Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 12.10.2008

Predigt zu Lukas 13:1-9, verfasst von Erik Dybdal Møller


„Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Söhnen sind die Zähne davon stumpf geworden," so sagte man einst, und man glaubte einst auch daran, dass, wenn die Väter irgendein Vergehen gegen Gesetz und Ordnung oder gegen Gott begangen hätten, dann die Übertretung bestraft würde, wenn nicht an den Vätern, dann an ihren Kindern bis ins siebte Glied, über sieben Generationen hinweg. Aber nach dem Propheten Hesekiel sollte also ein solcher Glaube nun ein Ende haben.

             Man hatte gemeint, das Sprichwort von den Vätern und den Trauben und den Söhnen sei von Gott selbst gekommen. Das sei nicht der Fall, ließ Gott den Propheten sagen, denn das Leben eines jeden Menschen gehörte dem Herrn und nicht einem solchen seltsamen Schicksalsglauben, den das Sprichwort vorauszusetzen schien. Gott gehört das Leben und der Tod jedes einzelnen Menschen. Und glaubt man, eine so individuelle Sache wie die Übertretungen eines Menschen könnten vererbt werden, obendrein so, dass kommende Generationen für etwas bezahlen sollten, was in dem betreffenden Geschlecht in der Zeit weit zurückliegt, dann ist das eben nicht so, und Gott kann sich von einem derartigen Schicksalsglauben nur distanzieren. Es ist nämlich Aberglaube. So sprach der Prophet Hesekiel im Namen Gottes, dass man Schuld nicht auf diese Art und Weise erbt.

             Die Lesung des kurzen Textes endete mit den Worten: „Das Leben aller Menschen gehört mir". Und das war's denn auch, könnte man sagen. Aber so ist es so oft hier in den Gottesdiensten, dass die Texte aus einem größeren Zusammenhang in der Bibel herausgenommen sind und dass dabei dann etwas verloren geht. In Wirklichkeit hätte ich Folgendes lesen sollen: „Das Leben aller Menschen gehört mir; das Leben der Väter wie das Leben des Sohnes. Jeder, der sündigt, soll sterben." Also, auch wenn gegen den Glauben gewettert wird, Schuld sei erblich, so steht für den Propheten Hesekiel dennoch fest: wenn etwas klar ist, so ist es dies, dass Schuld unter allen Umständen bestraft wird. Sogar mit dem Tode. Und so erhielten viele Menschen durch die Worte des Propheten ein gutes Werkzeug, um das Unerklärliche eines plötzlichen Todes oder direkt sinnloser Ereignisse und furchtbaren Unglücks, das viele Opfer verlangte, zu erklären. Man könnte sich zurücklehnen und sagen, dass etwas so Furchtbares sicherlich unmittelbar unverständlich ist; aber was wir Menschen nicht verstehen, das versteht Gott glücklicherweise, und dann wird sich sicher zeigen, dass die Betreffenden letzten Endes selbst schuld daran waren. Wie man sich bettet, so liegt man. Wie man sät, so erntet man. Und wenn wir nun einmal bei den Sprichwörtern über diese Sache sind, können wir wohl auch das folgende Sprichwort dazunehmen, auch wenn es dem Sprichwort sehr ähnelt, das Hesekiel zurückwies, über die Väter, die saure Trauben aßen, nämlich das Sprichwort „der Apfel fällt nicht weit vom Stamm". Letzten Endes geht es im Grunde um die Frage, ob wir den Aberglauben aus alter Zeit aufgegeben haben, ob es nicht so ist, dass auch wir mehr oder weniger bewusst behaupten, wenn der Vater ein Narr war, dann ist der Sohn sehr wahrscheinlich ebenso ein Narr. Jedenfalls ist es etwas vom Schwersten für den Menschen, sich aus seinem sozialen Erbe herauszukämpfen. Und wir wissen auch, dass viele Menschen, die in ihrem eigenen Leben mit großen Problemen verschiedener Art zu kämpfen haben, den schlechten Start im Leben auf gewisse Weise ihren Eltern zu verdanken haben. Und an der Seitenlinie stehen die anderen und sagen: „ja, ja, du hättest seinen Vater kennen sollen. Er hat das wahrlich nicht von anderen." Aber, so sagt der Prophet Hesekiel, lass Gott aus dem Spiel! Es ist nicht die Absicht des Herrn, dass das so sein soll. Es ist ausschließlich Schuld der Menschen. Und im Übrigen - sagte der Prophet auch noch - nimmt Gott sich jedes Einzelnen an und straft ihn, wenn er Gebote der Gerechtigkeit übertreten hat.

             Das kann man verstehen. Und man kann es erklären. Denn es ist eine klare moralische Verkündigung, schwarz ist schwarz und weiß ist weiß. Du bist selbst an deinem Unglück schuld, entweder rauchst du zuviel oder du trinkst zuviel oder du isst zuviel oder du gönnst dir nicht genug Schlaf oder was weiß ich. Du verdankst es dir selbst. Und sollte dir trotz aller möglichen Vorsichtsmaßnahmen dennoch etwas Schlimmes geschehen, dann hast du nur deine Fehler nicht erkannt, denn der Gerechtigkeit geschieht Genüge. Mit anderen Worten: es klingt durch und durch wie die neureligiöse Predigt unserer Tage, dass es Zufall nicht gibt, und dass letzten Endes alles erklärlich ist, wenn man nur die rechte Einsicht hat.

             Aber es ist Aberglaube! Aberglaube, weil man versucht, das Unerklärliche mit reinen Hirngespinsten zu erklären.

             Kein Mensch kann das Unerklärliche ertragen. Wir wollen am liebsten eine große und tiefe Bedeutung von allem sehen. Und deshalb verfallen wir dem Aberglauben. Geschieht etwas Schlimmes, das wir nicht verstehen können, dann fällt uns vielleicht irgendeine schwarze Katze ein, die uns über den Weg gelaufen ist. Oder wir denken plötzlich daran, dass wir sicher Salz auf den Fußboden haben fallen lassen oder etwas der Art. Oder wir suchen eine Erklärung in der der Stellung der Planeten zu den Sternen, und sind wir davon so recht überzeugt, dann mögen wir uns einbilden, dass das alles eine Wirkung des Karma, des Schicksals ist, das uns immer wieder auf den Weg bringt, wenn wir uns zu weit davon entfernt haben, so dass wir schließlich, nach wer weiß wie vielen Wiedergeburten, in die große und göttliche Ganzheit, die endgültige Einsicht eingehen können.

             Aber das ist alles Aberglaube, nichts als Aberglaube, der viele Namen hat: Schicksalsglaube, Geistwissenschaft, New Age. Und es hat nicht das Geringste mit dem Christentum zu tun.

             Und jetzt sind wir endlich beim heutigen Evangelientext angelangt.

             Einige Menschen kommen zu Jesus und erzählen ihm von einem Massaker, das Pontius Pilatus veranstaltet hat und bei dem einige Pilger aus Galiläa im Tempel ermordet worden sind. Wir wissen nicht, warum. Vielleicht befürchtete Pilatus, dass es sich um Aufrührer handelte. Aber diese Menschen, die Jesus von dem Massaker erzählten, haben anscheinend gemeint, die Opfer müssten irgendwie größere Sünder als andere gewesen sein, stellt er doch eine entsprechende Frage. Und er stellt ihnen auch noch eine andere Frage: ob sie der Meinung seien, dass die achtzehn Personen, die beim Einsturz eines Turmes in Siloah umgekommen seien, ihren Tod verdient hätten. Denn Jesus ist nicht dieser Meinung. Sie standen in einem unglücklichen Augenblick nahe am Turm, als er einstürzte. Sie waren keine größeren Sünder oder hatten keine größere Schuld als alle anderen Menschen in Jerusalem. Was da geschah, war sinnlos. Und ich muss daran denken, dass man, wenn man überhaupt einen Schuldigen finden wollte, ihn vielleicht unter denen suchen müsste, die den Turm gebaut hatten. Aber damals hat man kaum schlechte Ingenieure oder Handwerker gerichtlich belangt.

             Die Pointe in den Worten Jesu war ganz einfach, dass niemand ein größerer Sünder ist als andere, denn alle waren, wenn es darauf ankam, Sünder. Alle sind schuldig, und es droht ihnen der Tod. Und dann geht es natürlich darum, sich zu bekehren. Denn wer kann sich gegen das Spiel der Zufälle sichern? Und wie schrecklich ist es, plötzlich zu sterben, ohne dass man sich bekehrt hat, ohne dass gesagt werden könnte, dass man gelebt hat. Sterben müssen wir alle. Das ist unser Schicksal. Und einen zufälligen Tod sterben zu müssen, ist natürlich ein unangenehmer Gedanke. Aber das bedeutet doch nur eines, nämlich dass es gerade nicht gleichgültig ist, wozu wir unser Leben gebrauchen. Das ist es, worauf Jesus uns verpflichten will.

             Wir haben das Leben erhalten, und wir müssen es wieder verlieren, und dann müssen wir auch in Dankbarkeit Gott gegenüber das Unsrige dafür tun, dass es wert zu leben ist; im Großen wie im Kleinen, aber das Leben wert.

             Und damit wir nicht nachhause gehen und empfinden, dass wir zu etwas so Großem gar nicht imstande sind, erzählt er das Gleichnis vom Feigenbaum. Es ist doch weder die Schuld noch der Tod, der das letzte Wort hat. Es ist die Gnade. Es mag ja sein, dass der Feigenbaum, aus der Sicht der Vernunft und einfacher Gerechtigkeit, es nicht anders verdient hatte, als dass er gefällt wurde. Es mag ja sein, dass wir, wenn es um den Nutzen geht, unfruchtbaren Feigenbäumen gleichen, jedenfalls die meisten von uns. Aber die Gnade Gottes ist größer als der geringe Nutzen, den wir bringen können. Und das ist unsere Rettung.

             So ist das Christentum keine Religion und kein Aberglaube, der klare Regeln für das Eine und das Andere formuliert und durchaus gerecht und konsequent nach diesen Prinzipien seine Urteile fällt. Hier gibt es kein Karma und keine Schicksalsgötter. Das Christentum ist die Botschaft von Gott, der den Menschen trotz seiner Schuld und Endlichkeit in Liebe zu sich nehmen will. Daran zu glauben ist Seligkeit.

Amen

 



Pastor Erik Dybdal Møller
Århus (Dänemark)
E-Mail: edm(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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