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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

24. Sonntag nach Trinitatis, 02.11.2008

Predigt zu Matthäus 5:13-16, verfasst von Hanne Drejer

(in Dänemark: Allerheiligen)

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen.
Und ich hörte eine Stimme, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen, er wird bei ihnen wohnen - er wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein. Denn das, was vorher war, ist vergangen. Und der, der auf dem Thron sitzt, sprach: Siehe, ich mache alles neu!  - Diese Worte hörten wir aus der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch der Bibel.

Und es sind große Worte - große Worte, die in krassem Widersprsuch stehen zu der Wirklichkeit, die wir kennen.
             Denn in der Welt und in der Wirklichkeit, die wir kennen, gibt es doch den Tod - niemand kann ihm entgehen.
             Der heutige Tag, Allerheiligen, an dem wir unserer Toten gedenken, spricht doch seine deutliche Sprache und sagt, dass in unserer Wirklichkeit und Welt alles Leben mit dem Tod endet - wir bekommen unsere Toten nicht lebendig wieder, wir müssen lernen, mit dem Verlust zu leben.

Über diese Wirklichkeit hat Martin A. Hansen in seiner Novelle „Das Erntedankfest" so herzzerreißend geschrieben.
             Der Dienstbursche Jens Otto ist bei einem Erntedankfest in der Volksstube zu Tode getrunken worden. Man schickt einen Boten zu den Eltern, und sein Vater kommt und trägt seinen Jungen zu seinem Haus in den Sandhügeln.
             Der Pfarrer, der an dem Erntedankfest oben in den feinen Stuben des Hofes teilgenommen hat, eilt zu dem Vater, weil er helfen will. In der Finsternis holt er ihn ein, wie er mit seinem toten Jungen in den Armen auf einem Wassertrog sitzt.
             „Ich will dir helfen," sagt der Pfarrer. Der Vater rührt sich nicht, und der Pfarrer wiederholte: „Ich will dir helfen."
             Da sagt der Vater: „Kannst du ihn lebendig machen, Pastor?"
             Was der Pastor natürlich nicht kann, und während er hilflos und stumm dasteht, steht der Vater auf und geht mit seinem toten Jungen in den Armen nach Hause.

Und der Pastor bleibt zurück in der Finsternis, beschämt, während die Worte des Vaters ihm in den Ohren hallen: Kannst du ihn lebendig machen?
             „Ich wollte so gern helfen, aber ich vermochte es nicht," sagt der Pfarrer zu seiner Frau zu Hause im Pfarrhaus. Sie packt daraufhin einen Korb mit einigen Kleinigkeiten für Jens Ottos Familie und schickt den Pfarrer los mit den Worten: „Wenn du erst einmal mit dem Korb hinausgekommen bist, findest du vielleicht mehr darin, als ich hineingepackt habe!"

Der Pfarrer empfindet es, wie wenn er vor einer Mauer steht, als er zum Haus des Jungen       kommt: Ich kann doch nicht, dachte er.
             Aber er geht dennoch hinein.
             Als Jens Ottos Vater in der Tür steht, sieht er den Pfarrer lange Zeit an und fragt ihn dann wieder: „Kannst du es jetzt - den Jungen lebendig machen?"
             Der Pfarrer sucht die Eltern am Totenlager des Jungen zu versammeln, so dass sie zusammen beten können - aber sie gehen weg. Er kniet nieder und versucht zu beten, kann es aber nicht, als er die erkaltete Hand des Jüngen in seiner Hand spürt.

Aber kurz darauf hört er einen furchtbaren Lärm aus der Küche - der Pfarrer geht hinaus, und gleich neben der Feuerstelle stand, gegen die rußige Wand gedrückt, der Vater und weinte, während seine Frau bei ihm war.
             Da wusste der Pfarrer, dass die Mauer gebrochen war und dass der Vater die erste furchtbare Hilfe bekommen hatte - und er ging zurück, um bei dem Toten zu sein.

Was ist das für einen erste furchtbare Hilfe, die der Vater bekam? Es ist die furchtbare Hilfe, die darin liegt, die Wirklichkeit zu sehen - einzusehen, dass er - und wir mit ihm  niemals auf der Welt unsere lieben Toten lebendig wiederbekommen. Es ist furchtbar, das einzuehen - aber es ist auch eine Hilfe, zu dieser Einsicht zu gelangen - weil es dann auch eine Chance ist, dass wir eines schönen Tages lernen, weiterzuleben - mit dem Verlust.
             So ist alles noch immer beim Alten hier auf Erden - alles ist bestimmt noch nicht neu - wie in Johannes' Offenbarung verheißen wird, dass es einmal neu werden würde.

Nein, die großen Worte aus der Offenbarung des Johannes, dass der Tod und die Trauer und der Schmerz vergangen sein werden, sind bestimmt nicht unsere Wirklichkeit von heute. Wir müssen vielemehr sagen, dass alles ist, wie es immer war - und die großen Worte und die mächtigen Visionen aus der Offenbarung des Johannes können deshalb falsch und wie trügerische Unwahrheit wirken - weil wir unser Leben leben, wo der Tod herrscht und wo wir alle deshalb auch eines Tages Verlust erleiden.

Das einzusehen ist die erste furchtbare Hilfe, die wir bekommen können - es ist hart, aber es ist auch eine Hilfe, zu dieser realistischen Erkenntnis zu gelangen.
             Und dazu will uns der Tag Allerheiligen helfen, er will uns helfen bei der Erinnerung, dass wir sie in unserem Leben weiter bei uns tragen, alle die, die wir nicht lebendig wiederbekommen, die aber - mit ihrem Leben - Salz und Licht in unserem Leben gewesen sind.

Was sollen uns dann die großen Worte aus der Offenbarung des Johannes? Sind sie bloß Lüge und Trug? Ja, es ist von den großen Worten über das Herrlichkeitsreich einst bei Gott oft gesagt worden, dass sie nur falsche Wechsel auf die Ewigkeit seien - dass sie nur gesagt worden sind, um uns falschen Trost zu geben - um uns hinzuhalten, um uns dazu zu bringen, dass wir allen Schmerz und alle Probleme aushalten, mit Hilfe des Versprechens, dass alles einst - aber erst dann - schön und gut werden würde.
             So hat man bekanntlich Menschen hingehalten und sie das Unglaublichste aushalten lassen - hier auf Erden, weil die Seligkeit sie im Himmel erwartete.

Das heißt natürlich, die Worte zu missbrauchen.

Aber wie trostlos und erbärmlich wäre es, wenn wir die große Vision und die verheißungsvollen Worte entbehren müssten.
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde - wo Gott selbst alle Tränen abwischen wird von unseren Augen - und der Tod nicht mehr sein wird, denn siehe, Gott wird alles neu machen!

Es sind Worte, die den kolossalen Unterschied beschreiben, der besteht und für immer bestehen wird zwischen
Gott und Menschen -
Himmel und Erde -
der Welt der Sterblichkeit und dem ewigen Leben.

Kein Mensch hat Macht über Leben und Tod - die hat nur Gott - und Gott, der die Macht hat, uns das Leben zu geben und es eines Tages wieder zu sich zu nehmen, er hat uns also verheißen, dass er einst alles wieder neu und gut machen wird, wie am ersten Morgen der Schöpfung, als Gott alles, was er geschaffen hatte, sah und sah, wie gut es war.

Es ist das wiedergeschaffene Paradies, das in den Worten geschildert wird - Himmel und Erde vor dem Sündenfall und bevor das Böse Macht erhielt - Himmel und Erde, wo es deshalb keinen Tod, keine Trauer, kein Geschrei oder Leid gibt.
             Siehe, ich werde alles neu machen, sagt Gott, in dieser Zukunftsvision, dieser Schau der letzten Zeiten, in denen Gott selbst alles in allen sein wird.

Auf den ersten Seiten der Bibel steht: Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. - So musste Gott sprechen, da er das Leben und die Welt geschaffen hat. Und auf den letzten Seiten der Bibel stehen die verheißungsvollen Worte, die dem entsprechen: und siehe, ich mache alles neu!

Der große Traum und die Vision wölbt sich über uns - unter dem großen Bogen leben wir, und wir können uns darauf freuen, dass Gott, wie er einmal allem Leben gegeben hat, auch eines Tages alles wieder gut machen wird.

Große und schöne Worte - die also in einem krassen Widerspruch stehen zu der Wirklichkeit, die wir kennen - in der wir lernen müssen, mit dem Tod und dem Schmerz und dem Verlust zu leben. Ja, aber gerade darum können wir die großen Worte nicht entbehren: Siehe, eines Tages werde ich alles wieder neu und gut machen!

Zwischen der ersten Schöpfung damals in der Vorzeit und der Neuschöpfung einst am Ende der Zeiten liegt der Sündenfall, bei dem das Böse Macht bekam. Das Wesen des Bösen ist es, das Gute zu zerstören - da also das Böse Macht bekommt, wird auch der Tod zu dem, der alles Leben vernichtet - und Trauer und Schmerz schafft.
             Und das bringt Gott zum Arbeiten - als er gerade seinen Ruhetag nach der guten Schöpfung begonnen hatte.
             Anstatt ein Gott zu sein, der sich nach sechstägiger schöner Arbeit ausruhen konnte, wird er jetzt zu einem Gott, der weder Rast noch Ruhe hat, ehe das gute Schöpferwerk wiedererrichtet ist und er alles wieder neu und gut gemacht hat.

Gott ist ein Gott der Sehnsucht, und er ist unterwegs.
             Zuerst gibt er dann Menschen das Gesetz - die 10 Gebote - die den schlimmsten Wirkungen des Bösen abhelfen sollen - so wie ein Gesetz immer das Ziel hat, die Schwachen gegen die Starken und Vorwitzigen zu beschützen.
             Aber der Böse ist groß und stark - stärker als Menschen. Deshalb muss Gott selbst das Böse besiegen. In seinem Sohn kommt Gott deshalb in die Welt, und der Böse wird de facto besiegt und niedergemacht - das geschah durch den Tod und die Auferstehung Christi.
             Durch seinen eigenen Tod tötet Gottes Sohn den Tod, deshalb ist er auferstanden, und das Paradies ist wieder geöffnet - Und einst am Ende dieser Welt wird auch der Tod und der Böse seinen letzten Atemzug tun, wenn Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schafft.
             Dann schließt sich der Ring von den Worten „und er sah, dass alles sehr gut war", als Gott das Leben geschaffen hatte - bis hin zu den letzten Worten der Bibel: „Und siehe, ich mache alles neu."

Unter der großen Vision leben wir nun - leben wir das Leben, in dem der Tod beständig herrscht, wo wir aber daran glauben dürfen, dass der Tod besiegt IST.

Deshalb sind die großen Worte aus der Offenbarung des Johannes nicht zu entbehren, weil sie uns sagen, dass Gott auf der Seite des Lebens ist - und dass, obwohl der Tod unsere Lieben von uns nimmt, der Tod und die Finsternis und das Böse nicht mehr die wirkliche Macht haben - obgleich wir hier auf Erden noch  mit allen Verlusten leben müssen.

Wir leben nach Christus - mit seinem Wirken im Rücken sozusagen. Er hat uns mit seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung von dem Unmöglichen befreit - dass wir selbst Sünde und Tod und Teufel bekämpfen sollten - denn das hat er für uns getan. Das gibt Hoffnung und Kraft, an dem Glauben festzuhalten, dass das Leben und das Licht und die Freude von Gott Recht hat - so dass wir in dieser Welt zu Hause sein und mit allen Verlusten leben können, aber immer auch unterwegs zu etwas Besserem und Neuem sind. So dass wir das Salz der Erde und das Licht der Welt füreinander sein können.

Wir haben Gottes Wort, dass wir davon träumen und darauf hoffen und dafür kämpfen dürfen - Dasselbe tut Gott: Denn siehe, ich werde alles neu machen.
Amen



Pastorin Hanne Drejer
Asperup (Dänemark)
E-Mail: hdr(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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