Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 05.04.2007

Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 12:1.3-4.6-7.11-14, verfasst von Heribert Arens

1 Der Herr sprach zu Mose und Aaron in Ägypten:
3 Sagt der ganzen Gemeinde Israel: Am Zehnten dieses Monats soll jeder ein Lamm für seine Familie holen, ein Lamm für jedes Haus.
4 Ist die Hausgemeinschaft für ein Lamm zu klein, so nehme er es zusammen mit dem Nachbarn, der seinem Haus am nächsten wohnt, nach der Anzahl der Personen. Bei der Aufteilung des Lammes müsst ihr berücksichtigen, wie viel der Einzelne essen kann.
6 Ihr sollt es bis zum vierzehnten Tag dieses Monats aufbewahren. Gegen Abend soll die ganze versammelte Gemeinde Israel die Lämmer schlachten.
7 Man nehme etwas von dem Blut und bestreiche damit die beiden Türpfosten und den Türsturz an den Häusern, in denen man das Lamm essen will.
11 So aber sollt ihr es essen: eure Hüften gegürtet, Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand. Esst es hastig! Es ist die Paschafeier für den Herrn.
12 In dieser Nacht gehe ich durch Ägypten und erschlage in Ägypten jeden Erstgeborenen bei Mensch und Vieh. Über alle Götter Ägyptens halte ich Gericht, ich, der Herr.
13 Das Blut an den Häusern, in denen ihr wohnt, soll ein Zeichen zu eurem Schutz sein. Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorübergehen und das vernichtende Unheil wird euch nicht treffen, wenn ich in Ägypten dreinschlage.
14 Diesen Tag sollt ihr als Gedenktag begehen. Feiert ihn als Fest zur Ehre des Herrn! Für die kommenden Generationen macht euch diese Feier zur festen Regel!

 

„Pilger sind wir Menschen" so beginnt eines der neuen geistlichen Lieder. Ja, Pilger sind wir. Vom Augenblick an, in dem wir den Mutterschoß verlassen, gilt es täglich neu, loszulassen, aufzubrechen, Neuland zu betreten. Wer das verweigert, verweigert sich dem Leben. Jeder Tag ist ein neuer Exodus - ins Leben. Wer nicht loslassen kann oder will, gerät ins Ägypten von Unfreiheit, Unbeweglichkeit, ins Ägypten der Orientiertheit am Vergangenen, ins Ägypten des Perspektivlosigkeit. Wer nicht loslassen kann, der verweigert sich der Gegenwart und der Zukunft, weil er der Vergangenheit verhaftet ist. Pilger sind wir Menschen. Täglich neu müssen wir aufbrechen, die Gegenwart unter die Füße, die Zukunft in den Blick nehmen, damit wir dem gelobten Land ein paar Schritte näherkommen.

Pilger sind wir als einzelne, Pilger sind wir in der Gemeinschaft - auch in der Gemeinschaft unserer Kirche. Eine Kirche, die sich nur am Gestern orientiert, die lieber Überkommenes bewahrt, als dass sie neue Wege zu gehen versucht, wird die Menschen verlieren - und sie wird Gott verlieren: denn Gott hat uns in der Vergangenheit auf den Weg geschickt, er begleitet uns in der Gegenwart und er erwartet uns in der Zukunft. Gottes Begleitung in der Gegenwart fordert uns täglich neu zu der Frage heraus:  Was will  Gott heute von mir, von uns? Wohin ruft er uns? Wohin aufzubrechen lädt er uns ein? Was dafür loszulassen mutet er uns zu? Auch wenn der heutige Predigttext davon noch nicht spricht, wissen wir doch: Der Aufbruch, zu dem Gott ruft, führt nicht direkt vom Land der Knechtschaft Ägypten ins gelobte Land Kanaan. Er führt zunächst einen quälend langen Weg durch die Wüste.

Pilger sind wir als einzelne, Pilger sind wir in der Gemeinschaft - auch in der Gemeinschaft unserer Kirche. Die Israeliten werden aufgefordert: „So sollt ihr essen: eure Hüften gegürtet, Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand. Esst es hastig!" Das wirkt fast wie heute im Schnellimbiss: schnell ein Würstchen, eine Portion Pommes, einen Hamburger hineingeschlungen - und dann weiter. Das erinnert nicht an Festmahl, sondern an Wegzehrung, an kurze Rast auf dem Weg, Stärkung und Weitergehen. Und genau das will es auch sein: Wegzehrung, Nahrung für den langen, beschwerlichen Weg, der mit diesem Mahl beginnt. Erinnert die festlich gedeckte Tafel an Heimat, Zuhause sein, sich einrichten und dableiben, so erinnert dieses Pesachmahl an Weg, Unterwegssein, aufbrechen, weitergehen, kurze Rast halten. Pilger sind wir Menschen, wir wohnen auf dieser Erde, aber wir sind hier nicht zuhause. Unsere Heimat ist im Himmel - und der Himmel, die Gegenwart Gottes, die Anschauung Gottes ist das Ziel.

Dieses Pesachmal, dieses Mahl von Menschen im Aufbruch, dieses Mahl der Wegzehrung nimmt Jesus „am Abend vor seinem Leiden" zum Anlass, seinen Jüngern ein Erinnerungszeichen zu hinterlassen. Halten wir uns bewusst: es geht nicht um ein himmlisches Festmahl; es geht um ein Erinnerungsmahl an den Aufbruch aus Ägypten, an den Beginn des Wegs durch die quälend große Wüste. Der Weg, der für Jesus mit diesem Mahl beginnt, ist schließlich auch kein Sonntagsspaziergang: es ist der Weg durch Leiden und Geißelung, der Weg mit dem schweren Kreuz auf den Schultern, der Weg in den Tod und ins Grab - und dann erst der Weg in die Auferstehung und das Leben. Innerlich hat Jesus die Hüften gegürtet, Schuhe an den Füßen und den Stab in der Hand. Von diesem Mahl wird er aufbrechen auf den schweren Weg. Mit diesem Mahl mutet er auch seinen Jüngern diesen schweren Weg zu.

Jesus wählt dieses Erinnerungszeichen sicher mit vollem Bewusstsein. Es soll an ihn erinnern; aber nicht einfach nur erinnern in dem Sinn, dass er Nahrung sein will, sondern erinnern an das ganz konkret gewählte Zeichen. Das Aufbruchsmahl, das Mahl der Pilger und Fremdlinge gibt er ihnen als Erinnerungszeichen. Er hält ihnen damit im Gedächtnis: wer sich auf mich beruft, wer mir nachfolgt, wer meinen Weg geht, der ist hier nicht zuhause, der ist Pilger und Fremdling in der Welt, der ist und bleibt unterwegs zu seinem Ziel. Wer meinen Weg geht und diese Wegzehrung isst, der geht auch auf keinen bequemen Weg. Der macht sich auf und geht in die Wüste. Der muss es unter Umständen quälend lange in der Wüste aushalten. Das gelobte Land lässt auf sich warten. Du kannst es auf dem Weg sogar aus dem Blick verlieren und dir goldene Kälber bauen. Der Weg, den du gehst, ist voll von Versuchungen: die willst ins Land der Knechtschaft zurück, weil dort die Fleischtöpfe gefüllt waren; du willst Anhaltspunkte hier und heute und baust dir dafür goldene Kälber. Wer mit Jesus auf den Weg geht, dem bleibt die Wüste nicht erspart.

Dieses Pesachmahl ist uns heute auf unseren Weg mitgegeben. Wir feiern die Erinnerung an Jesus, der uns dieses Mahl als Vermächtnis hinterließ. Und gemeinsam mit Jesus feiern wir in diesem Mahl die Erinnerung an die Israeliten, die es stehend, die Hüften gegürtet, Schuhe an den Füßen und den Stab in der Hand gegessen haben. Wenn wir Abendmahl halten, brauchen wie diese Haltung zumindest in unserer Seele. Wir essen als Pilger und Fremdlinge. Wir essen als Menschen im Aufbruch. Wir essen als Menschen, die das gelobte Land als Ziel im Auge und gleichzeitig die Wüste vor den Füßen haben.

Im Vergleich zu dieser Haltung - so ist mein Eindruck - essen wir unser Abendmahl ganz schön bieder und erdverhaftet. Wer denkt beim Abendmahl schon daran: Es ist ein Aufbruchsmahl? Wer denkt schon daran, dass es der erste Schritt auf dem Leidensweg Jesu war? Wer fühlt sich durch das Abendmahl schon aufgefordert, aufzubrechen, Neuland zu betreten? Aus überkommenem Trott aufzubrechen, neue Wege zu wagen, bisher nie gegangene Schritte zu tun? Wer fühlt sich durch das Abendmahl schon aufgerüttelt, neue Wege für das Leben der Kirche zu suchen, Schritte zu tun, die es Menschen mit heutigem Lebensgefühl leichter machen, ihre Hoffnung auch in der Kirche zu verankern? Wen rüttelt das Abendmahl schon auf, nicht nur für das irdische Wohl zu sorgen, sondern auch das Reich Gottes und seine manchmal mühsamen Wege zu suchen? Ich befürchte, dass unser eingefleischtes Christentum es doch eher damit hält, sich hier und heute gut einzurichten, wenig Neues zu wagen und eher den vertrauten Wegen zu trauen - auch wenn wir singen: „Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist, weil Leben heißt: sich regen, weil Leben wandern heißt."

Wenn Leben wandern heißt, wenn erst recht im Glauben leben wandern heißt, dann ist es gut, sich darauf zu besinnen, dass keiner allein unterwegs ist. Es gibt zwar Einzelgänger. Aber Jesus feiert dieses Mahl mit einer Gemeinschaft, den Aposteln. Und er sendet uns gemeinsam auf den Weg als Gemeinde. Das bedeutet auch, dass nicht die Schnellsten einfach vorneweg laufen, egal was aus dem Rest wird, sondern dass wir uns mühen, gemeinsam unterwegs zu sein, die Lahmen, die Schwachen, die Verletzten (wodurch auch immer) mit auf dem Weg zu halten. Nur gemeinsam werden wir die Wüste bestehen.

Wenn wir jetzt Abendmahl feiern, dann lasst uns innerlich die Hüften gürten, die Schuhe anziehen, das Mahl im Stehen essen - und dann vertrauensvoll unseren Lebensweg und unseren Glaubensweg gehen, wenn auch durch die Wüste, so doch zum gelobten Land: in Gottes unvergängliches Leben.



ofm Heribert Arens

E-Mail: heribert_arens@huelfensberg.de

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