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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 09.11.2008

Predigt zu Lukas 17:20-33, verfasst von Hanne Sander

Der Gedanke vom Reich Gottes hat zu allen Zeiten der Geschichte Menschen mit Ungeduld erfüllt. Lukas erzählt hier, dass einige führende Juden zu Jesus kommen, um etwas über das Reich Gottes zu erfahren. Wann wird es kommen?

             Sie gehörten einem Land und einem Volk an, das von der römischen Besatzungsmacht besetzt war. Die politische und wirtschaftliche Selbständigkeit war ihnen genommen, deshalb hofften sie natürlich auf Veränderung und auf bessere Zeiten, ja, de facto war es so, dass die Hoffnung immer wieder enttäuscht wurde und dennoch ständig größer wurde.

             Der Gedanke vom Reich Gottes hat im Laufe der Zeit auch dazu geführt, dass Menschen selbst die Initiative ergriffen - wenn sie höchst ungeduldig waren und nicht glaubten, dass aus der Verbesserung der Welt etwas werden würde.

             Man höre nur: im Russland der 1840er Jahre gab es einen revolutionären Klub, in dem ein Restredner sagte:

Ein neues Leben wartet auf die Welt. Unsere Aufgabe ist es, die Millionen darauf vorzubereiten, es entgegenzunehmen. Wir werden die edlen, starken und brüderlichen Eigenschaften freimachen bei allen, die bisher unterdrückt waren. Wir werden große Städte und Hauptstädte abreißen und als Baumaterial für neue Gebäude verwenden. Dieses ganze Leben in Leid und Elend, Furcht und Armut werden wir verwandeln in ein Leben in Überfluss, Reichtum und Glück.Die ganze Erde werden wir mit Palästen und blühenden Gärten übersäen. Hier bei uns wird die Transfiguration (Verwandlung) stattfinden, und sie wird so hell leuchten, dass ihr die ganze Welt nachfolgt." (Aus: Knud Hansen: Om at have mod til livet [Mut zum Leben haben], S. 238.)

             Man konnte dasselbe 100 Jahre später in Deutschland hören. Die Veränderung verlangte die Ausrottung des jüdischen Volkes und aller Schwachen und Behinderten, aber dann würde sich das neue Reich abzeichnen.

             Die Weltgeschichte kann viele Beispiele der Ungeduld von Menschen mit der Welt, die verbessert werden soll, aufzeigen - und noch heute bekommen wir Beispiele zu sehen. Es brauchen gar nicht nur völlig unmenschliche und fanatische Beispiele zu sein, aber die Menschen, die am unzufriedensten mit dem Zustand der Welt und am ungeduldigsten sind, sind in der Regel zugleich auch diejenigen, die am überzeugtesten sind von ihrem Glauben.

Aber ist denn eine Verbesserung der Welt nicht nötig? Kann man nicht verstehen, dass Menschen auf ein neues Leben und eine neue und bessere Welt hoffen? -

             Ja, das räumt Jesus hier im Text ja auch ein. Er kann die Jünger gut verstehen, wenn sie hin und wieder nach der großen Veränderung verlangen.

             Aber - - - auch die Pause wird lang sein - denn Jesus kehrt ihre Vorstellungen um - und verweist den Gedanken des Reiches Gottes dorthin zurück, wo er herkam.

             Das Reich Gottes ist nicht etwas, was ihr für die Zukunft erwarten sollt, das Reich Gottes ist an keinem anderen Ort als genau da, wo ihr seid. Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Das Reich Gottes ist immer Gegenwart.

             Vorhin bei der Taufe haben wir auch gehört, dass das Reich Gottes den Kindern gehört: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes.

             Ja, aber wenn die Kinder schon im Reich Gottes sind - und wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen -  was ist das dann überhaupt, das Reich Gottes?

             Und was haben oder können Kinder, das Erwachsene kaum können? Ja, Kinder können im Jetzt gegewärtig sein. Sie können so in ein Spiel vertieft sein, dass sie völlig gegenwärtig im Augenblick sind. Ohne es zu wissen, geben sie sich hin, so dass das Jetzt zur Ewigkeit wird.

             Sören Kierkegaard verwendet das Bild von jemandem, der in einem Boot rudert, um  etwas Ähnliches zu sagen: Wer ein Boot rudert, kehrt seinen Rücken gegen das Ziel, auf das er sich zubewegt. So lässt das Ewige einen Menschen sich in den heutigen Tag  vertiefen und seinen Rücken dem kommenden Tag zukehren.

             Und wenn wir nun wieder dem Text bei Lukas folgen - so geht Jesus in seinen Gedanken über die Zeit noch weiter. Wenn man sich nämlich das Reich Gottes bzw. das neue Leben als etwas vorstellt, das in der Zukunft liegt, dann wird es oftmals mit dem Gedanken vom Weltuntergang verbunden.Aber auch hier will Jesus seinen Zeitgenossen nicht folgen in Bezug auf Spekulationen und Interpretationen von möglichen und unmöglichen Zeichen des Untergangs.

             Und noch einmal: Jesus will nicht die Unwahrheit sagen über die Bedingungen, unter denen wir Menschen stehen. Es stimmt, das alles ein Ende hat. Das Leben des einzelnen Menschen hat seine Zeit - und der Tod gehört ebenso zum Leben eines Menschen wie Essen und Trinken und Heiraten und Kaufen und Verkaufen und Pflanzen und Bauen - und all das, was man sonst noch nennen könnte.

             Das Besondere ist, dass Jesus im Blick auf das Reich Gottes weder ungeduldig ist noch panisch, wenn er an das Ende der Zeiten denkt. Er (Jesus) lebte nicht für etwas, das kommen sollte, sondern für das, was um ihn herum war, für den Anblick der Liljen auf dem Felde und der Vögel unter dem Himmel, für die Töne von Kindern, die Flöte spielten oder Klagelieder sangen, Hochzeit spielten oder Beerdigung, für Menschen, die ihn in Anspruch nahmen und ihn nicht in Frieden lassen konnten. (Knud Hansen)

             Er lebte in einer befreiten Beanspruchtheit des Gegenwärtigen - ohne von der Vergangenheit festgehalten zu sein - und ohne in die Zukunft zu fliehen.

             Ebenso wie es einleuchtend richtig ist, dass man nur in der Gegenwart sein kann, weil die Vergangenheit nicht mehr und die Zukunft noch nicht ist - genauso schwierig ist es, gegenwärtig zu sein.

             Aber hin und wieder erleben wir es doch - auch als Erwachsene, die sich der Zeit bewusst sind - dass wir sind - und die Zeit steht still, sagen wir - und der Augenblick reicht in die Ewigkeit - und dann ist das Reich Gottes mitten unter uns.

Amen



Pastorin Hanne Sander
Gentofte
E-Mail: sa(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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