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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

18. Sonntag nach Trinitatis, 21.09.2008

Predigt zu Johannes 15:1-11, verfasst von Hanne Drejer

"Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun."

Das sind schöne Worte - an einem schönen Sonntag im Oktober.

             Es ist Herbst, und die Bäume werden bald gelb, braun und rot sein und den Winter ankündigen. Betrachte einen Baum, von da an, wo das zarte Laub im Frühjahr ausschlägt, über die grüne Fruchtbarkeit des Sommers bis hin zum Herbst mit seiner gelben und roten Pracht und bis zu den nackten Winterzweigen des Baumes - und du wirst auch den Gang des Lebens sehen. Wie der Baum uns auch an die Wahrheit erinnert, dass das Menschsein bedeutet, wie ein kleiner Zweig an einem großen Baum zu sein, - ein kleiner Teil in einem großen Zusammenhang.

             Der Baum hat deshalb zu allen Zeiten Menschen fasziniert und wohl in allen Kulturen und Religionen Stoff für Mythen vom Baum des Lebens gegeben.

             So auch in unserer eigenen alten nordischen Religion, in der der Weltbaum, die Esche Ygdrasil, der Grundstamm des Lebens war, wie man es den Kindern in vorchristlicher Zeit erzählte.

             Die Zweige der Esche Ygdrasil reichten hinauf in die höchsten Himmel, und ihre drei Wurzeln waren so lang, dass sie ganz bis in die Unterwelt ins Reich der Toten reichten. Vom Himmel bis zur Erde ging die Esche als Baum des Lebens, der buchstäblich alles zusammen- und an seinem Ort festhielt. Ohne diesen Baum kein Leben!

             Das war eine gute und leicht verständliche Geschichte, die man seinen Kindern erzählen konnte, denn alle wussten ja, dass man für den Bau eines ordentlichen und soliden Hauses einen Grundstamm, einen Fundamentbalken, als Achse des Hauses brauchte, um das Haus zusammenzuhalten. Ohne einen solchen Balken würde alles einstürzen - so war es nicht nur im eigenen Haus, sondern auch im eigenen Leben - ein Fundamentbalken, ein Lebensbaum, war lebensnotwendig.

             Wohl zur selben Zeit, als die Eltern hier im Norden ihren Kindern von der Esche Ygdrasil erzählten, erzählten Eltern weit weg von hier, in Israel, ihren Kindern von einem anderen Baum, von dem Baum des Lebens im Garten Eden - aber auch vom Baum der Erkenntnis. Und nur von diesem Baum - dem Baum der Erkenntnis - durften Adam und Eva nicht essen, aber sie taten es doch - wie Menschen es zu allen Zeiten getan haben. Deshalb leben wir nicht mehr im Paradies, wo wir vom Baum des Lebens essen und ewig leben könnten - wir leben stattdessen auf der Erde, wo alles, was lebt, einmal sterben muss.

             Der alte Mythos ist also nicht nur die Geschichte von Adam und Eva, sondern die Geschichte von jedermann, weil wir uns nicht damit begnügen wollen, abhängige Zweige eines großen Baumes zu sein.

             Wie es in unserem Leben noch einen Baum gibt - unseren eigenen Stammbaum. Wir gehören zu einer Familie, die uns das Leben geschenkt und und zu dem geformt hat, was wir sind, wie auch wir in einen bestimmten Zusammenhang gehören, in eine bestimmte Zeit und ein bestimmtes Geschlecht, Land und Kultur. Die Welt gab es, ehe wir geboren wurden, und das Leben wird nach uns weitergehen.

             Aber der Baum ist also nicht nur die Wahrheit über uns im biologischen Sinne, sondern auch im religiösen Sinn - denn: ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht: denn ohne mich könnt ihr nichts tun, sagt Jesus.

             Mit diesen Worten sagt er, dass wir mit ihm, mit Christus vereint sind mit Gott, und ohne ihn sind wir von Gott getrennt. Ohne Gott können wir nichts tun.

             Und das kann man wohl eine Behauptung nennen - nicht zuletzt heute in unserer Kultur, in der doch das Interesse an Glauben und Religion wie ein Hobby aufgefasst wird, das man eben haben oder nicht haben kann. Manche Menschen sammeln Briefmarken, andere tun das nicht - so haben wir jeweils unser eigenes Interesse, sagen wir.

             Da sagt Jesus etwas ganz Anderes - ohne mich und damit ohne Gott könnt ihr nichts tun!

             Ja, dann lass mich doch Gott nahe kommen - sagen wir vielleicht. Was soll ich tun? Wie finde ich Gott - vielleicht fragen wir sogar: wo finde ich einen gnädigen und lieben Gott? - wie Martin Luther zu Anfang auch fragte.

             Und er suchte und suchte, aber seine Verzweiflung wuchs nur unaufhörlich, je mehr er sich geistig gesprochen selbst peinigte und je frommer er in seiner Klosterzelle wurde. Denn er fand nur sich selbst und seine eigene Verzweiflung.

             Bis er eines Tages Gott mit den Worten den Römerbriefes zu sich sprechen hörte: Der Gerechte wird aus dem Glauben leben! Gott ist dir de facto nahe, - du brauchst überhaupt nicht zu suchen, du sollst nur darauf vertrauen, dass das wahr ist - und in dem Glauben und Vertrauen hast du das Leben.

             Martin Luther entdeckte ganz einfach, dass er selbst überhaupt nicht Gott finden sollte, denn Gott hat zu uns gefunden, in seinem Sohn - und jeder, der an ihn glaubt, hat bereits ewiges Leben. Vertraue darauf, dass es der allmächtige Gott ist, der zu dir kommt, in Jesus Christus - in seinem Wort, und in der Taufe und im Abendmahl. Da ist Gott dir nahe.

             Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.

             Nun besteht kein Zweifel darüber, dass alle Mythen und Vorstellungen vom Baum des Lebens aus dem sehr menschlichen Bedürfnis entspringen, das wir alle haben, nämlich uns Sicherheit zu schaffen - wir wollen gern das Chaos von uns fernhalten und uns in den Stürmen des Lebens geborgen fühlen, indem wir uns an den Baum des Lebens halten, der Geborgenheit garantiert. Aber ebenso menschlich, wie das Bedürfnis ist, genauso unrealistisch ist es doch auch.

             Nun nennt Jesus sich den wahren Baum des Lebens - aber in der Bindung an ihn erhalten wir ja keine Geborgenheit im banalen Sinne.

             Der Sinn des Lebens ist nicht, dass wir uns sichern sollen - sagt Jesus - sondern vielmehr, dass wir leben und das Leben ausgeben und alles wagen sollen.

             Wenn wir im Bild vom Baum bleiben, müssen wir doch auch sagen, dass er selbst der Baum war, der zugrunde ging. Jesus gab und gab, ohne sich jemals zu sichern, und zuletzt gab er sein Leben, aber am Ostermorgen sahen wir "den Baum des Lebens aus der Wurzel des Kreuzes sprießen".

             Deshalb sehen wir bei ihm, dass die Hoffnung nie erloschen ist, - selbst das noch so zerstörte und missbrauchte Leben kann neu und gut werden - selbst das schwerste Schicksal verwandelt werden.

             Christus als der Baum des Lebens ist deshalb ein seltsamer Baum, über den jeder Gärtner den Kopf schütteln würde. Es ist ein Baum, der gefällt ist, aber mitten im Tode trägt er dennoch eine Menge frischer Triebe und grüner Blätter. Er ist gefällt, aber im Tode schenkt er Leben. Christus ist der Baum des Lebens, der erfüllt ist von allen möglichen und sehr verschiedenartigen Zweigen in allen Größen - sie alle auf seinen Stamm gepfropft - genauso verschieden und genauso viele, wie es getaufte Menschen gibt.

             An diesem Baum wachsen wir alle nebeneinander und leben und gedeihen.

             Denn Christus ist der Baum des Lebens, den wir in der Taufe bekamen - er gibt keine Garantie für ein langes und glückliches Leben - aber er lehrt uns stattdessen, dass der Sinn des Lebens darin besteht, das Leben hinzugeben - es weiterzugeben und es auszugeben.

             Denn Jesus sagt: Ich bin der wahre Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht. Amen



Pastorin Hanne Drejer
Asperup (Dänemark)
E-Mail: hdr(a)dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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