Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 06.04.2007

Predigt zu Matthäus 27:33-54, verfasst von Leo Karrer

Karfreitag und Ostern: Vom Kreuz zum Gekreuzigten
Grösste Gottesferne: grösste Gottesnähe?

„Um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

(Mt 27,46)

 „... Wahrhaftig, er war Gottes Sohn."

(Mt 27,54)

 

 

I. Karfreitag: Ende unserer Hoffnung?

  

1. Im Zentrum des Karfreitagsgeschehens steht Jesus - als Leidender: hingerichtet am Kreuz. ER, der den Menschen mit seinem Wirken in Wort und Tat zur Offenbarung wurde, was es mit dem Menschen von Gott her auf sich hat, er hat endgültig verloren. Er ist elendiglich zu Grunde gerichtet worden und hat auf der ganzen Linie ausgespielt. Am Tod lässt sich nicht rütteln. Die Gegner Jesu hatten ihre religiöse Gesetze, wonach Menschen sterben mussten. Man macht die schreckliche Entdeckung, dass Jesus und letztlich auch Gott mit religiösen Argumenten bekämpft werden können.

Am grässlichen Geschehen auf dem Kalvarienberg und am Zusammenbruch so vieler Hoffnungen durch den Kreuzestod Jesu lässt sich nicht rütteln oder deuteln.

 

2. Waren damit Jesu Worte, sein Leben und seine Botschaft von einem Gott der Liebe vergeblich? Waren seine Hoffnungen und seine Visionen vom Reich Gottes in Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit zu Hirngespinsten eines frommen, aber gescheiterten Visionärs geronnen? Oder war er in seiner prophetischen Direktheit nicht doch zu arglos? Heiland zu sein, ist lebensgefährlich.

Die Verhältnisse damals und heute sind eben nicht so, dass lautere, ehrliche und wohlwollende (heilende) Menschen zu den Siegern gehören. - Waren damit die Wunder Jesu Täuschungen? Seine Rede vom guten und barmherzigen Gott Utopien ohne jeglichen Realitätsgehalt? Hatte Jesus umsonst gelebt? Ist er letztlich umsonst gestorben? Durchkreuzte das Kreuz Jesu nicht den tiefen Sinn seiner Botschaft? Erledigte das Kreuz nicht doch endgültig Gott, auf den er sein ganzes Vertrauen, seine Hoffnung gesetzt hat? Gott meldete sich nicht, löste die Warumfragen nicht.

 

3. Haben damit nicht jene Realisten recht, die unsern Glauben an Jesus Christus und unsere Hoffnungen als - wenn auch - rührende Wunschträume unserer trost­suchenden Herzen glauben entlarven zu dürfen?

In der Tat, wir haben oft allzu voreilig vom Sinn des Leidens und vom verdienstvollen Kreuztragen gesprochen und gepredigt oder es als von Gott verfügte Strafe für Sünden erklärt. Wir haben es oft verstanden als Ruf zur Umkehr, denn: „Wen Gott liebt, den züchtigt er" (Off. 3,19). Manche Leute ärgern sich, wenn uns das Wort vom „Kreuz-Tragen" allzu salopp und unsensibel über die Lippen kommt.

Leiden und Kreuz wurden als Zuchtrute Gottes und als Läuterung oder als Prüfung und Zeichen besonderer Gottesnähe hingestellt. - Leidvolle Erfahrungen und menschliche Schicksalsschläge können natürlich besinnliches Nachdenken und Reifungsprozesse auslösen. Das ist nicht zu unterschlagen. Aber im Leiden selbst gleichsam den Willen Gottes sehen zu wollen, das verstehe, wer kann. Ist das Leiden durch manche Vorstellungen von Kreuzesnachfolge oder von Sühnegeschehen nicht geradezu verherrlicht worden? Viele Menschen sind skeptisch geworden gegenüber einer religiösen Sprache, die für die unmittelbaren Leiden und Lasten der Menschen unempfindlich geworden ist. Was sollen die traditionellen Formeln wie z.B. „Der Herr hat uns erlöst durch sein kostbares Blut"?

Und sind damit nicht auch das Karfreitagsgeschehen und das Kreuz verniedlicht und entschärft worden? Haben wir dadurch nicht das schreckliche Sterben Jesu gleichsam in den Griff bekommen wollen und es in sich als sinnvoll erklärt.

Vom Tod allein und vom Kreuz am Karfreitag allein - vom Leid nur für sich gesehen - ist kein Zugang zu gewinnen. Auch das Leiden der Menschen zeigt keinen Sinn aus sich; es ist nicht als von Gott verfügt oder als gottgewollt zu verkünden. Gott ist kein Schinder. Vielleicht ist Leiden der Preis der Freiheit zur Liebe. Aber damit ist Leiden nicht als gottgewollt erklärt.

Warum wagen wir dennoch, am Karfreitag das Kreuz zu verehren? Kreuz-Verehrung gehört in manchen Kirchen zu einer ehrwürdigen Tradition der Karfreitagsliturgie. Ist es aber nicht geradezu „verrückt", das Sterben und das Zerstörtwerden und eine solch niederträchtige Erniedrigung eines Menschen feiern zu wollen? Nehmen wir das Kreuz wirklich ernst?

4. Brauchen wir einen Karfreitag, um daran erinnert zu werden, dass unschuldiges Blut vergossen worden ist, dass ein grossartiger Prophet scheusslich zu Tode gequält worden ist und die Liebe verraten wurde? Ist nicht schon genug Elend herum? Der Karfreitag dauert für viele Menschen an: jene, die von Menschen körperlich und seelisch geschunden sind, von Erdbeben verschüttet, von Terroristen ins Meer versenkt, von Kriegen zerfetzt, in geheimen Folterkammern grauenvoll verstümmelt und gedemütigt, durch Armut um Nahrung und Lebenskraft gebracht, aber auch jene, die in den Anstalten dahindämmern, von Krebs zerfressen und von Schmerzen zernagt sind und ihre Qualen nicht begreifen.

Nicht weniger leiden Menschen in unserem Alltag: die in zermürbender Ehe leben, in Erbschaftssachen lebenslänglich zerstritten sind, die keine Arbeit finden und sich am liebsten verstecken möchten, die andere fertigmachen oder fertiggemacht werden, die an der Langeweile des Lebens und an der Einsamkeit verzweifeln, die Demütigungen verschämt in sich hineinfressen, die an Depressionen leiden und an eigener Schuld zu zerbrechen oder darin hart zu werden drohen.

 

II. Kreuz-Verhüllung

Tun wir uns heute nicht allzu leicht mit dem Kreuz? Verhüllen die vielen Kreuze nicht doch das Kreuz Jesu?

Haben wir uns - so ist zu fragen - nicht ans Kreuz gewöhnt? Es ist zum Zeichen und vielfachen Symbol unseres Glaubens geworden, in Kunst und Kitsch unzählige Male angefertigt und gezeichnet. Wir begegnen dem Kreuz auf Schritt und Tritt in unseren Kirchen, in den Dörfern, an den Strassen, den Feldwegen sowie in den Bergen. Das Kreuz finden wir in unseren Stuben und Wohnungen, als Schmuck... und in der Schweiz auf der Fahne. - Wir sind mit ihm sozusagen häuslich vertraut geworden; wir haben es „domestiziert". Es fällt schon gar nicht auf. - Verhüllen diese Kreuze, die so heimisch geworden sind, den Blick auf das Kreuz Jesu? Müssen sie nicht enthüllt werden?

Aber - wie schon angedeutet - auch die vielen erlittenen und sich selbst aufgebürdeten Kreuze im persönlichen Alltag als auch in der weiten Welt, das selbst verschuldete und das uns zugefügte Leid können verhärmen und vom gekreuzigten Jesus wegführen, ablenken. Ist es da nicht allzu verständlich, wenn bekümmerte Zeitgenossen den Kopf schütteln, wenn Christen und Christinnen in diesen Tagen bekennen: „Im Kreuz ist Heil".

  

III. Das Kreuz auf den Gekreuzigten hin enthüllen

Karfreitag und die Kreuze im Leben der Menschen sind Tatsachen. Sie erinnern an den Skandal der Menschheitsgeschichte, was Menschen Menschen antun können.

 

1. Aber inmitten des Karfreitagsgeschehens wird uns - wenn wir den Aussagen des Neuen Testaments in ihrer Gesamtheit folgen - bedeutet, nicht beim Kreuz selber stehen zu bleiben. Am Karfreitag ist letztlich nicht das Kreuz im Zentrum der Liturgie. Viel mehr gedenken wir eines sterbenden Menschen, des Menschen Jesus von Nazaret. Es gilt somit, vom Kreuz zum Gekreuzigten, zu Jesus aufzubrechen. Es kommt darauf an, nicht den Blick auf das Kreuz und das Kreuzesgeschehen zu fixieren, sondern zu dem zu wenden, der das Kreuz erleidet und den Karfreitag erdulden musste. Damit wird nicht Halt und Sinn beim Kreuz und im Leiden selber gesucht, sondern das Vertrauen wird auf den gewaltlosen Jesus gesetzt, dessen Leben gewaltsam zerstört wird.

 

2. Dies scheint - mit den Augen des Glaubens betrachtet - die eigentliche und einzig erlaubte Kreuz-Enthüllung unseres Lebens zu sein. Es käme darauf an, sich nicht in das Leid zu verlieren oder auf das Kreuz zu starren, sondern all diese Erfahrungen auf den Gekreuzigten hin zu enthüllen. Damit wird das Schmerzliche und Leidvolle nicht weggewischt; es wird nicht billig und trivial getröstet. Sondern vielmehr: selbst schmerzvolle Erfahrungen werden aus dem Lebensstrom der Hoffnung, den Jesus uns eröffnet hat, nicht herausgenommen. - Erst dann - aber nur dann - ist Kreuzverehrung sinn-voll, wenn nicht das Kreuz, sondern der Gekreuzigte verehrt wird. Nur auf den gekreuzigten Jesus hin enthüllte Kreuze können heilende Wege markieren. Nicht das Kreuz und Leiden geben aus sich heraus Sinn. Befreiend und heilend sind vielmehr Umkehr zu Jesus und Hinkehr zu seiner Botschaft, die heilen, befreien und aufrichten will.

 

3. Schon an den Menschen unter dem Kreuz wird ersichtlich, wie unterschiedlich sich Menschen verhalten - je nach dem, ob sie beim trostlosen Ärgernis des Kreuzes stehen bleiben oder ob sie ihren hoffenden Blick auf Jesus richten. - Die beiden Schächer zeigen die ganze Spannbreite, wie Menschen auf das Karfreitagsgeschehen reagieren (ähnlich wie beim Verrat von Petrus und Judas).

- Einer der Schächer reiht sich in die Reihe der Spötter ein. Er sieht nur das totale Ende. Er wird zynisch gegenüber Jesus: „Wenn du der bist, den du vorgibst zu sein, dann zeig doch, was du kannst und lass uns vom Kreuz heruntersteigen..." Er verhöhnt Jesus. Er sieht nur die aussichtslose Tatsache des Verbrechertodes am Kreuz. - Damit bleibt der Schächer zu seiner Linken beim Ärgernis des Kreuzes stehen; der Zugang zum Gekreuzigten ist verhindert. Das Kreuz wird gegen Jesus ausgespielt, statt den Gekreuzigten gegen sein Kreuz ins Spiel zu bringen, statt die Realität des Kreuzes am gekreuzigten Jesus zu messen.

- Der andere Schächer erleidet auch Todesangst und Sterben. Er bleibt aber nicht beim Fluch des Kreuzes stehen oder bei seiner Schuld. Vielmehr bricht er zu Jesus, dem Mitgekreuzigten, auf: „Mir geschieht recht; dieser hat aber nichts Unrechtes getan." Er hat somit sein Leiden und Kreuz nicht gegen Jesus ausgespielt. Zwar konnte er damit sein Leid und die harten Realitäten nicht abschütteln. Aber er fand den Weg von seinem Kreuz zum gekreuzigten Jesus. So gewann er trotz Sterben alles: „Heute noch wirst du mit mir sein... im Paradies."

Mit Jesus sein und das Vertrauen - trotz Karfreitag und Kreuz- auf Jesus setzen, das ist es, worauf es ankommt.

 

IV. Durchkreuzte das Kreuz nicht auch das Vertrauen Jesu auf Gott?

1. Können wir nicht weiterfragen, ob das Kreuz nicht auch für Jesus hätte eine Versuchung zur abgrundtiefen Verzweiflung sein können. Karfreitag bedeutete doch für ihn Sterbenselend und Todesangst. Ihm ist nichts an beschämender Entblössung und Erniedrigung, an Niederlagen und totalem Scheitern geschenkt worden... bis hin zur verachtetsten Todesart.

Das hiess doch auch für den Menschen Jesus letzte Einsamkeit in Ohnmacht und Hilflosigkeit sowie Verlassenheit bei der Absetzbewegung seiner früheren Gefolgschaft - mit Ausnahme einiger tapferer Frauen. Dazu kam das zerstörerische und demoralisierende Gefühl der Gottverlassenheit. Alle seine Wunder und seine Heilungen, seine Botschaft und sein Eintreten bei den Menschen für Gott, den er seinen Vater nannte, schienen doch in einem tragischen Umsonst und in einem zynischen „Was soll's" zu enden. Seine Predigt vom Reiche Gottes und sein Ruf, die Herzen in seiner Nachfolge zu erneuern, schienen jeden Sinnes beraubt. Seine Worte und Zeichen, die Menschen ermutigten und heilten, verloren ihre Bestätigung. Durchkreuzte somit sein Kreuz nicht auch seine Botschaft von einem Gott, der den Menschen in Liebe nahe sein will? Hat sich Jesus selbst verrechnet und getäuscht - mit seinem Gott? Hätten nicht auch Atheismus und Abfall von Gott die Anfechtung des Menschen Jesu sein können?

Könnte es nicht auch die Versuchung Jesu gewesen sein, bei seinem Kreuz und Leiden stehen zu bleiben, verbittert zu verhärmen, an den harten Realitäten zu zerbrechen, ob der Erfolglosigkeit zu kapitulieren. Hätte es nicht eine Versuchung Jesu sein können, sich selbst wegzuwerfen und der verlorenen Treue Gottes, auf den er alles gesetzt, nachzutrauern, in unermesslicher Enttäuschung den Glauben an Gott zu verlieren... und fluchend zu verzweifeln? - Hätte nicht auch Jesus die grauenvollen Fakten seines Sterbens gegen die Vision vom Reiche Gottes in Frieden, Gerechtigkeit und Liebe und gegen seinen Gott ausspielen können ? Hätte nicht auch Jesus rechten können, wenn du, mein Vater, mir jetzt nicht helfend und befreiend entgegenkommst und dich mir zeigst, dann habe ich mich in dir getäuscht. Hätte er nicht auch an seiner Sendung und an seiner Liebe zu Gott irre werden können?

Die Warum-Fragen retteten Jesus nicht, befreiten ihn nicht aus seiner grauenhaften Situation. Verstehen und Erklären machen an der Todesgrenze unerbittlich Halt. Die Warum-Fragen helfen nicht mehr weiter. Es gab nur den Weg der Hingabe, der Liebe. Leben ist ohne Zweifel Kunst des Handelns, Aktion, Werden und Reifen, aber letztlich auch Annehmen des Unabänderlichen, Selbst-Entäusserung und Selbst-Hingabe, das Erleiden des Lebens, wo wir nichts mehr zu ändern oder zu retten vermögen. Die Frage lautet: Hingabe? An wen? Gibt es in der Finsternis solcher Nächte einen Lichtstrahl, so etwas wie einen Hoffnungsschimmer?

 

2. Jesus spielte seine Verlorenheit und sein radikales Scheitern vor den Menschen, sein Kreuz und Zerbrochenwerden am Karfreitag nicht gegen Gott aus. Er ging seinen Weg - durch das Kreuz, durch das Leiden und Sterben hindurch. So ist sein im Evangelium berichteter letzter Schmerzensschrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen..." kein Ausruf einer Verzweiflung, die die eigene Treue und Liebe aufkündigt. Es ist viel mehr ein Schmerzens-Ruf an Gott, der gerade nicht abgelehnt oder als fraglich angerufen wird, sondern an den man sich - wenn auch in sterbens­elender Not im katastrophalen Zusammenbruch - wendet und dem man alles überlässt, weil man endgültig nicht mehr für sich selbst etwas ausrichten und für sich selbst eintreten kann.

Die Kreuzeserfahrung wurde Jesus nicht geschenkt. Die abgrundtiefen Demütigungen wurden nicht gemildert. Daran lässt der Karfreitag keinen Zweifel. Aber Jesus lieferte sich trotz Kreuz dem aus, auf den hin er gelebt und den er geliebt und auf den er in einsamen Gebetsnächten alles gesetzt hat. Er stellt am Kreuz keine Bedingungen an Gott, sondern überantwortete sich dem, der sich nicht meldete: „In deine Hände empfehle ich meinen Geist." Jesus lässt nicht seine trostlose Situation das letzte Wort sein, sondern seine Treue zum Vater im Dunkel: Warum hast du mich verlassen? Jesus hat seine Warum-Fragen und Klagen auch mit ins Grab genommen, aber in der Haltung der Hingabe.

Sind damit Kreuz und Leid für sinnvoll erklärt? Jesus hat sie nicht gesucht. Aber er hat sein Kreuz und seine Sterbenserfahrung gleichsam auf Gott hin enthüllt, ihm alles überlassen. Dadurch hat er Gott gegen die Tagesordnung des Leidens ausgespielt (und nicht das Leiden gegen Gott), gegen die Allmacht des Todes. In Jesus siegt nicht das Kreuz über Gott. Es ist durch-brochen, in seiner Tödlichkeit durchkreuzt. M.a.W., Leid und Tod sind wohl für uns Menschen das letzte Wort, aber vom Gott Jesu her nicht das allerletzte Wort. - Es wird Ostern.

 

V. Bekennendes Zeugnis: Jesus lebt

Den Weg Jesu können wir bis in diese letzte Todesnot und Entäusserung verfolgen. Dann zerreisst der Vorhang unserer Vorstellungswelt. Auch unsere Worte zerbrechen, unsere Vorstellungskraft zerreisst.

Nun beginnt bekennendes Reden. - Im Zeugnis für den auferstandenen d.h. aus dem Tod auferweckten Jesus fand die Erfahrung der Frauen und Jünger ihren Ausdruck, dass Jesus lebt. Und der römische Hauptmann bekennt schon unter dem Kreuz: „Wahrlich, dieser Mensch war Gottes Sohn".

Das will heissen: Gott blieb Jesus treu und beliess ihn nicht unter dem Gesetz des Todes. Er nahm ihn auf in den Kreislauf seines Lebens, in seine Gemeinschaft. Das ist das Erregende des Ostermorgens: „Jesus lebt. Habt nun keine Angst." Seine Botschaft, sein Leben und Wirken sind nicht vergeblich und sinnlos, sondern von Gott her beglaubigt. Der Prozess Jesu wird nochmals aufgerollt, beginnt total von vorne - aber jetzt mit den Vorzeichen, die von Gott her gesetzt sind. Die Gegner Jesu hatten ihre Rechnung ohne Gott gemacht.

Für den Karfreitag der Menschheit und für das Leben des einzelnen gilt: Kreuz, Leid und Leiden, Schuld und Böses sind Wirklichkeit... wie auch die menschlichen Erfahrungen der Liebe, des Glücks und der Dankbarkeit. Alles Wegsehen und Wegreden der Realitäten hilft nichts und heilt noch weniger. Leiden und Sterben gehören vielfach zum Leben und zum Weg des Menschen.

Aber inmitten dieser Realitäten gilt von Ostern her: Gott steht zu Jesus - auch zum verstorbenen und begrabenen Jesus. Im Abbruch des irdischen Lebens Jesu geschah der Aufbruch zu neuem Leben. - Von Jesus her gilt nun: das Leid und unsere Schuldverstrickung, die Vergeblichkeit unserer Bemühungen, selbst das Sterben sind keine absolut gescheiterten, keine verfluchten Wege mehr. Unsere Ohnmacht ist nicht das Mass für das Leben, sondern die Macht der Liebe, die Jesus uns enthüllt und in seinem Handeln gezeigt hat: was hinstirbt, fällt dem Leben Gottes anheim.

Vom gekreuzigten Jesus her wird das Kreuz zum Zeichen des Durchbruchs, dass Gott zum Menschen kommt. In diesem Sinn ist es Symbol für die radikale Liebe Gottes. Von ihm her sind Kreuz, Schmerzen und Zerrissenheit keine Wege der Zerstörung, sondern zur Liebe. Es enthüllt, wie es zwischen Gott und Mensch steht. So verstehe man auch das, was man so leicht „Gericht Gottes" nennt. Wenn wir uns auf Jesus und seinen Vater einlassen, dann wird unser Leben gerichtet und ausgerichtet. Aber Gott richtet dadurch, dass er rettet.

Für uns ist somit entscheidend: nicht verkrampft und verzweifelt auf das Kreuz fixiert zu bleiben, sondern aufzubrechen zum Gekreuzigten. Weg vom Grab Jesu hin zu dem, der lebt. Das ist und wäre Kreuz-Enthüllung im Alltag unseres Lebens und in der Wucht und Ausgeliefertheit leidvoller Erfahrungen. Deshalb verbindet sich mit der Oster­botschaft vom auferstandenen Jesus immer wieder die tröstende Mahnung: „Fürchtet euch nicht, ich bin es." Nicht im Kreuz ist Heil, sondern im Gekreuzigten, in Jesus Christus.

So gilt für unser Leben und, so hoffen wir, auch im Sterben: nur das auf Jesus und auf seinen Gott hin enthüllte Kreuz dürfen wir verehren. Von Ostern her ist die Zuversicht in die Furchen unseres Lebens gestreut, dass wir zwar mitten im Leben vom Tod umfangen sind, aber im Sterben auch vom Leben. - Ostern bricht an.

 



Prof. Leo Karrer

E-Mail: Leo.karrer@unifr.ch

(zurück zum Seitenanfang)