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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 31.08.2008

Predigt zu Lukas 10:38-42, verfasst von Erik Dybdal Møller

Ich kenne Marta. Ich kenne auch Maria. Und eigentlich auch Martin und Marius. Und alle vier haben eine treffende Ähnlichkeit mit den beiden Frauen, von denen wir im heutigen Bericht hören.

             Die Marta, die ich kenne, beschäftigt sich nicht nur damit, das Essen auf den Tisch zu bringen, wenn Gäste kommen. Sie tut auch ihre Arbeit und sorgt für ihre Kinder, und so ist sie eine gute Ehefrau und bestimmt auch eine gute Mutter. Ihr großes Problem ist nur, dass nie gut genug ist, was sie tut. Und wenn es gut genug ist - und vieles zeigt das, denn sie ist tüchtig bei dem, was sie tut - dann ist das Ganze doch von unaufhörlicher Besorgnis überschattet, die sie nicht loswerden kann. Und das merken ihre Kinder. Das merkt ihr Mann. Die Menschen um sie. Sie läuft umher mit Schweiß auf der Stirn, auch an den Tagen, an denen sie eigentlich nicht so viel zu tun hat: es gab doch so vieles, was auch hätte getan werden sollen. Marta ist genau die Frau, die sowohl das Eine wie das Andere tun sollte, und da nun einmal niemand das erledigen kann, was man glaubt, erledigen zu müssen, und weil ihre Ideale größer sind, als ihre Zeit und ihre Kräfte es erlauben, wächst ihre Besorgnis und dementsprechend ihre Unzufriedenheit mit anderen und mit sich selbst. Und dann ist es unglaublich schwer, eine gute Mutter zu sein, und eine gute Hausfrau und ein froher Mensch.

             Die Maria, die ich kenne, hat längst eingesehen, dass es vieles gibt, was nicht erreichbar und was deshalb auch nicht der Mühe wert ist, dass man Zeit darauf verwendet, wenn die Zeit viel besser zu etwas Anderem gebraucht werden könnte. Die Maria, die ich kenne, mag es auch nicht leiden, wenn sich überall der Staub sammelt; aber sie weiß auch, dass die Welt wohl nicht untergeht, wenn der Staub noch ein paar Tage mehr liegen bleibt. Denn im Augenblick ist es so viel wichtiger, sich mit etwas ganz Anderem zu befassen als mit Putzeimer und Putzlappen. Sie hört so oft irgendwas, was sie zum Nachdenken bringt, und dann muss alles Andere eben warten, vielleicht auch ihre Kinder, es wird schon gehen, sie wissen ja, was sie an ihr haben, und das weiß ihr Mann auch. Die Maria, die ich kenne, hat gelernt, dass eine gute Mutter eine Mutter ist, die mit sich selbst einigermaßen zufrieden ist. Das kann man ja nicht immer sein. Aber es ist gut, wenn das doch wenigstens ab und an der Fall ist. Die Kinder merken das besonders gut. Und dann kann es sein, dass die Maria, die ich kenne, über sich selbst lacht. Das kann die Marta, die ich kenne, nicht so gut. Daran hindern sie ihre Besorgnisse.

             Beide haben ihre täglichen Pflichten, Marta wie Maria. Sie sind obendrein eng miteinander verwandt; aber in etlichen Dingen sind sie wie Tag und Nacht.

             Der Martin, den ich kenne, hat immer viel zu tun. Und er vergisst nie, anderen davon zu erzählen, wieviel er zu tun hat. Er kommt sehr leicht, ganz wie Marta, ins Schwitzen, und er kann leicht schlecht aussehen. Das hat seinen Grund nicht etwa darin, dass sein Kalender in höherem Maße überfüllt wäre als der Kalender so vieler anderer Menschen; sondern in seinem inneren Kalender gibt es absolut keinen Platz für mehr, weshalb er unaufhörlich ein schlechtes Gewissen hat. Und ein Mensch wie dieser Martin vermag nicht recht für seine Kinder oder für andere dazusein, vor allem deshalb, weil sie nicht die ganze Zeit hören wollen, dass er in Wirklichkeit gerade jetzt Zeit für etwas Anderes haben müsste, obwohl er doch gerade heute frei hat. Und für seine Frau ist es im Alltag nur ein geringer Trost, wenn er immer wieder bessere Zeiten verspricht, wenn sie erst einmal pensioniert sind.

             Der Marius, den ich kenne, lässt zum Ärger anderer sein Werkzeug rumliegen. Weil er schnell nach Hause muss. Er bleibt so oft zu lange auf, denn er kann nicht von dem lassen, womit er gerade beschäftigt ist. Manchmal ist das ein Problem für ihn, denn er muss ja morgen früh aufstehen. Ihm geht es wie Maria, er meint auch nicht, dass es anderen so viel Sorgen machen müsse. Und dann ist er auch der Meinung, dass man Zeit haben müsse, um einfach nur aus dem Fenster zu schauen.

             Alle vier würden gern sagen können, dass sie den guten Teil gewählt haben. Und das hat jeder von ihnen wohl auch auf seine Weise, aus seiner Sicht der Dinge getan. So mag es oft sein, bis man sieht, dass alle vier ohne Weiteres in ein und derselben Person stecken können. Es gibt Tage, an denen einem alles gelingt. Und es gibt Tage, an denen man für andere nicht auszuhalten ist.

             Die Maria, die Jesus kannte, Martas Schwester, wählte den guten Teil. Sie hielt inne, hörte zu und dachte nach, zu Füßen dessen, der es immer wert war, dass man ihm zuhörte. Und ihre Schwester Marta meinte, dass sie gerade jetzt dafür keine Zeit hatte. Zuerst war das Essen zu machen, dann der Tisch zu decken und dann dies und dann das. Nachher könnten dann alle sich hinsetzen und zuhören und nachdenken. Und wir möchten sicher alle Maria gleichen, nicht zuletzt, weil der Herr selbst ihren Teil als den guten bezeichnete und sagte, das sei das Einzige, das Not ist. Wir wählen allzu oft, was nicht nötig ist. Sein zu können wie Maria, das wäre unser Wunsch. Aber das ist nie populär oder aktuell gewesen. Gewiss hat es immer Menschen gegeben, die es vorzogen, sich von den alltäglichen Trivialitäten zurückzuziehen. Es gab etwa Mönche, die ins Kloster gingen. Es gab Nonnen, die ihr Leben in Gebet und Stille Christus weihten. Es hat viele Arten gegeben, etwas abzuwählen oder sich zu entziehen. Aber wir haben auch gelernt, wenn wir alle so handeln würden, würde alles ins Stocken geraten. Was Maria tat, war o.k.; aber Marta zeigte vielleicht größere Verantwortung, wenn es darauf ankam. Und so fangen wir fast instinktiv an, Marta vor Maria in Schutz zu nehmen. Denn wie ähnlich ist Marta dem, was die eigene Mutter von einem verlangte.

             Als Jesus fortging und die beiden Schwestern wieder sich selbst und ihrem Bruder Lazarus überlassen waren, - worüber sprachen sie da? Warf Marta Maria wieder vor, dass sie selbst wie gewöhnlich für alles zu sorgen hatte, dass sie aktiv zu sein hatte? Oder war es nicht so, dass sie beide etwas zum Nachdenken bekommen hatten, denn Marta würde wohl irgendwann Zeit haben, sich zu Füßen des Meisters zu setzen. Sie, die dienen und aufwarten wollte, würde wohl Zeit haben, einzusehen, dass der, der etwas bekommt, damit auch mehr zum Geben hat.

             Es ist wie bei der Musik. Gibt es keine Pausen, gibt es nur Lärm. Gibt es zwischen den Tönen nicht hin und wieder eine Pause, wird alles zu unerträglichem Lärm. In der Musik ist die Pause genauso wichtig, wie es der Ton ist. Und im Leben ist es ebenso.

             Eine Anklage gegen uns alle liegt im heutigen Bericht. Es ist nicht immer leicht, den guten Teil zu wählen. Aber trotzdem sollen wir es tun. Denn andernfalls vergeuden wir allzu viel Zeit für vieles, was dazu neigt, sich selbst in den Schwanz zu beißen, und es wird zu einem Kreis von Besorgnissen.

             Für alle uns Martas und Martins, die meinen, den guten Teil, das eine, das Not ist, zu kennen, die aber nicht wagen, alles andere fahren zu lassen, denn stell dir vor, wir haben keine Zeit, - für uns alle ist die Botschaft klar und deutlich: wir sollen es dennoch tun, denn anderfalls würden wir die Zeit vergeuden.

             Es mag sein, dass es uns gerade nicht passt, es mag sein, dass die Arbeit fertig zu machen ist, oder dass wir gerade jetzt ans Telefon gerufen werden, oder dass wir gerade jetzt einkaufen müssen; aber vergessen wir bei allem, was zu tun ist, dass Eines vor allem Not ist, dann vergeuden wir die Zeit und unser Leben, denn dann hören wir nicht mehr zu. Es gibt Augenblicke, in denen da etwas ist, was größer ist als das, war wir für groß zu halten pflegen.

             Was war es wohl, worüber Jesus an jenem Tage sprach, als jedenfalls zu Anfang nur Maria zuhörte? Wir wissen es nicht direkt. Es steht nirgendwo. Aber wir müssen annehmen, dass es ein Augenblick von großer Fülle war, von unvergleichlicher Fülle. Ein seliger Augenblick.

             Diese seligen Augenblicke, in denen wir den Herrn zu uns reden hören, in denen wir ohne den ewigen Unglauben oder Zweifel hören können, was uns im Evangelium gesagt wird, diese seligen Augenblicke sind nicht einer besonderen Art von Menschen, den frommen Marias der Welt, vorbehalten, sie sind für alle Menschen.

             Diese seligen Augenblicke, wo einem klar ist, das nur Eines Not ist, können zu jedem beliebigen Zeitpunkt eintreten; aber es geschieht gewiss bei bestimmten Gelegenheiten. Vielleicht bei einer Taufe. Vielleicht im Zusammensein mit einem sehr guten Freund. Vielleicht erlebt man eine Sekunde der Ewigkeit lang, wie ein Zipfel zum Herrn selbst eines Tages gehoben wird, wenn wir plötzlich eine kurze Zeile in einem Lied hören und verstehen, die wir sonst nie richtig verstanden hatten. Das Einzige, was Not ist, das Notwendige, das soll niemandem genommen werden.

             Zum Leben eines ordentlichen Lebens gehört es, auf Gott zu hören. In Dankbarkeit für das Leben. So müssen wir nicht zuletzt in der Kirche sprechen, wenn es doch an so vielen anderen Orten versäumt wird. Wir müssen zuhören. Dann werden alle unsere Besorgnisse nicht so ohne Weiteres aus unserem Dasein verschwinden, natürlich werden sie das nicht tun. Und unsere Sorgen auch nicht. Aber in unser Dasein wird, wie kleine Pausen, wie Blitze vom Himmel, in tiefen Gesprächen oder in reiner Wunderbarheit, das Einzige, das Not ist, der gute Teil kommen, und dann ereignet es sich, dass wir Lebensmut und Hoffnung empfinden.

Amen



Pastor Erik Dybdal Møller
Århus (Dänemark)
E-Mail: edm(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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