jesus hatte seine Schar um sich versammelt und gesagt: Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem, und dort werde ich zum Tode verurteilt, gegeißelt und gekreuzigt werden, aber am dritten Tag wieder auferstehen! Das hatte Jesus soeben gesagt. Die letzten Worte über die Auferstehung verstand sie überhaupt nicht - aber das Erste, was er gesagt hatte, war ja auch deutlich genug, nur allzu deutlich.

             So würde es also mit ihm enden - mit Tod und Niederlage! Und nicht damit, dass Jesus die Macht ergreifen, König werden und das Reich Gottes auf Erden errichten würde. War das alles mehr als nur Worte und Gerede? - Nein, hier hatte sie nun den Beweis, wie gründlich ihr Jakob und ihr Johannes an der Nase herumgeführt worden waren - wie gründlich sie drei gute Jahre ihrer Jugend an einen solchen Scharlatan vergeudet hatten, der nicht imstande war, seinen feinen Worten Taten folgen zu lassen.

             Aber dann kam sie auf den Gedanken, dass es ja noch eine Möglichkeit der Rehabilitierung für ihre Söhne gabe. Denn wenn sie schon aus ihrem Einsatz hier auf Erden keinen Gewinn ziehen würden - gab es da nicht noch die künftige Welt? Denn wenn das Leben nach dem Tode dem gleicht, was wir hier auf Erden kennen, dann muss es doch auch dort so etwas wie Ehrenplätze geben - dachte sie bei sich.

 

Und an dieser Stelle in der Erzählung hören wir diese Mutter nun die Frage an Jesus richten, ob ihre Söhne nicht die feinen Plätze an der Seite Jesu in dessen Reich bekommen könnten.

             Aber Jesus antwortet: Ihr ahnt nicht, worum ihr bittet! Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? - Also: könnt ihr das durchmachen, was ich durchmachen werde? - und dabei denkt er doch an die Demütigungen und Leiden, die ihm in Jerusalem bevorstehen. Ja, antworten sie freimütig.

             Ja, aber auch wenn ihr das könnt, so gibt es nur einen, der bestimmt, wer im Himmel Ehrengast sein wird, und das ist Gott, antwortet Jesus, und weist sie so zurecht.

             Später sind die zehn übrigen Jünger wütend auf Jakob und Johannes mit ihrem Ehrgeiz und ihren spitzen Ellenbogen, und Jesus versammelt sie um sich und sagt: "Fürsten und Machthaber haben Macht, aber sie mißbrauchen ihre Macht. So soll es unter euch nicht sein, sondern wer unter euch groß sein will, soll euer Diener sein, und wer unter euch der Erste sein will, soll euer Knecht und Sklave sein. Ganz wie ich, der gekommen ist, zu dienen und mein Leben zu geben zur Erlösung für viele."

             Die Pointe ist unmissverständlich: Groß ist nicht der, der den besten Platz innehat, oder der, der aus Eifersucht nach diesem Platz strebt - nein, groß ist der, der dient. Das ist die einzige Würde, von der Jesus wissen will.

             Und damit haben die Jünger und ihrer Familien ja wohl eine Antwort bekommen, aber es ist nicht so sicher, ob sie mit der Antwort auch besonders zufrieden waren.

             Und selbst zur Seite zu treten, um anderen und der Gemeinschaft zu dienen, das sind auch heute just nicht Gedanken, die sich besonderer Wertschätzung erfreuen.

 

Ein Volkshochschullehrer hat neulich in einem Interview gesagt: Eines der größten Probleme von heute bestehe darin, dass sich alles in die Richtung des Individuellen und der Möglichkeiten des Einzelnen für Selbstentwicklung bewege, während die soziale, gesellschaftsmäßige und moralische Dimension fehle. Und genau hier liege ja auch aller Ärger und alle Schwierigkeiten. Deshalb sei es für die Volksochschulen in Dänemark immer leichter, modegerechte Angebote zu machen, die auf die Bedürfnisse des einzelnen Schülers Rücksicht nähmen - eben auf das Individuum, während man die Gemeinschaft vernächlässige.

             Aber die Volkshochschulen in DK versäumten ihre wichtigste Aufgabe, die darin bestehe, dass man den Zusammenhang zwischen volklicher Aufklärung und demokratischer Herrschaftsform, zwischen dem Individuellen und dem Gemeinsamen verteidigen und beschreiben könne - denn dieses Verhältnis sei für die Entwicklung der Gesellschaft das Entscheidende.

             Es geht hier um das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft. Denn was ist am wichtigsten: dass ich mich selbst entwickle und in der Welt vorankomme oder dass ich der Gemeinschaft diene und deshalb um der Gemeinschaft willen zur Seite treten muss?

             Nun wollen wir hier nicht den Unterricht an dänischen Volkshochschulen erörtern. Die Tendenz aber, die Auffassung vom Sinn unseres Lebens, um sie geht es heute, sie ist in in diesen Jahren. Deshalb diese Worte eines Mannes der Volkshochschule, weil er eine Tendenz zum Thema macht - die übrigens nicht neu ist, denn die Mutter der Zebedäussöhne zeigt ja, dass wir Menschen offenbar immer uns selbst obenan gestellt haben, wenn wir die Möglichkeit dazu hatten.

 

Aber sie und ihre Söhne wurden zurechtgewiesen. Wie die zehn übrigen Jünger von Jesus auch zurechtgewiesen wurden, als sie sogleich die Zebedäussöhne mit ihrem Prinzip überfielen, keiner dürfe den anderen überragen, keiner solle glauben, er sei mehr als die Anderen.

             Auch sie wurden durch die Worte Jesu zurechtgewiesen. Es geht nicht darum, selbst nach oben zu kommen und Macht zu erwerben, sondern einander zu dienen.

             Aber das ist bestimmt auch heute kein Gedanke, der populär wäre.

             Es klingt ja auch nicht besonders lustig, dass man etwas für die Anderen sein soll und selbst nicht zu etwas Besonderem werden soll.

             Deshalb stehen Selbstentfaltung und Individualismus denn auch hoch im Kurs - allerorten - bei der Kindererziehung, im Schulgesetz, in der Bildungs- und Ausbildungspolitik und, wenn man seine Bewerbung für eine Stellung schreiben soll.

             Man wird geradezu aufgefordert, sich selbst, sein Äußeres und sein Inneres, seine Karriere, seine Familie in den Mittelpunkt zustellen.

             Während die Rücksicht auf die Gemeinschaft, der man angehört - sei es der Kindergarten der Kinder, ihre Schule, der eigene Arbeitsplatz oder die ganze Gesellschaft - darunter leidet, weil wir jeweils selbst die Hauptperson sein wollen.

             Aber wenn wir nur mit uns selbst und unserer eigenen Entwicklung beschäftigt sind, geschieht etwas mit uns - uns fehlt dann etwas und wir vermissen etwas. Wir sind fundamental einsam - ganz und gar einsam. Denn dann sind wir total allein als das frei schwebende Individuum, das wir sind, und wir müssen selbst Sinn und Ziel des Lebens finden - und haben im Übrigen völlig freie Wahl unter allem Möglichen auf der Welt - und was soll man dann wählen, wenn alles gleich gut ist?

             Man kann sich so lange nur mit sich selbst beschäftigen, dass man völlig allein in der Welt ist. Denn dann endet man dort, wo man tatsächlich Herr seines eigenen Lebens - und sein eigener Gott - ist. Und dann leidet ja letzten Endes nicht nur die Gemeinschaft, sondern ebenso sehr man selbst.

             Was können wir dagegen tun?

             Sollen wir der egoistischen Welt den Rücken kehren - all unsere irdische Habe verkaufen und das Geld den Armen geben, und dann selbst ins Kloster gehen?

             Ja, das hat man ja ehedem versucht. Das einfache Leben zu führen, ohne irgendwelche Bindungen, befreit von allen materialistischen Bedürfnissen.

             Aber heute sind nur die Wenigsten von uns dazu im Stande. Und es wäre wohl auch nur eine besonders raffinierte Art, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Denn es bedeutet auf jeden Fall, dass man der Gemeinschaft - dem beschwerlichen egoistischen gemeinsamen Menschenleben - den Rücken kehrt. Wie schon Luther die Entdeckung machte, dass das Klosterleben eigentlich eine raffinierte Form der Selbstbezogenheit ist. Und dann wären wir genauso weit wie vorher.

             Aber es gibt noch einen anderen Weg, nämlich den Weg, dass man am wirklichen Leben teilnimmt. Als ein notwendiger Teil der Gemeinschaft - so wie alle anderen auch in der Gemeinschaft notwendig sind. Denn vor dem Herrn des Lebens sind wir Diener und niemals Herren - wohlgemerkt, niemand von uns. Und deshalb können wir auch den Weg nicht bereiten oder planen - denn es ist der Weg des Dieners, den wir zu gehen haben.

             So wie der Weg Jesu ein Weg des Dieners war. Er ging, - nicht um den Ehrenplatz zu bekommen - sondern er ging aus Liebe - er ging zum Sterbebett eines kleinen Mädchens, - wie er bei Blinden und Tauben stehen blieb, wie er in die Häuser von Pharisäern und Zöllnern ging. Und der Weg Jesu endete dort, wo auch unser Weg endet - im Tode.

             Aber nach dem Tod Jesu war keines Menschen Tod mehr derselbe wie zuvor, denn er gab sein Leben als Lösegeld für viele.

             So wurde Gott Mensch, um uns zu helfen, Mensch zu sein - Christus wurde in die Welt gesandt, damit er die, die an ihn glauben wollen, befähigte, das zu tun, was getan werden muss, und das zu ertragen und zu erleiden, was erlitten werden muss.

             So einfach - und so anti-heldenartig ist das Leben, das er uns zu leben gibt. Christus nahm sich unserer Erlösung an, damit wir uns einander annehmen können. Ohne uns um die Ewigkeit und um unser eigenes Heil oder das Heil anderer zu sorgen, können wir hier, wo wir sind, unser Werk beginnen. Als die Diener, die wir sein sollen.

Amen

 



Pastorin Hanne Drejer
Asperup (Dänemark)
E-Mail: hdr(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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